Der Präfekt
von Michael Kuhrdt (mageku)

 

Der Präfekt

>>Geschafft!<<, rief Randy und stürmte die Gangway hinunter.
>>Cool!<<, meinte Jean-Claude und stieg betont lässig, über einer Schulter seinen kleinen Rucksack, die tiefen Stufen hinab.
Seit Wochen schon hatten die beiden sich auf diesen Urlaub gefreut und jetzt waren sie fast am Ziel. Korsika hieß für sie Insel, Sonne, Meer.
>>Oh, ist das hell!<<
Birgit war mit Marliese an der Hand an den Ausstieg getreten und hielt die andere Hand über die Augen.
>>Weiter, weiter die Herrschaften.<<, tönte es hinter ihnen.
>>Wir fliegen sonst wieder mit zurück.<<
Gero lugte über den Kopf von Liese hinweg in das gleißende Licht.
Karg, aber ordentlich lag das Flughafengebäude unter blauem Himmel etwa einhundert Meter von dem gelandeten Flugzeug entfernt.
>>Hast du den Typ hinter uns gesehen?<<
Jean-Claude gab Randy einen leichten Stupser mit dem Ellenbogen, während sie über das Rollfeld liefen.
>>Ja? Was ist mit dem?<<
>>Der hatte eine Waffe in seine Jacke gewickelt.<<
Jean-Claude sah dabei starr auf den Boden.
>>Du spinnst!<<, rief Randy und schubste den Freund von sich weg.
>>Das stimmt aber!<<, erwiderte Jean-Claude.
>>Als ich zu Lesen was brauchte, wollte ich den Rucksack rausziehen und eine braune Wildleder-Jacke beiseite schieben. Das ging nicht. Etwas Langes, Schweres war darin eingewickelt.<<
>>Und wo ist der Typ jetzt?<<, fragte Randy.
>>Keine Ahnung. Der ist schon raus, glaube ich.<<
Jean-Claude schnappte sich seinen Koffer vom Rollband und eierte seinem Freund hinterher vor das Flughafengebäude.
Auf der Fahrt mit dem Leihwagen in ihre Ferienanlage kamen sie an Ortsschildern vorbei, die von Schüssen durchsiebt waren.
>>Wie im Wilden Westen.<<, meinte Jean-Claude und zeigte auf ein zerbeultes Blech.
>>Schon irgendwie komisch.<<, rätselte Randy und biss in einen Schokoriegel.
Angekommen in der Bungalow-Anlage, die malerisch um einen Swimmingpool gruppiert war, mit rot blühenden Bougainvillea-Ranken an den Wänden, galt ihr erster Erkundungsgang dem Meer, das zweihundert Meter ein trockenes Flußbett hinunter den Kies leckte. Der Wind war frisch jetzt Ende September und die Wellen hoch, sodass sie froh waren zum schützenden Häuserbereich zurückzukehren.
>>Ciao! Wie bei Ferrari im Windkanal, oder?<<
Auf der Terrasse des Nachbar-Bungalows stand ein Mann vom Tisch auf, an dem er mit seiner Familie zu Abend aß.
>>Ja, es zieht hier gewaltig.<<
Birgit blickte mit Liese auf dem Arm über die Hecke.
>>Gestatten? Wir sind Familie Bartoli.<<
Herr Bartoli zeigte auf seine Frau und Zwillinge in Marlieses Alter.
>>Wenn Hilfe brauchen, dann bitte kommen sie.<<
>>Gerne. Wir sind die Remmele.<<
Birgit zeigte dabei auf Randy.
>>Und wir sind Familie Meier.<<
Kurt deutete auf Jean-Claude, der gerade eine Oleanderblüte von der Hecke pflückte.
Die Nacht schliefen sie nach dem anstrengenden Tag wie die Murmeltiere und Randy träumte von wilden Gestalten mit Gewehren und großen Hunden.
Der erste Ausflug führte in die Berge. In einer kleinen Stadt mit malerischem Ausblick und interessanter Kirche machten sie Rast. Die wenigen Läden waren schnell durchstöbert und so gingen die Freunde in das Gotteshaus.
Die Kathedrale war dunkel, aber sie erkannten betende Frauen in den Bänken und wartende Männer an der Wand.
>>Wie in der Geisterbahn.<<, flachste Jean-Claude.
>>Ja.<<, antwortete Randy und fasste ihm in den Nacken mit seiner vom Eisbecher gekühlten Hand.
>>Eiskaltes Händchen lässt grüßen.<<
Danach lachten beide wie verrückt.
Die Frauen drehten sich um und die Männer kamen näher.
>>Komm!<<, zischte Jean-Claude aufgeregt.
>>Hauen wir ab.<<
Er zog Randy mit nach draußen. Zwei Männer folgten langsam, blieben aber am Eingang stehen.
>>Hast du das bemerkt?<<, fragte Jean-Claude.
>>Die sind uns nach.<<
>>Ach was.<<, meinte Randy.
