Der Quetscher und die Fängerin
von Michael Kuhrdt (mageku)

 

Der Quetscher und die Fängerin

Ich möchte euch eine Geschichte erzählen, die so unglaublich ist, dass sie fast schon wieder wahr sein kann.
Aber hört zu und dann entscheidet selbst. Vor allem aber urteilt nicht vorschnell, denn wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein, heißt es in einem Buch. Andere Menschen sagen dazu, wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen schmeißen.
Nun, ich habe einiges gesehen und gehört in all den Jahren. Viel kann mich nicht mehr erstaunen. Denn ich bin überall und so sollen es auch alle erfahren.
Auf meinem Weg von Süden habe ich auf der Höhe eines Flußtales geruht und hinunter auf die Stadt geschaut. Dort sah ich etwas, das es überall so gibt, ein vollständiges, altes Dorf inmitten der anderen Häuser. Strohgedeckte Hütten stehen im Kreis um einen Marktplatz herum. Es gibt Handwerker aller Art, auch einen Bäcker und einen Bürgermeister. Da der Platz knapp ist, wohnen die Menschen der neuen Welt Tür an Tür mit den Leuten aus alter Zeit.
Und schon sind wir mittendrin in unserer Geschichte.
Das letzte Haus im Dorf bewohnte ein Pärchen. Sie eine Heilerin, er der Hufschmied. Nebendran, sie teilten praktisch den Garten, lebte ein Junggeselle in einem neuen Haus. Früh hatte er seine Frau verloren und so widmete er seine ganze Zeit der Aufzeichnung alter Sagen und Lieder.
Minnesänger nannten sie ihn im Dorf. In der Stadt wurde er übersetzt>>der im Schlamassel steckt<< gerufen, da er keine Familie besaß, die sich um ihn kümmerte.
Die Eheleute hatten zwei Tiere, einen Hund und eine Katze. Der Hund war weiß und groß und schwer und hieß Zerberus. Die Katze hatte eine zierliche Gestalt, war pechschwarz und hörte auf den Namen Anam, welches auf keltisch dunkle Seele bedeutete.
Oft sah ich wie das kleine Kätzchen durch den Garten tigerte, vor der Vogeltränke hinter einem Busch versteckt auf der Lauer lag oder auf einem halb umgekippten Baum umher kletterte.
Zerberus hingegen schnüffelte hier und da, soff regelmäßig die Tränke aus und sah ansonsten den Garten als seine Toilette an.
Roland, so hieß der Barde, lief oft im Garten umher, wenn er dachte. Er summte Melodien und suchte Worte die dazu passten. Dabei schloss er Anam in sein Herz. Er holte sie vom Baum, wenn sie vor Verzweiflung maunzte, er gab ihr Futter, wenn sie beim Nachbarn vor verschlossener Tür stand und sie schlief sogar bei ihm. Dafür hatte er die oberste Schublade eines alten Werkzeugschrankes mit einem roten Pullover ausgepolstert. Wie über eine Treppe stieg sie die halb geöffneten Schubladen hinauf und schaute dann von oben, mit zufallenden Augen, auf
seine über die Blätter huschenden Hände.
Ihr Mann Otmar kümmerte sich um den Hund. Er war von Berufs wegen mehr für das Grobe, im Streit hatte er früher einen Mann erschlagen und das spiegelte sich in seinem Auftreten wieder. Er rotzte und hustete Sommers wie Winters. Allein das machte ihn feinfühligeren Menschen gegenüber sehr unangenehm. Er besaß große, harte Hände und einen stieren Blick, der manche Menschen einschüchterte, ohne dass er den Mund aufmachen musste. Wenn er dies tat, dann hatte ihm die Natur dafür zwei Möglichkeiten mitgegeben. Entweder versuchte er verschlagen sein Ziel zu erreichen oder aber er ging brutal durch die Mitte. Letzteres nur, wenn er sicher war zu gewinnen. Ohne Rückendeckung machte er gar nichts.
Und da kommt Wendy ins Spiel.
Seine Frau liebte er über alles.Trotz ihrer zarten Gestalt, hatte sie die Hosen an im Haushalt. Ihr Mann konnte noch so wütend werden, mit seinen derben Fäusten drohen oder sie wüst beschimpfen. Sie hielt dem stand und mehr noch, sie machte ihn zu ihrem Spielball, aber davon später.
