Gedankenkrieger
von Michael Kuhrdt (mageku)

 

Gedankenkrieger

Wie versteinert saß er vor dem Fernseher. Was er eben gesehen hatte, konnte er einfach nicht glauben. Sein Lieblingsspieler seines Lieblingsvereins hatte gerade zwei hundertprozentige Torchancen gegen den Titelaspiranten vergeben und dann als Krönung seiner Leistung ein Eigentor geschossen. Damit war der Abstieg fast besiegelt.
>>Es gibt Tage, da läuft einfach alles schief.<<, erklärte ein verstörter Stürmer in das Mikrofon des Reporters.
>>Kann man nicht mehr ändern.<<
Er schaltete den Fernseher aus.
>>Schatz! Haben wir heute Abend schon was vor?<<
>>Nein, am Sonntag wollen wir einen Spaziergang machen.<<
>>Schlimm, wenn wir ausgehen?<<
>>Wenn es dringend ist?<<
>>Für mich schon.<<
>>Kindskopf. Aber gut. Ich mach mich fertig.<<
Während sie im Bad rumorte, lief er in Gedanken versunken in der Wohnung umher.
Richtig sauer war er. Jahrelang hatte sein Verein um den Wiederaufstieg in die erste Liga gekämpft. Und jetzt verloren sie ein Spiel nach dem anderen in der höchsten Spielklasse auf eine sehr unglückliche Weise.
Pech nannten es die einen, Unvermögen die anderen.
>>Nicht witzig.<<, war seine Meinung dazu.
Am Fenster blieb er stehen und schaute auf den allmählich zunehmenden Samstag-Abend-Verkehr.
Irgendwo da draußen lief er herum und es war nicht leicht ihn zu finden. Aber er wusste, wo er anfangen musste zu suchen.
>>Schatz! Nehmen wir Björn mit?<<
Er horchte in Richtung Badezimmer, aus dem leise Radiomusik erklang.
>>Bist du verrückt? Um die Uhrzeit? Der bleibt schön zu Hause. Am Sonntag reicht.<<
Er setzte seine unruhige Wanderung fort.
>>Was ist, wenn er schon weg ist?<<, überlegte er.
>>Dann gehen wir essen. Jedenfalls werde ich dafür sorgen, dass es kein verlorener Abend wird.<<
Er griff nach einem Buch, dass auf dem Wohnzimmertisch lag und indem seine Frau augenscheinlich gerade las.
>>Warum ich?<< war der Titel.
>>Kann man immer fragen, im Guten wie im Schlechten.<<, dachte er.
Als er das Buch zurücklegte, kam sie aus der Tür.
>>Können wir?<<, strahlte sie ihn an.
>>Und ob!<<, rief er aus.
Er sah sie an und es verschlug ihm den Atem. So lange waren sie schon verheiratet und stets genügte ein Moment der Trennung, um sie neu zu entdecken.
Er gab ihr einen Kuss, dann zogen sie die Tür hinter sich zu und stürzten sich ins Nachtleben.