>>Das bildest du dir ein.<<
Die nächsten Tage verbrachten sie am Strand oder Pool. Als Randy eines morgens nach einem Hechtsprung aus dem Wasser auftauchte, glotzten ihn die Augen einer Kröte an.
>>Igitt!<<, schrie er.
>>Was ist denn das!<<
Das Tier war tot und trieb, alle viere von sich gestreckt, auf dem Wasser. Randy hob es auf den Rand und legte es dann unter die Hecke. Als er gerade wieder in das Wasser springen wollte, sah er eine Menge weiterer Kröten im Wasser treiben, die er vorher mit Blättern verwechselt hatte.
>>Seltsam.<<, sagte er an Jean-Claude gewandt, der verschlafen am Becken aufgetaucht war und zeigte ihm das Desaster.
>>Das ist nicht seltsam. Der Pool liegt auf einem Krötenwanderweg und es gibt keinen Ausstieg für die Tiere. Seltsam ist etwas anderes.<<
>>Was?<<, fragte Randy.
Jean-Claude nickte mit dem Kopf zum Bungalow rüber.
Dort standen Birgit und Paulo, ihr Nachbar in einem angeregten Gespräch vertieft.
Das heißt Randys Mutter war angeregt. Sie warf von Zeit zu Zeit den Kopf in den Nacken und lachte hysterisch. Paulo stand da und erzählte.
Ein Tag ähnelte dem anderen und um ein wenig Abwechslung zu haben, stromerten die Jungs das Flußbett hinauf. Schon von weitem leuchteten die Stämme der geschälten Korkeichen karminrot. Ein Stückchen oberhalb am Berg waren die Bäume verbrannt. Wie das schwarze Feld eines Schachbretts, hob sich die verkohlte Fläche von seiner beigen Umgebung ab.
>>Seltsam.<<, wunderte sich Randy.
>>Was ist da denn passiert?<<
>>Nichts ist daran seltsam.<<, antwortete Jean-Claude.
>>Die Pflanzen sind trocken nach diesem Sommer und ein Funken steckt alles in Brand. Seltsam sind andere Sachen, mein Freund.<<
>>Welche Sachen?<<, fragte Randy.
>>Wirst schon sehen.<<, gab Jean-Claude zurück.
Auf dem Rückweg pflückten sie eine Strelizie, die mitten im Flußbett wuchs. Birgit freute sich riesig darüber, als die Jungs ihr die Blume beim Kaffee überreichten.
>>Mami, warum lachst du so komisch, wenn du mit Paulo redest?<<
Kurt ließ die Gabel auf den Teller fallen.
>>Ach, der Paulo.<<, erwiderte Birgit und lächelte vielsagend.
>>Der kann eben plaudern.<<
Um die Freundschaft zu vertiefen und weil es mehr Spaß machte, luden die Bartolis zum Grillen ein. Ein dicker Lachs kam in die Folie und für die Kinder gab es Würstchen.
>>Der Paulo braucht Butter.<<, sagte Gero, als er den Salat aus dem Kühlschrank holte und klatschte Randy ein Stück unverpackt in die Hand.
>>Igitt, was soll das.<<, meinte Randy.
>>Gibts keine Teller?<<
>>Wir müssen sparen.<<, war die Anwort.
>>Und hab dich nicht so.<<
Der Lachs war lecker, die Würstchen auch und alles hätte ein harmonisches Ende finden können, wenn nicht Randy so verflixt wehleidig gewesen wäre.
Als er den Grill bewachte, kam Jean-Claude vorbei und trat wuchtig ihm auf den Fuß.
>>Spinnst du Jean-Claude, das tat weh!<<, schrie Randy.
>>Seltsam.<<, äußerte Jean-Claude.
>>Ich hab gar nichts bemerkt.<<
Der Fuß schwoll an von Randy und seine Mutter kümmerte sich liebevoll um ihn.
>>Irgendwas stimmt hier nicht.<<, meinte Randy.
>>Mit der Insel und auch sonst.<<
>>Ach was.<<, erwiderte Birgit.
>>Das bildest du dir ein.<<
>>Und was ist mit den zerschossenen Schildern?<<
>>Jugendlicher Unfug.<<
>>Auch was Jean-Claude und sein Papa getan haben, war nicht nett.<<
>>Du übertreibst. Ein wenig Salbe darauf und bald bist du wie neu.<<
Zwei Tage humpelte Randy durch die Anlage.
>>Wie siehts aus?<<, fragte Gero am dritten Tag.
>>Ich möchte die Berge mit dem Mountain-Bike rauf. Hast du Lust mitzukommen?<<
Randy war einverstanden und am Nachmittag ging es los.
>>Einen Helm haben wir leider nicht für dich, aber das geht schon so.<<
Gero hatte sich auf sein Rad geschwungen und radelte in voller Montour voraus.
Es roch herrlich würzig, als sie den Fuß des Berges erreichten und der Aufstieg begann. Der Weg war mit scharfkantigen Steinbrocken übersät, was einen Rhythmus erschwerte. Oben angekommen genossen sie den Ausblick.
