FastFoodFoetus
von Ilana

 


Fast Food Foetus

„Und, was fühlst du jetzt?
Ich schlafe in Flussbetten, denke ich und starre auf meine Hände, die ruhig auf der Tischplatte liegen. Sie sind so blau, so tot, so unheimlich rein. Ich streichle die rechte mit der linken Hand, mein Daumen fährt auf und ab .Ist stumpf.
Sie schaut mich ungeduldig an, drückt die Mine des Kugelschreibers rein und raus. Und wieder rein, um sie Millisekunde später wieder heraus zu drücken.
„Du weißt, das du die Schuld trägst!“, sagt sie und lehnt sich selbstgefällig in ihrem dicken Ledersessel zurück – Er quietscht.
„Schuld ist angeboren“, flüstere ich und knibble die Haut an meinem Zeigefinger ab.
„Kannst du das wiederholen?“
„Ich......“
„Du musst schon lauter sprechen, wenn ich dich verstehen soll.“, sagt sie spitz, ihre Augen fressen Löcher in mein Gesicht.
Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar, bin eh schon viel zu laut, denke ich, sage nichts.
Fasse mir ins Haar und beginne es büschelweise auszureißen, lasse die Büschel auf den kalten Boden fallen. Totes zu Totem.
„Was tust du da? Was soll das jetzt?“ fragt sie, ihre Stimme wird lauter, unruhiger.
„Ich bin Schuld“, sage ich, diesmal laut und deutlich, schaue kurz zu ihr auf.


Sie zerren mich von meinem Stuhl, einer links einer rechts, ziehen mich aus der Tür hinaus in den dunklen Gang, mit seinen grauen Betonmauern, die, mit gerahmten Kunstdrucken behängt, den Eindruck von Menschlichkeit vermitteln sollen.
Ein paar Schritte barfuß auf dem kalten Linoleum. Ich habe meine Zehennägel nicht geschnitten.
Eine neue Tür öffnet sich. Ein Stuhl, ein Tisch, ein Bett. Vier weiße Wände die mich leer anstarren. Vier reine Wände die mich beschuldigen.
Die Tür schließt sich.
Ich stehe inmitten des Raumes. Bin allein. So allein.
Ich setze mich auf das Bett, dessen Gestell so alt ist, dass es bei jeder meiner Bewegungen knarrt. Also werde ich mich nicht bewegen, werde nur hier sitzen, werde warten, schuldig sein.
Und ich atme ein und aus, langsam und bedächtig. Das Bett knarzt. Unregelmäßig, lästig.
Ich kauere mich in eine Ecke des Bettes uns versuche flacher zu atmen.
Darf nicht zuviel Raum einnehmen.
Bloß nicht zuviel atmen, den Raum leeren.
Leerleben.
Denn ich hab Schuld.

Schweißgebadet wache ich auf. „Nein, das wollte ich nicht, nein, lass.“ Ich liege in meinem Zimmer, in meinem warmen weichen Bett, unter meiner geblümten Biberbettdecke und schnappe nach Luft.
Das Telefon klingelt.

„Ja?“
„Maja...?“
„ Ja.....“
Am anderen Ende keine Reaktion. Dann ein Seufzen, ein tiefes Einatmen.
„Warst du da?“
„ Ja“, sage ich „Ja, ich bin da gewesen, ich habe mich aber noch nicht entschieden.“
„Hmm.... Und hast du es ihm gesagt?“
„Nein...das ist meine Sache.“
Wir wechseln noch ein paar Worte über die Uni, das nächste Referat, die anstehende Party, ich verabschiede mich schnell.

Beim Duschen wird mir schwindelig, ich lehne mich an die feuchten Fliesen und der seifige Duft des Duschgels treibt mir die Tränen in die Augen.
Das Haar verklebt mit Shampoo klettere ich aus der Dusche und lasse mich im Wohnzimmer auf die viel zu weiche Couch fallen.
Schließe die Augen.

„Herzlichen Glückwunsch, sie sind schwanger.“
Ich reiße die Augen auf und sehe mich in meiner Wohnung um als hätte ich sie gerade eben zum ersten Mal betreten.

