Mein Freund Reto
von Michael Kuhrdt (mageku)

 

Mein Freund Reto

Wenn ein Freund fragen läßt, wie es gesundheitlich der Schwester geht, dann weckt das Interesse an seinem Treiben.

Das Schwierigste an einer guten Geschichte sind der Anfang und der Schluß. Ohne einen kurzweiligen Einstieg fängt der Leser nicht an. Mit einem schlechten Ende steht sein Urteil fest.
Somit ist auch die Absicht eines Autors klar. Der Leser soll sich unterhalten und sonst nichts. Fast nichts.
Lange Rede, kurzer Sinn. Ich habe keine Ahnung wie ich beginnen soll. Das kommt daher, dass mir so etwas noch nie passiert ist und ich darüber auch nichts gelesen habe. Auch keiner meiner Mitbürger, wie es scheint. Denn jedem, dem ich das erzählt habe, meinte nur
>>Bist du sicher? Warum gerade du? Was soll denn das Ziel sein? Davon hab ich noch nie gehört.<<
Nun, wer das gelesen hat, kann Letzteres nicht mehr behaupten. Und Reto darf nicht mehr sagen, dass ich mich nicht um ihn kümmere. Ein Anfang ist gemacht.
Aber nun der Reihe nach erzählt.
Ich bin der Martin und Jurist. Es war ein hartes Stück Arbeit mich durch die Examen zu kämpfen, aber es ist vollbracht und ich suche Arbeit. Es ist schwer, denn mein Vater sagt immer ich bin das Sorgenkind der Familie. Ich wäre verschlossen und gar nicht so von dieser Welt.
Pffh, kann ich dazu nur machen. Wenn etwas bei meiner Geburt gewesen ist, das mich gemacht hat wie ich bin, dann soll man mir das sagen.
Ansonsten trage ich immer eine Kopie meiner Anwaltszulassung bei mir.
In der anderen Welt gibt es keine Juristen, hoffentlich nicht.
Wenn es klemmt, hilft meine große Schwester. Sie wohnt ein Stückchen weiter und hat zwei Kinder.
Geht es mir schlecht, kann ich zu ihr. Jederzeit, das hat sie mir versichert.

Kurz nach dem vielen Lernen und ein wenig Spaß kam Reto.
So Ende zwanzig, arbeitete er längst als Architekt und hatte ein Büro mit seinem Vater. Schwimmbadbau war ihr Gebiet und als schlankes Unternehmen konnten sie schnell Arbeitsgemeinschaften gründen und der Gewinn war leicht.
>>Die alte Garde macht die Geschäfte. Als Junger kommst du da schwer rein.<<, war eine der ersten Reden, die ich von ihm hörte.
Von Anfang an war er sympatisch. Er lachte viel und ihm war alles wurst.
>>Endlich ein Bruder im Geiste.<<, dachte ich und das war falsch.
So lustig war er nur, weil sein Pappi enorm viel Geld auf der hohen Kante hatte. Flüssig und investiert in große Objekte, die er dann teuer auch an Supermärkte vermietete. Wie jeden, so trieben auch ihn Versagensängste.
Zusammen besuchten wir Kneipen und diskutierten über Gott und die Welt. Wir spielten Schach und liefen die Wälder rauf und runter. Da schon offenbarte sich eine unangenehme Eigenschaft von Reto, er konnte nicht verlieren.
>>Oben mitspielen.<<, war seine Devise.
>>Oben dabei sein.<<
>>Mit allen Mitteln.<<
Das hat er damals nicht gesagt, nur von den anderen hat er erzählt, die bei Vertragsverhandlungen mit der Gemeinde sogar auf dem Klo bedrängt wurden.
Deswegen nur zu zweit auf die Toilette, bei Frauen ganz normal.
Auch Geldübergaben auf Autobahnparkplätzen seien nicht selten.
Ab und zu kam es vor, dass ich mit Reto allein im Auto saßund drei- oder viermal erzählte er dieselbe Geschichte. Besser gesagt, er stellte dieselbe Frage.
>>Was soll ein Mann machen, dem folgendes passiert?
Ich habe einen Nachbarn, dem sind auf tragische Weise drei Familienmitglieder verstorben. Die Frau hat sich erhängt. Danach ist ein Sohn verunglückt im Gebirge, Steinschlag. Und schließlich hat sich die Tochter vor einen Zug geworfen.<<
>>Nachbarn hast du!<<, antwortete ich lachend, da wir viel Spaß zusammen hatten und ich für jeden Scherz zu haben war, beinah.
An Mafia dachte ich noch nicht.
>>Heiraten und wieder Kinder kriegen.<<, war dann mein ernstgemeinter Rat.
Reto lächelte nur wissend und fuhr das Firmenauto weiter, wie jeder in der Großfamilie.
Retos Papps ist reich und so durfte ich eines Tages mit ins Wochenendhaus. Studienfreunde aus Leipzig warteten schon, wie auch sein bester Kumpel.
Wer Schnaps gern mag, dem sei Retos Haus empfohlen. Retos Freundschaft jedenfalls ist nicht viel Wert. Über den besten Freund verlor er kein gutes Wort. Ganz im Vertrauen, versteht sich und hintenrum. Nach vorne sah das anders aus.
Allerdings muß man auch ihn verstehen. Einmal hergehauen der Lakai, ist und bleibt er Untertier und muß das auch spüren.