Ein Vogel hatte sich durch ihr Gekeuche stören lassen, ansonsten war nur der Wind zu hören.
Geschwindigkeit und schlechter Boden, ließen die Abfahrt zu einem Abenteuer werden. Gero ratterte voraus und Randy versuchte so gut es ging mitzuhalten. Der fehlende Sturzhelm bremste seinen Wagemut, aber kurz vor dem Ende passierte es doch. Die Kraft ließ nach bei Randy und damit die Konzentration, sodass er stürzte. Der Kopf blieb heil, nur ein Arm trug eine tiefe Fleischwunde davon.
>>Mein armer Junge.<<, murmelte Birgit, die bei ihrem Sohn hinten im Krankenwagen saß.
>>Du hättest mich nie mitfahren lassen dürfen.<<, stöhnte Randy.
>>Das war viel zu gefährlich.<<
>>Das wusste ich doch nicht.<<, jammerte Birgit.
>>Außerdem war Gero dabei.<<
Auf der Rückfahrt vom Krankenhaus kamen sie an pastellfarben gestrichenen Häusern vorbei, aus denen gleichgültige Menschen schauten.
Ins Nasse konnte Randy nicht mit seiner frisch genähten Wunde. So saß er am Ufer und sah den anderen beim Baden zu. Grün und türkis leuchtete das Wasser, aber so sehr Randy auch suchte, Fische entdeckte er keine.
>>Seltsam.<<, dachte er sich.
>>In den Bergen gibt es keine Vögel und im Meer sind nirgends Fische. Irgendetwas stimmt hier nicht.<<
Ein lautes Brummen ließ ihn nach oben schauen. Ein Wasserflugzeug schwebte über den Strand hinweg und wasserte ein Stück weiter draußen. Dann hob es wieder ab und flog zurück in die Berge.
>>Schon wieder ein Brandherd.<<, rief Jean-Claude und deutete nach hinten.
Die Wirte des kleinen Restaurants der Anlage veranstalteten ein Fest an diesem Abend. Eine Band spielte Schlager und ein paar Leute tanzten. Gero, der die Musik als erster hörte, meinte:
>>Kommt laßt uns tanzen gehen. Ich frag die Bartolis.
Die machen bestimmt mit.<<
Randy hatte alles satt, die Insel und die Menschen um sich herum. Alles kam ihm seltsam vor und zum Tanzen hatte er schon gar keine Lust.
Als dann auch noch Gero mit Frau Bartoli zu schwofen anfing und Herr Bartoli mit seiner Mutter, wäre Randy am liebsten ein Buch lesen gegangen.
Aber er blieb und es wurde ein schöner Abend. Er tanzte mit allen Mädchen, die nicht schnell genug eine Ausrede parat hatten und nach längerer Zeit war er wieder zufrieden.
Die Nacht war so schön, dass er sich entschloss den kurzen Weg zum Meer hinunter zu gehen. Morgen sollte Abreise sein und er wollte sich auf seine Weise verabschieden. Die andere Strecke zwischen den Häusern hatte er kaum beschritten, als ihn der Platzwart mit seinen Hunden überholte.
Sehr große Tiere waren das, oben schwarz und unten rotbraun. Und so hießen sie auch: >>bas rouge<<.
Sie liefen vorbei und beachteten ihn kaum. Nur einer der Hunde blieb stehen und schaute ihn nachdenklich an.
>>Gut, dass wir fahren.<<, dachte Randy und erzählte am nächsten Morgen die Begegnung.
>>Seltsam? Du spinnst!<< erklärte Gero.
>>Das sind Wachhunde und früher schützten sie vor Wölfen, deswegen sind sie so groß.<<
Zurück in der Heimat kam der Winter in das Land und Randy ging mit Jean-Claude und ein paar anderen Freunden zum Skifahren. Sie wohnten in einer schönen Hütte und verbrachten ein paar angenehme Tage, bis Jean-Claude der Rappel packte.
Er schlug vor in einer Schlange zu fahren. Einer hinter dem anderen, mit gespreizten Beinen, nahm er sie mit einen Steilhang hinunter. Für ihn kein Problem als sehr gutem Skifahrer, für Randy schon. Er brach sich ein Bein und fiel wochenlang aus.
>>Das gibts doch gar nicht!<<, schrie Randy, als er in einem stillen Augenblick an die seltsamen Ereignisse dachte.
>>Hier ist was faul!<<
>>Junge? Was ist denn jetzt schon wieder?<<, kam seine Mutter gelaufen.
>>Du hättest mich nie mit lassen dürfen auf die Hütte.<<, brüllte Randy.
>>Der Jean-Claude ist total verrückt. Da hätte wer weiß was passieren können.<<
>>Randy, da ist nichts.<<, sprach seine Mutter und dachte anders.
>>Du bist zu jung. Bald sag ichs dir, nur noch ein wenig warten.<<
Im Frühjahr, drei Monate später, wurde auf Korsika der Präfekt erschossen.
In Ajaccio, auf offener Straße, vor dem Theater, mit einem Gewehr.





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