Der Sekretär
von Michael Kuhrdt (mageku)

 

Der Sekretär

Sie sind Vertreter Gottes hier auf Erden. Nur ist die Mafia für sie kein Thema.

Flimmernde Hitze lag über der Savanne. Die großen Tiere ruhten im Schatten, wenn sie welchen fanden. Der Rest stand herum und wartete auf den kühlen Abendwind.
Für ihn gab es keine heiße Sonne, kein gutes oder schlechtes Wetter. Es hieß nur Jagdglück oder Hunger. Zwei Junge galt es zu versorgen, ganz abgesehen von ihm und seinem Weibchen. Zehn Tage alt waren seine beiden und hatten Magenknurren, wie kleine Löwen. Er musste jagen, während sie das Nest bewachte. Da es auf dem Boden lag, konnten viele Feinde seinem Nachwuchs an das Leben.
Eine Eidechse befand sich schon im Kropf, aber es musste mehr sein, um alle zu versorgen. Mit zögernden Schritten nahm er die Jagd wieder auf. Er war ein Meter groß und grau, mit schwarzem Schopf.
Scharfe Augen hatte er, denen keine Bewegung entging. Das war auch ein Problem, denn sobald eine Beute sich nicht mehr regte, war sie für ihn unsichtbar.
Da! Eine Bewegung ein paar Schritte vor ihm. Schnell war er dort und stieß zu. Eine Schlange versuchte durch das dürre Gras zu entkommen.
Aufgeregt schlug er mit den Flügeln.
>>Fette Beute!<<, dachte er sich.
>>Fette Beute! Davon kann ein Junges ein paar Tage zehren.<<
Mit den Klauen hielt er sie fest, die Schlange . Wenn sie beißen wollte, ließ er los und machte einen Satz rückwärts. Nach ein paar Minuten war die Schlange müde und er konnte sie mit ein paar Hieben töten. Er schüttelte sie noch ein, zwei Mal, um sich zu vergewissern, dann schluckte er die Schlange runter, am Stück.