Wendy, die Herrin der Katze, war anfangs besorgt, als ihr kleines Tier nachts nicht nach Hause kam. Dann wurde sie richtig wütend darüber.
>>Bist du wahnsinnig?<<, rief sie erregt ihrem Nachbarn zu, nachdem das Kätzchen wieder eine Nacht bei dem Barden verbracht hatte.
>>Ich mache mir jedesmal Sorgen. Sie hätte verunglückt sein können oder wurde weggefangen.<<
Er brachte kaum ein,
>>Entschuldigung.<<, hervor.
>>Daran hab ich nicht gedacht. Schließlich wohnen wir nebeneinander.<<
Männer sind etwas schwerfälliger als Frauen. Aber das hätte sie eigentlich wissen müssen, denn ein Prachtexemplar wohnte schließlich im eigenen Haus.
Jedenfalls sah Roland das Kätzchen lange Zeit nicht mehr im Garten. Oft schaute er hinüber, um ihr süßes Gesichtchen zu sehen. Aber nur Zerberus drehte seine Runden und sah ihm drohend in die Augen, wenn er der Grenze zu nahe kam.
Einige Male kam es ihm vor, als könnte sie das Kätzchen lenken. Er sah Anam auf dem Weg in seinen Garten und sogar vor seiner Türe stehen. Dann plötzlich, wie auf ein inneres Signal hin, drehte sie ab und war mit ein paar Sätzen weg.
Die Zeit rannte weiter und ich trieb mich hier und dort herum. Das Paar und der Sänger vertrugen sich wieder, so hatte es den Anschein. Sie liehen sich Töpfe, wenn groß aufgetischt wurde und halfen sich gegenseitig bei kleinen Erledigungen.
Der Schein trügte. Im Verborgenen kochte es weiter.
Jeder Mensch hat seine Schwächen. Einige können sie gut verstecken, aber mit ein wenig Geschick kommen sie ganz schnell zum Vorschein.
Geschick war bei Otmar gar nicht nötig. Er war süchtig. Unvorsichtigerweise hatte Wendy ihn einmal zum Kräutersammeln mitgenommen, als ihr Vorrat an Kamilleblüten und Salbeiblättern zur Neige ging.
Auf einen Pilz hatte sie gezeigt und gemeint,
>>Ein paar Bissen von diesem hier, nicht zu viel und gut durchgekaut, bringen dich in ein Land, von dem du bis jetzt nicht zu träumen gewagt hast.<<
Sie lächelte bei ihren Worten verzückt und rollte dabei etwas verrückt die Augen.
Otmar hatte die Ohren gespitzt und war seitdem eifriger Pilzesammler.
Ihr fragt euch bestimmt, wie es so etwas geben kann, ein eigenständiges, mittelalterliches Dorf in einer modernen Stadt? Vielleicht ist es Zeit eine Erklärung zu finden.
Von jeher gab es Herrscher und Beherrschte, Könige und Sklaven. Um sich gegen Tyrannen zu wehren, schlossen sich die Geknechteten zusammen und bildeten eine eigene Organisation. Diese waren wie kleine Gemeinden organisiert, hatten einen ersten Mann, Menschen, die mehr dem Handwerk zugetan waren, aber auch Intellektuelle, die planten und die Aktivitäten dieser Schar steuerten. Um sich zu finanzieren, zogen sie bei den Reicheren eine Steuer ein. Im Untergrund hatten sie gegen die Fremdherrschaft gekämpft und existieren auch nachdem alle Unholde vertrieben wurden weiter fort.
Das ist eine Erklärung.
Die andere besagt, dass die Vorfahren dieser wilden Gesellen im Sold von Kirche und Adel standen und ihre Güter bewachte. Nachdem beiden ein Großteil der Privilegien entzogen wurde und damit auch ihr Besitz, stand der wilde Haufen auf der Straße. Er musste sich nach neuen Einnahmequellen umsehen. So organisierte er sich und bedrohte das Leben der Wohlhabenderen. Als Gegenleistung für das Verschonen nahm er Geld. Und das ist noch heute so.
Da habt ihr nun zwei Erklärungen über das Entstehen dieser Dörfer.