„Wenn du abtreiben läßt, dann trägst du die Schuld an dem Tod, willst du das?“

Meine Zimmerpflanzen lassen die Köpfe hängen, das Goldfischglas dient inzwischen als Sammelplatz diverser Schlüssel, Kassenbons und Visitenkarten.

„Trauen sie sich zu, die Verantwortung auf sich nehmen?“

Meine Morgende beginnen mit Cartoons und Knusperflocken auf der Couch...meine Nachmittage verbringe ich mit dem Kopf in meinen Büchern. Ich gehe gern schaukeln im Park.
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Draußen ist es kalt und die Gesichter der Menschen, die an mir vorbeigehen, sind hinter ihren hochgestellten Mantelkragen kaum auszumachen.
Trotzdem durchbohren mich Blicke, finden mich, ertappen mich.
Meine viel zu große Jacke hängt leer an meinem Körper herunter und ich laufe eilig durch die Strassen.

„Wann wirst du uns denn wohl die ersten Enkel bescheren?“

Aus Mama und Papa werden Oma und Opa. Aus einem Strandurlaub ein Wochenende im Harz.
Pauken und zahnen.

Meine Augen brennen und die Füße tun weh, aber ich laufe, nehme nicht den Bus.

„Das ist heute kein schwieriger Eingriff mehr.“

Eingriff.

Ich sitze allein im Zugabteil, als sich plötzlich mit einem lauten Ruck die Schiebetüre öffnet und eine schwangere Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand hereinkommt.
„Ist hier noch frei?“ Ich nicke.
Das Abteil füllt sich mit einem süßlichen Geruch. Eine Mischung aus Schweiß, Babywindel und Vanillebrei. Ich greife meine Tasche und springe von meinem Platz auf.

Auf dem Gang reiße ich mit aller Kraft ein Fenster hinunter und halte den Kopf in die Kälte. Spüre den Wind.
Und atme. Ganz ganz tief.

Ich stehe im Gang und bin ganz allein. Und möchte es auch sein.

„Sie können sich noch ein bisschen mit ihrer Entscheidung Zeit lassen. Lassen sie sich das ganze noch mal genau durch den Kopf gehen.“

Durch den Kopf.
Der Wind geht durch meinen Kopf.
Die Kälte geht durch meinen Kopf.
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„Du hast so einen süßen kleinen Bauch“.
Ich hab auf deinem Bett gelegen und du hast meinen Bauchnabel mit deinem Finger nachgefahren. Ich habe gekichert und die Welt war in Ordnung.

Ich schließe meine Augen und will mich wegwünschen, wegdenken von all meiner Schuld. Meiner Unverantwortlichkeit.
Ich bin schlecht und egoistisch.

„In Holland ist das billiger hab’ ich gehört. Hier sind das ja an die 300 Euro oder so.“

Ich fühl da was in meinem Bauch obwohl ich’s noch nicht fühlen kann.
Und es ist nur ein kleiner Schnitt und alles ist weg. Und ich kann meine Beine wieder schließen, kann aufstehen, etwas trinken.
Krankenschwestern in Sweatshirts.
Ein Arzt mit Routinelächeln.
„Die Blutung müsste dann bald stoppen.“

Ich muss mich beeilen, muss den nächsten Zug kriegen.

Drive-in Abschied
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Mit rasendem Tempo reißen sie die Bahre durch den Flur. Nur Notbeleuchtung, rechts und links diese kleinen grünen Lämpchen.
Ist wohl nicht viel los sonst um diese Uhrzeit.
Jemand hält meinen Arm, fühlt meinen Puls, drückt fester und fester auf meine Adern.

„Ich fühl ihn nicht, ich kann’s nicht fühlen“

„So geht das, weg da.“ Neue Hand an meinem Handgelenk, drückt fester, bestimmter.

„Pulsfrequenz niedrig...“

Die Stimmen vermischen sich mit dem grün der Lämpchen und auch als wir wieder stehen dreht sich noch alles.

Von oben schauen weiße Gesichter ohne Münder auf mich herab und sehen doch nicht mich, sondern nur einen Baukasten, den sie wieder richtig zusammensetzen wollen.