Der hagere Mann schloss die Türe. Sein Haar war grau, trotz seiner jungen Jahre.
>>Guten Morgen Herr Doktor!<<
>>Morgen Schwester! Heute wieder Dienst an der Pforte?<<
>>Wie jeden Montag und Mittwoch. Einen gesegneten Tag wünsche ich ihnen.<<
Er nahm ihre guten Wünsche hin und eilte weiter, seiner Verabredung entgegen.
Mit schnellen Schritten durchmaß er die weiten Flure.
>>Morgen Doktor!<<, schallte es im Raum, als er die Tür des Besprechungszimmers öffnete.
>>Was machen die Frauen?<<
Ein alter Scherz, der einfach nicht tot zu kriegen war.
>>Bestens, Herr Doktor! Und selber?<<
Wie er das hasste. Zölibat war eine Sache, die dummen Witze darüber eine andere.
>>Du bekommst Besuch heute, Erwin? Hab ich gehört. Stimmt das?<<
Der dicke Schatzmeister hatte die Hand an den Mund gelegt, um ein Schmunzeln zu verbergen.
>>Stimmt. Ein Geschäftsmann will mich sprechen. Man sagt italienische Geschichten will er erzählen.<<
>>So, so. Und was erzählen wir?<<
>>Weiß nicht. Es wird Zeit, dass wir was tun.<<
Der Sekretär rutschte unruhig auf seinem Stuhl.
>>Was meinst du damit? Mach bloß keine Sachen. Wir machen uns Sorgen.<<
>>Ralf, war das eine Drohung? Hab ich richtig gehört?<<
>>Ich muss los. Und ich würde nie drohen.<<
Das Lächeln war aus dem Gesicht des Schatzmeisters verschwunden. Er stand auf und gab dem Sekretär die Hand.
>>Bis nächste Woche, außer...<<
>>Außer es passiert etwas Außergewöhnliches. Ich weiß.<<
Schwer atmend verließ der Schatzmeister das Zimmer und ließ einen nachdenklichen Sekretär zurück.
>>Habe ich fünf Jahre Studium und zwei Jahre Referendariat durchgemacht, um mir das gefallen zu lassen?<<, grübelte dieser.
So machte er sich seine Gedanken über Recht und Moral, während er zu seinem Arbeitszimmer schlenderte.
Kaum saß er hinter seinem Schreibtisch, als das Telefon klingelte.
>>Ihr Besuch ist da.<<, meldete die Schwester von der Pforte.
>>Schicken sie ihn bitte rauf.<<, murmelte der Sekretär.
>>Bitte warten sie im Vorraum. Der Herr Doktor ist gleich für sie da.<<, beschied die Schwester dem Geschäftsmann.
>>Wie kann ich ihnen helfen?<<, fragte der Sekretär, nachdem er sich dem Geschäftsmann im Vorraum gegenüber gesetzt hatte.
>>Nun, die Mafia geht um und nicht erst seit gestern. Ich werde erpresst, Schutzgeld, sie verstehen.<<
Der Geschäftsmann war wütend.
>>Nein, ich verstehe gar nicht. Gehen sie zur Polizei. Das ist keine kirchliche Angelegenheit.<<
Der Sekretär wurde auch zornig.
>>Ohne Beweise, seh ich keinen Sinn. Es geht um Moral und nun sind sie dabei. Viele ihrer Schäfchen haben den Husten und weiße Lieferwagen fahren, Schiebetüren schlagend, auf mich zu.
Rufen sie ihre Leute zur Ordnung.<<
Wartend blickte der Geschäftsmann in das Gesicht des Sekretärs.
>>Mafia, die gibt es. Hier auch, das ist klar. Gemerkt hab ich gar nichts. Hand drauf, es ist wahr. Wir werden auf unserer nächsten Sitzung darüber reden. Versprechen kann ich nichts.<<
Damit war das Gespräch beendet. Der Geschäftsmann verließ nicht unzufrieden das Gebäude. Die Schwester war in eine Unterhaltung mit einem Gast vertieft. Man hatte geredet und seine Bitte lief weiter.
Als er um die Ecke bog, kam ein weißer Lieferwagen entgegen, mit einem grinsenden Fahrer. Zwei Straßen weiter wurde er angehustet, noch mehr als zuvor.
Der Sekretär schloss die Türe seines Arbeitszimmers hinter sich. Ihm wurde übel. Wieder hatte er eine Chance verpasst Farbe zu bekennen.
>>Mafia, einfach das Schlechte. Kirche muss Gegenpol sein und nicht Zuschauer oder Günstling.<<, dachte er.
Mit Schwung stieß er sich von der Tischplatte ab, an der er Halt gesucht hatte und fasste einen Entschluss.
Er würde reden.
Die Kirche war mächtig und vertrat Gott auf Erden. Gott aber war gut, hart und gerecht. Waren Teile der Kirche schlecht, dann waren diese gegen Gott, Vertretungsmacht vorbei.
Der Sekretär ging zum Fenster und schaute hinaus. Ein schöner Tag und viel los auf den Straßen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und begann zu arbeiten. Angst hatte er keine, denn Gott war mit ihm.
Der Geschäftsmann erstattete Bericht zu Hause.
>>Ich habs gesagt.<<, erklärte er seiner Frau.
>>Erzählt habe ich von der Erpressung bis zu dem Lieferwagen. Und er will es ansprechen, sobald es geht.<<
>>Und was wird aus uns? Glaubst du es wird spaßig jetzt?<<
Es war zwar abgesprochen, was ihr Mann getan hatte, aber die Angst stieg in ihr hoch.
>>Nein, aber Druck gab es auch vorher, nur haben wir still gehalten.<<
Er schaute aus dem Fenster.
>>Da unten stehen sie schon. Es verbreitet sich wie ein Lauffeuer, wenn einer nicht dicht hält.<<
Seine Frau trat neben ihn und sah auch die Gestalten, die wie zufällig neben ihrem Auto standen und sich unterhielten.
>>Und was macht dich so sicher, dass sie dazugehören?<<
Sie kannte die Antwort, wollte sie aber von ihm noch einmal hören.
>>Beide schauen rüber.<<
Das Leben ging weiter, aber es wurde feindseliger und schwerer. Kunden blieben aus und in der Schule gab es Probleme. Ein Aufsatz seines Sohnes, den der Vater für gut befunden hatte, wenn nicht genial, wurde zerlegt vor der Klasse. Der Aufbau stimme nicht, die Wortwahl sei falsch.
>>Da musst du durch mein Sohn.<<, sprach der Vater.
>>Später schreibst du darüber. Was meinst du woher guter Stoff kommt?<<
>>Thailand?<<, antwortete der verstimmte Sohn und ging hoch in sein Zimmer.
Der Sekretär nahm die Seiten und legte sie in seine Mappe. Tagelang hatte er über einer Strategie gebrütet, mit der er das Thema Mafia zur Sprache bringen wollte. Sein Versuch es auf die Tagesordnung zu setzen war fehlgeschlagen. Der Chef hatte bei einer Durchsicht des Vorschlags mit dem Finger daraufgetippt, schlicht >>Nein!<< gesagt und war davongeschwebt. Er musste es seinem Feingefühl überlassen, wann der Zeitpunkt sein würde sich zu erklären.
Er lief die Gänge hinunter bis zum Saal und ging hinein, die Tür stand offen.
Sie saßen schon da, die Oberen der Diözese. Eine Schwester schloss die Tür.
>>Nun,<<, begann der Bischof, >>seid mir gegrüßt. Was lassen wir diese Woche von der Kanzel erzählen?<<
Der Chef hatte es eilig, das Dringendste zuerst.
>>Mafia!<<, rief der Sekretär dazwischen.
>>Wir sind gegen die Mafia.<<
Totenstille trat ein. Alle Augen richteten sich auf den Sprecher.
>>Äh!<<, fing der Sekretär erneut an zu sprechen.
>>Die Kirche ist gegen das Böse und damit gegen die Mafia.<<
Er hatte einen trockenen Hals und seine Hände begannen zu schwitzen.
>>Was meinst du damit Erwin?<<, fragte der Schatzmeister.
>>Ralf, was ich sage. Es gibt Probleme und wir tun nichts dagegen.<<
>>Jetzt übertreiben sie aber. Ich habe davon nichts bemerkt. Bei der Predigt die üblichen Vorgaben. Nächster Punkt.<<
Der Chef hatte entschieden, sein Chef aber auch.

