Die Nummer Eins
von Michael Kuhrdt (mageku)

 

Die Nummer Eins

>>Stop!<<, rief Harry so laut er konnte und schaute seinem Vater erwartungsvoll in die Augen.
>>D!<<, sagte dieser feierlich und fixierte seine vier Kinder der Reihe nach.
>>Alle Begriffe, die auf euren Zetteln stehen müssen mit einem D anfangen.<<
Wie die Orgelpfeifen saßen sie an dem großen Wohnzimmertisch und schrieben eifrig auf ihr Papier.
Einmal die Woche hatten Stefan und seine Frau sich vorgenommen einen Spieleabend zu veranstalten.
>>Zur Ausbildung des Sprachgefühls und Einübung gepflegten Sozialverhaltens.<<, wie Margot vielsagend erklärte.
In einer Elternzeitschrift im Wartezimmer gelesen, fand sie die Idee gut und in ihrem Mann einen begeisterten Anhänger.
>>So, mal sehen, was ihr zusammengebracht habt.<<
Nach zehn Minuten war jede Runde zu Ende. Richtige Antworten gaben einen Punkt.
>>Ein Land mit D?<<, fragte Stefan in die Runde.
>>Deutschland!<<, meinte Rolf.
>>Weiß doch jeder.<<, zischte Lisa und gab ihrem Bruder unter dem Tisch einen Tritt. Seit er am Morgen
ihre Lieblingsmalstifte ruiniert hatte, war sie nicht mehr gut auf ihn zu sprechen. In seinen ungeschickten Fingern ging fast alles zu Bruch.
>>Stadt und Fluß?<<, klang es aus der Küche.
Margot hatte sich nach der fünften Runde ausgeklinkt und räumte den Geschirrspüler aus.
>>Düsseldorf und Donau.<<, meldete sich Nina, mit fast sechzehn Jahren die Älteste in der Kinderrunde und nur noch schwer für derartige Familienaktivitäten zu begeistern. Sie schaute mißbilligend auf ihre jüngeren Geschwister.
>>Wirds bald? Ich hab nicht den ganzen Abend Zeit!<<
Ihr war mehr danach ein Buch zu lesen oder noch besser mit einer Freundin am Telefon zu quatschen.
>>Darmstadt und Don.<<, sagte Lisa.
>>Dortmund und Donau.<<, äußerte auch Harry.
>>Gut, gut.<<, seufzte Stefan.
>>Ein Runde noch, dann zählen wir zusammen.
I ist diesmal der Buchstabe.<<
Nach fünf Minuten waren alle fertig.
>>Italien, Iserlohn und Iller.<<, sprach Nina feierlich und legte den Zettel vor ihrem Vater auf den Tisch.
>>Und Tschüß!<<
>>Moment!<<, rief die Mutter aus der Küche.
>>Noch eine Sache, bevor ihr alle verschwindet. Am nächsten Sonntag ist großer Spielenachmittag im WalMart in der Stadt. In der Kinderabteilung sind Tische aufgestellt und alles ist schön österlich dekoriert. Ein Spieleturnier gibt es auch mit vielen Preisen und die Carla kommt.<<, meinte sie mit einem vielsagenden Blick auf Harry.
Ihr Vater hatte einen kleinen Friseursalon am Eingang des Supermarktes und war damit quasi der Pförtner des Ladens.
Jeder wußte in der Familie, dass die hübsche Klassenkameradin Harry nicht unwichtig war.
>>Was meint ihr dazu?<<
>>Bin schon verplant.<<, behauptete Nina und verschwand eilig in ihr Zimmer.
Die anderen drei hatten nichts dagegen sich das Ganze einmal anzuschauen.
>>Sonntags ist sowieso tote Zeit.<<, wie sich Rolf auszudrücken pflegte.
>>Gut!<<, wandte sich Margot an die dagebliebenen vier.