Welche die richtige ist spielt keine Rolle. Jedenfalls nicht für das böse Ergebnis dieser Entwicklung. Die eine Meinung geht davon aus, dass sich aus einer guten Idee Böses entwickelt hat. Die andere sagt, das Schlechte war von Anfang an mit diesen Leuten.
Jedenfalls leben sie heute noch nach ihren alten Regeln und haben die alten Ziele.
Das Dorf ist dabei ihre Basis geblieben. Hier lebt der harte Kern von ihnen, da treffen sie sich nach erfolgreichen Raubzügen, um ihre Feste zu feiern. Dort werden auch neue Pläne ausgeheckt, um ihren Einfluß auszudehnen.
Damit aber nicht genug. Wie eine Seuche haben die rauen Gesellen die Menschen der modernen Welt infiziert. Viele halten still, weil sie ängstlich sind. Andere haben Gefallen gefunden an der Lebensart dieser Menschen, feiern mit ihnen und gehen Verbindungen ein. Nicht wenige ließen sich anwerben und sitzen nun schwer erkennbar in Firmen und Behörden, aber auch in Familien. Sie versuchen das Wohl der Organisation zu mehren und schaden damit ihrer eigenen Gesellschaft. Sie geben Informationen weiter über Firma und Personen und erleichtern damit das Handwerk des harten Kerns, der immer schon den Hauptteil des Gewinns abschöpft.
Roland wohnte neben alten Vertretern der Organisation.
Wendy war eine fleißige Frau. Wenn ihr Mann mittags nach Hause kam, stand eine warme Mahlzeit auf dem Tisch. Regelmäßig putzte sie das Haus von oben bis unten, was auch nötig war wegen der vielen Haare, die ihre Tiere verloren. Die liebste Zeit aber verbrachte sie im Wald. Wenn alles erledigt war, sah ich sie oft mit dem Kätzchen, das ihr wie ein gehorsamer Hund folgte, den Marktplatz überqueren und über die Brücke des angrenzenden Flusses schreiten. Dahinter erstreckte sich ein Wäldchen, indem viele Kräuter wuchsen. Im Schatten der Bäume gediehen gute und schlechte Pflanzen. Natürlich hat jede Pflanze gute und schlechte Seiten, wie die Menschen. Die Blätter und Wurzeln der Tollkirsche haben krampflösende Wirkung. Die schwarzen Beeren dagegen sind giftig. Wendy sammelte alles, hatte aber ein starkes Interesse an der dunklen Seite der Heilkunst.
Voll beladen kam sie aus dem Wald zurück und ging dann zwei Tage nicht mehr aus dem Haus. Die Pflanzen mussten getrocknet und zerrieben werden oder wurden gekocht und der Extrakt in Fläschchen abgefüllt.
Anam strich ihr dabei um die Beine, hüpfte auf den Küchentisch und schlug mit der Pfote nach den Kräuterbündeln, die an Schnüren von der Decke hingen.
Zerberus hingegen fühlte sich vernachlässigt und knurrte böse zu dem Kätzchen hinauf, wenn es sich gerade schnurrend besonders gut amüsierte.
Genauso ging es Otmar. Wenn er in dieser Zeit abends von der Arbeit kam, saß alles in der Küche. Zerberus wachte missmutig an der Tür, das Kätzchen hockte vor Wendys Händen und seine Frau ruhte auf einem hohen Stuhl.
>>Ich geh dann wieder.<<, war seine Reaktion und er verschwand. Er ging dann zum Marktplatz und kam erst spät nachts wieder nach Hause.
Daran war nun weiter nichts Ungewöhnliches.
Seltsam wurde es nur für Roland in der Folgezeit.
Als würde sich ein schwerer schwarzer Vorhang ganz langsam zuziehen und ihm das ganze Licht nehmen, überzog ihn das Nachbarpaar mit einer Intrige.
Es fing ganz harmlos an.
Das Kätzchen durfte wieder zu ihm, was ihn sehr freute, da er Sonne in seinem Alltag brauchte, um schreiben und singen zu können.
Dann lag ein Vögelchen tot vor seiner Tür.
Man traf sich öfter im Garten und sprach über Rezepte und Politk.
>>Denkst du oft ans Sterben?<<, fragte sie ihn.
>>Nein.<<, sagte er.
>>Ich schon.<<
Bei Problemen im Haushalt war Roland ein williger Helfer. Und das war die Falle.