Um einen Jugendtraum zu erfüllen und meine Schwester zu besuchen, fuhr ich nach Kiel.
Gemeinsam mit einem Neffen und seinen Freunden, bauten wir ein Baumhaus. Abends tauschten ich Erinnerungen mit meiner Schweste und wir besprachen alte Geschichten.
Die Zeit war schön, die Kinder nervig und so war ich froh nach zwei Wochen wieder im eigenen Bett zu schlafen.

Nicht sehr viel später ging es zur Fortbildung nach München.
Unangenehme Sachen erlebte ich, von intimen Kenntnissen über mich, die man mir vortrug und zusammenhanglosen Geschichten über Tod bis zur ausdrücklichen Aufforderung wenigstens ein bischen mitzumachen.
>>Die Mafia weiß sowieso alles.<<, war die Begründung eines Kollegen.
Das Beste aber kommt noch, da mein Freund Reto die Maske fallen ließ.
Erst machte Betroffenheit die Runde in meinem Freundeskreis, als ich am Wochenende kam.
>>Was?<<, meinte Sven, ein anderer Freund aus derselben Spatzenberger Gegend wie Reto.
>>Du spinnst. Was können die von dir schon wollen. Kannst nichts, hast nichts, bist nichts.<<
>>Stimmt. Trotzdem.<<, blieb ich ganz fest.
>>Knast könnte ich nicht brauchen.<<, meinte ein weiterer Freund zu diesem Thema.
>>Wie sieht das im Lebenslauf denn aus.<<
>>Egal.<<, war meine klare Antwort.
>>Ich arbeite nicht bei einer Behörde.<<
Porschefahrer und aus selbiger Region, gab es am Abend nur das Thema.
Mein Freund Reto hörte erst interessiert zu.
>>Bist du sicher?<<, fragte er von Zeit zu Zeit.
>>Hast du dich nicht geirrt?<<
>>Bin ich blöd?<<, kam es zurück von mir.
>>Hab ich Jura studiert oder du? Nur der Beweis ist ein Problem und auch nur für den, der keine Ahnung hat wie die Mafia arbeitet.<<
Nun wurde Reto schon nervöser.
Entschlossen kam er rauf zu mir und klingelte an meiner Tür.
>>Bist du ganz sicher mit der Sache in München?<<
Sein Handy hielt er ständig mir entgegen. Ich denke es war an und Pappi auf Empfang.
>>So sicher wie ich der Martin bin.<<
Das war nicht die richtige Antwort, denn nichts hielt ihn mehr auf seinem Stuhl. Er riss die Terrassentür ein paar Mal auf, die ich jedesmal schloss. Und lief dann schließlich zwei, drei Mal herum zum Nachbarn. Mit lautem Husten versuchte er ihn aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Umsonst, er war nicht da.
Komisch oder?
Aber es kam besser.
Einige Male gingen wir noch weg. Mal war er böse, mal irgendwie beleidigt.
Zuletzt trafen wir uns in einer Sportlerbar.
Ciao hier, ciao dort. Hier ein Espresso, dort ein Amaretto.
An der Theke, kaum hingesetzt, ging es schon los. Lautstark fragte er von vorne:
>>Was ist bei dir in München? Bist du ganz sicher? Irrst du auch nicht?<<
Dabei stieß er mich an und ließ sein Handy vor mir liegen.
Der Theker stand interessiert dabei und hörte mit.
>>Der Pappi schiebt die Dinge an.<<, war dann das Letzte was ich hörte.
>>Und Pappi kommt nach München.<<, erklärte er mir grinsend.
Das Maß war voll, selbst bei mir, dem Martin.
Alles zusammen genommen war eine klare Drohung.