>>Der Papa, also du Stefan, wird mit euch am Sonntag zum WalMart gehen. Ich mache mir einen freien Nachmittag und treffe mich mit meinen Freundinnen auf einen Kaffee.<<
>>Aber!<<, versuchte ihr Mann die Sache abzubiegen.
>>Warum ich? Und auch noch zum WalMart?<<
>>Weil du der Mann bist im Haus und der Vater deiner Kinder.<<, blieb Margot hart.
>>Und was ist mit dem WalMart? Hast du Angst vor hohen Regalen?<<
>>Nein, aber allein mit den Kindern. Ich bin das nicht gewohnt.<<
Sie hatten Arbeitsteilung in ihrer Ehe. Er schaffte Geld ran und sie kümmerte sich um den Nachwuchs.
>>Macht nichts. Dann übst du das jetzt. Wenn ich krank werde, musst du auch damit fertig werden.<<
Pünktlich zur Mittagessenszeit standen die Fischers vor dem Eingang des WalMart und warteten mit einer Menge anderer Väter und ihrer Kinder auf Einlass.
>>Hallo Carla! Wie geht's? Wo sind deine Eltern?<<
Harry hatte in dem Gewühl ohne Mühe seinen Schwarm ausgemacht.
>>Ciao Harry! Der Papa arbeitet hier und die Mama hat mich nur hergebracht. Das ist wie Vatertag mit Kindern hat sie gemeint und da will sie nicht stören.<<
Sie hatte gemerkt, dass Harry sie mochte.
Die Türen gingen auf und mit einer großen Flüstertüte in der Hand dirigierte der kommende Mitarbeiter des Monats die hungrige Meute durch den Parcours.
Alle Nicht-Spielzeugregale waren mit Plastikfolie umwickelt. So konnte sich niemand die Taschen füllen und der dezente Hinweis auf die Überwachungskameras tat ein Übriges.
In dem freigeräumten Hauptgang vor der Rolltreppe waren Tische aufgebaut und eine Menge Bänke luden zum Sitzen ein. Pizza gab es für Kinder und Würstchen für die Väter.
>>Alle mal herhören!<<, rief der Mann.
>>Hier ist das Programm. Alle nicht verpackten Spielzeuge können natürlich benutzt werden. Wir haben einen Fahrrad- und Dreiradparcours zwischen den Regalen gegenüber. Dann eine Torwand für unserer Kicker. Frau Wiedmann liest hinten bei der Wurst den neuesten Harry Potter und die Kuschelecke für die Kleinen ist bei den Jeans.<<
Alle hörten mit vollen Backen zu.
>>Die Attraktion ist aber ein Turnier. Viele Preise gibt es zu gewinnen und Uno heißt das Spiel.<<
Stille herrschte in der Runde. Die Väter hatten aufgehört zu kauen und ein paar Kinder kramten krampfhaft im Gedächtnis.
>>Auch als Ochsenkopf oder Fünf nimmt bekannt.<<
Jetzt hellten sich bei vielen Kindern die Gesichter auf. >>Erster Preis ist ein Fahrrad, da drüben zu besichtigen.<<
Der Sprecher zeigte auf ein blaues Moutain-Bike auf einem Podest.
>>Anmeldung bei mir.<<
Sofort stürmten alle nach vorn.
Die Nachmittag schritt weiter fort und die Halle brach aus allen Nähten.
Das Uno-Turnier näherte sich dem Ende, mit Harry und Carla in der letzten Runde.
>>Ciao Stefan!<<
Stefan spürte eine Hand zweimal auf seiner Schulter und drehte sich um.
>>Machen sisch gut unsere Kleinen?<<
Toni zeigte auf Harry und Carla, die sich vor den entscheidenden Spielen noch einmal mit Cola und Kuchen stärkten.
>>Ja. Das kann man so sagen.<<, antwortete Stefan etwas unsicher.