Für einen Moment sind sie mir unangenehm, will ich, dass sie alle gehen.
Seht ihr nicht? Da ist doch Blut überall, ich muss doch aufstehen und das Blut wegmachen.
Könnt ihr mich nicht einfach das Blut wegmachen lassen?
Kann mir denn nicht jemand einen feuchten Lappen bringen?

Ich will soviel sagen, mich beschweren, aber die Worte ruhen auf meinen Lippen.

Sie heben mich und drehen mich. Und auf einmal ist mir das alles egal. So ganz egal.
Ich bin wieder allein. Hat alles geklappt.
Ich lächle und drehe mich zur Seite, ignoriere die Schläuche und Kanülen, die ich aus dem Augenwinkel heraus erkennen kann.

„Wir verlieren sie, schnell. So tu’ doch einer was!“

„Laden auf 200!“

Ein Zucken durchfährt mich und ich bin für eine Sekunde wacher als ich es je gewesen bin. Sehe pinkfarbene Sternchen und glaube, mindestens einen halben Meter hochgesprungen sein zu müssen.

Noch einmal.

Noch einmal.

Ein monotones Piepen setzt ein, erst langsam, dann etwas schneller.

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„Fühlen sie sich besser?“
Ich sitze auf einem unverschämt bequemen Sessel und kaue an meinen Fingernägeln. Ich trage keine Socken, keine richtigen Schuhe, einen Jogginganzug.
„Glauben sie, sie können mit der Situation umgehen?“
Ich drehe mit meinen Fingern die Haare auf, die mir in dicken Strähnen am Kopf kleben.
„Sie sind nun seit 4 Wochen hier, wir werden sie bald entlassen können.“

„Und?“ Ich weiß nicht, was sie hören will, was ich ihr sagen soll, ob sie möchte, dass ich mich freue, ob sie erwartet, dass ich weine.
„Fühlen sie sich wieder stark?“
„Ich habe mich nie schwach gefühlt.“
„Aber diese Träume, ...sie haben doch diese schrecklichen Träume gehabt ...konnten sie in den letzten Nächten besser schlafen?“

Sie wollen mir nicht einmal meine Träume lassen, sie werden mir nie Ruhe geben, selbst wenn meine Augen geschlossen sind und ich an ihrem Leben nicht teilnehme.

„Das geht sie gar nichts an.“
„Aber man will ihnen doch nur helfen ...sehen sie, sie sind doch noch eine so junge Frau, sie wollen doch bestimmt...“

Hysterisch springe ich von meinem Stuhl auf.
„Woher wollen sie wissen, wie alt ich bin, was nehmen sie sich heraus, zu glauben, sie wüssten, was ich will...“ Meine Stimme bebt. Trotzdem weine ich nicht.

„Sagen sie mir ruhig, was sie denken.“

„Sie meinen, ich kann ihnen sagen, wie ich über sie denke?“

Sie nickt und sitzt mir gegenüber, selbstgefällig und fettgefressen in ihrem Ledersessel, in einer Position, als täte sie den ganzen Tag nichts anderes.

„Ich glaube sie können nichts anderes als mit ihrem fetten Arsch das Leder ihres Sessels abnutzen. Ich glaube, sie haben kein eigenes Leben, und deswegen müssen sie das anderer auseinandernehmen, ich glaube, sie haben absolut keine Ahnung davon, was in mir vorgeht, und eigentlich ist es ihnen eh egal, solange sie bloß einen fetten Gehaltsscheck am Ende des Monats bekommen. Wenn’s nach ihnen ginge ...ihnen wäre es doch lieber ich hätte mich schon längst in der Dusche erhängt.“

Sie schluckt. Ich kann sie schlucken hören.
Dann lächelt sie. Das breiteste und schwärzeste Lächeln, dass ich je gesehen habe.

„Sie sind verwirrt, Schätzchen.
Und wissen sie, was sie so verwirrt?
Das sie es wissen, dass sie ganz genau wissen, dass sie schuld sind an ihrer Misere.
Sie sind schuld...“

Die weichen Fasern des Sessels richten sich auf und drücken mich nach oben.. Und diesmal will ich es schuld sein.



Ich glaube, den Ledersessel mussten sie später wegwerfen.

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