>>Was machen wir mit dem Kerl?<<, sprach der Herr an Petrus gewandt.
>>Er will seinen Schäflein nicht helfen und lässt den einzigen seiner Hammel, der den richtigen Weg geht nach langem Suchen, im Regen stehen.<<
>>Hmmh!<<, machte Petrus und rieb sich seinen Bart.
>>Er soll ein langweiliges Buch schreiben über irgendwelche Bauwerke.<<
>>Schon passiert.<<
>>Dann soll er sich schleichen und Platz machen für mutigere Hirten.<<
>>In die Wege geleitet, er ist alt.<<
>>Oh Gott...<<
>>Ja hier?<<
>>...mir fällt nichts mehr ein. Doch warte, ich habs. Zur Strafe soll er in Johannisburg gefallenen Mädchen wieder auf die Beine helfen und zwar bis an sein Lebensende. Das wird ihm eine Lehre sein. Zölibat, wer ist denn auf die Idee gekommen?<<
Der Herr zuckte mit den Schultern.
>>So soll es sein.<<

Und so geschah es, dass der ehemalige Bischof sich aufmachte, um weit weg von zu Hause etwas Gutes zu tun. Sein ehemaliger Sekretär durfte mitreisen und freute sich sehr auf den einmaligen Urlaub.
Der Schatzmeister tobte vor Wut.
>>Dieser Nichtsnutz, dieser schmierige. Wieso fährt der mit und ich nicht? Wenn einer treu zum Glauben steht, dann ich! Wenn einer die Kirche in Politik und Wirtschaft repräsentiert, dann ich!<<

>>Wenn einer den Oskar bekommt für Heuchelei, dann du!<<
Schon eine ganze Weile standen sie oben und schauten hinunter.
>>Ein weitere Fall?<<, fragte Petrus.
>>Da fragst du? Der Fall und ich weiß keine Strafe, die mir richtig Spaß machen würde.<<
Seine Augen funkelten so zornig, dass selbst Petrus besser schwieg.
>>Ein wenig Zeit werde ich ihm noch geben, bis dahin ist mir etwas eingefallen.<<, sprach Gott nach einer Weile.
Petrus blieb still, denn Zeit war auch im Himmel ein dehnbarer Begriff.

Nachdem er den Bischof an seinem neuen Arbeitsplatz abgeliefert hatte, blieb dem Sekretär etwas Muse. Einen Nationalpark wollte er besuchen, um wilde Tier in freier Wildbahn zu beobachten. Und er sah sie alle die Big Five, sowie Giraffe und Flusspferd dazu. Am meisten aber faszinierte ihn ein Raubvogel, der auf Stelzen lief wie ein Reiher. Die rote Augenmaske gab seinem Grau etwas Farbe.
Vom Jeep aus sah er sie jagen. Ein Pärchen mit zwei Jungen schritt die Savanne ab.
>>Unser Wappentier!<< meinte ihr Führer und zeigte auf die Familie.
Der Sekretär sah das Männchen etwas schlagen und die Jungvögel rannten herbei. Hastig schluckte der Vater seine Beute, die Halbstarken sollten selbst für sich sorgen. Eine Weile noch schaute der Schwanz einer fetten Schlange aus seinem Schnabel.
Dann war sie weg und die Jagd ging weiter.
>>Die Dicken brauchen länger.<<, dachte der Sekretär.
>>Letztendlich aber, erwischt es alle.<<






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