Der bösartige Mensch hat eine einfache Taktik. Er bittet das Opfer um einen Gefallen. Geht es darauf ein, hat es sich im Spinnennetz verfangen und das Unheil nimmt seinen Lauf. Lehnt es ab, dann tritt Plan B in Aktion. Das Opfer hat nicht geholfen in der Not, also Feuer frei.
Wendy hatte abends den Müll raus getragen. Die Tür war zu hinter ihr und der Schlüssel lag im Haus.
Ich bin das nicht gewesen, das möchte ich hiermit klarstellen. Für viel Unheil bin ich verantwortlich, das muss ich zugeben, aber nicht für alles. Verschlagenes Handeln ist nicht mein Ding.
Sie klingelte beim Nachbarn und fragte was sie machen solle.
>>Mir ist die Tür zugefallen.<<, sagte sie.
>>Und der Schlüssel ist in meinem Mantel.<<
>>Tja.<<, meinte Roland, dem Böses schwante.
Tags zuvor hatte sie vergnügt Tom Dooley gesungen.
>>Vielleicht ist das Fenster zum Garten offen.<<
Sie gingen durch sein Wohnzimmer und über den Rasen.
Alles zu.
>>Na macht nichts, mein Mann kommt bald.<<, gab Wendy zum Besten, als sie wieder in seinem Wohnzimmer standen und machte Anstalten zu gehen.
Wie bestellt, kam Otmar in diesem Augenblick nach Hause und sah wie Wendy die Haustür des Nachbarn von innen öffnete.
Nichts passierte.
Aber das war nicht ihr Verdienst. Ihr zweites Hundchen funktionierte nicht richtig.
Das Leben lief weiter, als wäre nichts geschehen. Das ist eben das Verrückte am Bösen, wenn es alltäglich wird oder wie ein Fluch das Leben der Menschen umwebt.
Roland stellte den ersten Teil seines Buches über Sagen eines alten Volkes fertig und widmete sich erst einmal seiner zweiten Leidenschaft, dem Singen. Es kostete ihn Mühe Melodien zu erfinden. Texte zu schreiben fiel ihm leichter. Aber es machte Spaß und so ging er pfeifend und singend durch die folgenden Wochen. Nebenan wurde der Hund immer dicker und bekam eine Herzattacke nach der anderen, bis Wendy dahinter kam, dass er regelmäßig auch das Katzenfutter herunter schlang.
Anam unterdessen behielt nur deswegen ihre Form, weil sie sich in der Nachbarschaft versorgte.
Sie war und blieb, als sie älter wurde, ein süßes Kätzchen. Nicht umsonst aber hieß sie dunkle Seele.
Einmal, als Roland an seinem Schreibtisch saß und über eine Begleitung für ein neues Lied grübelte, sah er wie sich ein Eichhörnchen lärmend von Ast zu Ast und Baum zu Baum, von links nach rechts an seinem Fenster vorbei bewegte. An einer Stelle war der Abstand zu weit zum Springen, sodass das Hörnchen vom Baum herunter musste.
Als das geschah, stockte Roland der Atem. Nicht weit entfernt von der Stelle, lag schon seit einiger Zeit Anam im Gras und beobachtete die Szene. Mit zuckender Schwanzspitze lauerte sie dort, unbemerkt vom Eichhörnchen. Mit zögernden Sätzen kam es herbei. Roland sprang auf und klopfte an die Scheibe. Trotzdem kam es zum Kampf. Die Katze fauchte und das Hörnchen schrie. Irgendwie befreite es sich und raste keckernd in Sicherheit. Ein wenig verdutzt verließ Anam den Schauplatz. Das Hörnchen war fast so groß wie das Kätzchen selbst gewesen.
In derselben Nacht bedrohte Wendy Roland im Traum.
>>Soll ich dich töten?<<, rief eine weibliche Stimme und er erwachte.
>>Das klang zu echt.<<, sagte Roland zu sich und interessierte sich seitdem auch für die andere Welt.
Dem Kätzchen geht es weiterhin gut.
Es ist einfach süß, trotz seiner Macken. Allerdings muss es jetzt ein Glöckchen tragen, damit so etwas wie mit dem Eichhörnchen nicht wieder passiert.
Woher ich das alles weiß?
Nun, wer durch alle Ritzen pfeift und in jede Lunge dringt, kann allerhand erzählen.
Ich bin der Wind.



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