Ich ließ ihm noch ausrichten über Sven, dass er sich ruhig verhalten soll. Kein Mensch mag es, wenn er bedroht wird. Selbst ich ertrage das nicht gut, obwohl man mir nachsagt, dass ich etwas langsam bin und viel zu gutmütig.
Er ließ mir wieder sagen, er habe mich nicht bedroht und dass ihm das Leid tun würde, wenn ich das dächte. Wenn ich nicht mehr mit ihm reden wollte, dann wäre das Schade, aber auch erledigt für ihn damit.
Na ja, das war schon so etwas wie eine Entschuldigung, wenn auch nur für Leute ohne Selbstachtung.
Es gingen Wochen und Monate ins Land. Die Fortbildung in München war zu Ende und ich bekam doch einen Job.
Er ist nicht gut, egal.
Aller Anfang ist schwer und da meine Familie aus dieser Gegend stammt, werde ich nicht verhungern.
Ich hatte ihn fast schon vergessen, den Reto. Nur ab und zu hörte ich noch von ihm über Bekannte. Lustig verkehren sie mit ihm, obwohl ich jedem alles erzählte.
>>Alles hängt zusammen.<<, ist ein Leitspruch von Sven.
Und damit hat er recht.
Ein Nachbar von Reto und früher bester Freund von Sven, meldete sich an.
>>Frühling ist und bald hast du Geburtstag.<<, meinte er.
>>Lass uns was essen und ich hab ein paar Fragen.<<
>>Gut prima.<<, war meine Antwort.
>>Ein Tee kommt mir ganz recht.<<
Der nette Nachbar kam dann auch bald und wir aßen Kuchen.
>>Reto mein Nachbar ist verschnupft.<<, kam er schnell auf den Punkt.
>>Das ist er oft.<<, fügte er hinzu.
>>Wie ich.<<, war meine Antwort.
>>Wie geht es gesundheitlich der Schwester? Gut?<<
Hmh.
>>Allen geht es gut. Vater, Mutter, Bruder, Schwester, samt den Kindern.<<
Ja, das war so etwa das Gespräch, das ich mit Retos Nachbarn führte und welches mich beschäftigt.
Was interessiert Retos Nachbarn die Gesundheit meiner Schwester? Und warum ist Reto verschnupft? Und schließlich, warum erzählt der Nachbar mir das alles?
Hmmh. Kurz mußte ich überlegen.
Ich denke, dass Reto mich bedroht, indem er droht der Gesundheit meiner Schwester etwas anzutun. Denn, ich habe weiter erzählt von meinen schlechten Erfahrungen. Und irgendwie stört das Reto. Oder doch hauptsächlich den Pappi und die alte Garde?
Opa Wollo jedenfalls hat mir schon ganz lieb zum Geburtstag gratuliert und mir für meine Gesundheit alles Gute gewünscht. Denn, so seine Worte,
>>Gesundheit ist doch das Wichtigste im Leben.<<
Sie sorgt sich eben die Familie.
Und meine Sorge gilt auch ihr.
Reto auf alle Fälle ist versorgt mit Ärger. Nicht nur dass er andere Menschen bedroht, nein ein Prozeß ist im Rollen gegen ihn, den Pappi und die Firma. Die meisten Bäder haben Löcher und das Wasser läuft heraus. Verträge soll er zurückdatiert haben, um horrenden Steuerzahlungen zu entgehen. Mit alten Kulis riet ihm ein beflissener Banker. Und Schulden sollen einem Sterbenden übertragen worden sein. Ausschlagung und als Letzter erbt der Staat.
Schluß.
Aus.

Wie war das noch im Mittelteil?







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