>>Harry macht sich sogar so gut, dass ich glaube, er kann das Fahrrad gewinnen.<<
>>Das glaube isch nicht.<<, erwiderte Toni.
>>Ich bin ganz sicher, das Carla wird die nùmero uno. Und weißt du auch warum?<<
>>Nein!<<
>>Weil sie iste meine Tochter. Du verstehst, was ich meine?<<, fragte Toni und hustete danach zweimal leise.
Stefan wußte, was Toni damit meinte.
>>Der Bessere möge gewinnen, Toni.<<, schloss Stefan das Gespräch und beide wandten sich dem Geschehen zu, das nun begann.
Auf vier Spiele war das Finale angesetzt, damit jedes der zwei Mädchen und zwei Buben einmal geben konnte.
Nach zwei Spielen war eigentlich klar, dass nur zwei Kinder für den Sieg in Frage kamen. Und das waren Harry und das rothaarige Mädchen. Carla hatte nach dem ersten Spiel praktisch alle Chancen verloren, da sie in fast jeder Reihe die fünfte Karte legen musste und damit diese Reihen und viele Punkte bekam.
Das dritte Spiel sah das Mädchen leicht vorne und erst das letzte Spiel brachte die Entscheidung.
Mit drei Punkten Vorsprung gewann Harry und bestieg stolz sein Rad.
Mit strahlendem Gesicht fuhr er zu Carla, um sich bewundern zu lassen.
>>Billiger Mist.<<, meinte sie böse.
>>Wirst sehen, das Ding wird dir unter dem Hintern wegrosten.<<
Kein Wort des Lobes kam über ihre Lippen. Nur Wut und Enttäuschung konnte man bei ihr erkennen.
>>Geh weg!<<, erwiderte Harry.
>>Bist ja bloß neidisch.<<
Ohne sich weiter um sie zu kümmern, raste er ein paar Runden zwischen den Regalen.
>>Ciao Stefan!<<, kam es aus seinem Rücken.
>>Hey Antonio! Was gibts?<<
Stefan war guter Dinge, da er sich nicht hat einschüchtern lassen.
>>Ich glaube, du solltest einmal zu mir kommen, damit ich deine Haare schneide. Schau, wie siehst du aus? Wie ein alter Puma. Immer kurze Haare und schon ein bischen grau. Wir könnten färben und ein anderer Schnitt.
Wirst sehe, die Fraue...<<
>>Lass gut sein Antonio. Wir schneiden selbst und was Frauen angeht, ich habe kein Geld für Alimente.<<
Stefan war nicht mehr bei der Sache, da der Mann mit dem Megaphon dazu drängte die Kleinen einzusammeln und vor die Tür zu treten, wo eine weitere Überraschung auf sie warten würde.
Als Fischers draußen standen, trauten sie ihren Augen kaum. Ein grüner Sattelschlepper trug ein großes, blaues Ei auf seinem Rücken, das mit roten Girlanden verziert war und bunten Bildern auf der Schale.
Kaum waren die meisten der Besucher auf dem Parkplatz versammelt, als mit ohrenbetäubendem Lärm die Lautsprecheranlage tönte und ein Lied anfing wie folgt
>>Hmm, the days are coming. Hmm, the days are coming.<<
>>Das kenn ich das Lied!<<, schrie Lisa ganz entzückt.
>>Eigentlich gehört der Weihnachtstruck dazu, aber hierzu ist es auch nicht schlecht.<<
Kaum hatte sie das gesagt, als das Ei sich in der Mitte teilte und ein Pulk Küken wie Eigelb in die Zuschauer goß.
Sie verteilten Geschenke an die Kleinen und schwer bepackt fuhren alle nach Hause.
Daheim angekommen wurden sie von einer sichtlich ausgeruhten Margot begrüßt.
>>Na! Alles klar ihr Süßen?<<
>>Alles klar!<<, antwortete Stefan und gab seinem Schatz einen Kuß.









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