Gerhard lehnte entspannt an dem Geländer vor dem Elefantengehege.
>>Samstag ist ein guter Tag.<<, dachte er sich.
>>Viele Mütter sind mit ihren Kindern unterwegs und die Väter beschäftigen sich mit Sport. Ich will nicht mehr Otto heißen, wenn heute kein Schnäppchen dabei ist.<<
Er grüßte eine vorbeigehende Mutter mit ihrer halbwüchsigen Tochter.
>>Morgen Frau Meier! Früher Vogel fängt den Wurm, was?<<
>>Morgen Herr Doktor! Sind sie ein Schelm. Aber stimmt. Wir möchten uns die Delphinvorführung ansehen um halb elf.<<
>>Dann viel Spaß.<<
Ja, es war gut bekannt zu sein und noch besser, dass man beliebt war.
Er stieß sich ab vom Geländer und begann seine Runde. Er kam bei den Raubtieren vorbei, aber die interessierten ihn nicht sonderlich. Die meisten Kinder hatten Angst bei ihrem Anblick und das konnte er bei dem was er vorhatte nicht gebrauchen. Vor dem Affenhaus blieb er stehen. Eine große Menschentraube hing an der Plexiglasscheibe, um die neueste Attraktion des Zoos zu bewundern, ein frisch geborenes Schimpansenbaby. Alle schauten nach oben, da die Mutter mit dem Kleinen im Arm vom Innenraum nach Außen geklettert kam.
Nur ein Mädchen stand verloren etwas abseits der Szene und kaute Fingernägel.
>>Mein Schnäppchen.<<, grinste Otto und machte sich an die Arbeit.
>>Na?<<, sprach er Vertrauen suchend zu dem Mädchen.
>>Findest du Affenbabys auch so süß wie ich und die vielen Menschen störend?<<
>>Nein! Geh weg, sonst schrei ich.<<, sagte das Mädchen ohne ihn anzuschauen.
Wütend krampfte sich Ottos Hand um die Tüte mit dem Popcorn, die er gerade aus seiner Jackentasche ziehen wollte und ohne ein weiteres Wort zu sagen trat er den Rückzug an.
Er grüßte nach links und rechts, als er die Kastanienallee hinunterging, in der er wohnte. Freundliche Gesichter lächelten ihm entgegen.
>>Gut zu wissen, dass man repektiert wird.<<, dachte er sich, während er das Gartentürchen öffnete.
>>Gut, dass du kommst.<<
Ottos Frau arbeitete in einem Blumenbeet und strich sich mit ihrem grünen Gummihandschuh eine verschwitzte Haarsträhne aus dem Gesicht.
>>Hilfst du mir bitte die Erde zu verteilen?<<
>>Gerne Liebling. Ich zieh mich nur um. Wo ist Stine?<<
>>Hinten. Sie schaukelt.<<
Bevor Otto seiner Frau zur Hand ging, lief er um das Haus herum, um nach seiner Tochter zu sehen.

Hand in Hand spazierten sie in Richtung Innenstadt. Da sie nur knapp außerhalb des Stadtkerns wohnten, war dies die einfachste Möglichkeit in ihre Clubs zu kommen.
>>Wohin zuerst?<<, fragte sie und schaute ihm in die Augen.
>>Nun, ich dachte wir könnten zuerst bei Dingis reinschauen. Ein wenig tanzen, ein bisschen was trinken und dann weiter sehen.<<
Er blickte betreten auf den Boden, da er wusste wie wenig sie mit Sport am Hut hatte und dort die Fußballer sich nach einem Spiel trafen.
>>Gut. Aber nicht zu lange.<<
Für sie war eine Kneipe wie die andere. Äußerlich gab es große Unterschiede. Den edlen Italiener und die Trinkhalle um die Ecke konnte man nicht auf eine Ebene stellen. Auch die Gäste beider Gastronomiebetriebe würden sich auf offener Straße nicht die Hand geben. Aber was zählte waren Taten, die guten und die bösen und letztere versteckten sich oft unter einem Mantel von Freundlichkeit und Respektierlichkeit.
Eine viertel Stunde waren sie nun unterwegs und ihr begannen die Füße zu schmerzen.
>>Können wir uns kurz setzen? Meine Schuhe drücken.<<
Auf einer Bank machten sie Rast. Sie massierte sich ihre Füsse und schlüpfte dann wieder in die Schuhe.
>>Lange mach ichs heute nicht.<<, stöhnte sie, als sie sich wieder von der Bank erhoben.
>>Müssen wir auch nicht.<<, antwortete er.
>>Ich bin eh nicht sicher, ob er noch da ist.<<
Vor der Eingangstür des Clubs wartete eine Menschenschlange. Nur kurz mussten sie warten, dann wurden sie vom Türsteher hereingewunken.
>>Gut gemacht.<<, sagte er und gab ihr einen Klaps.
>>Eine meiner leichtesten Übungen.<<, gab sie zurück und trat ihm leicht auf den Fuß.
An der Garderobe legten sie ihre Jacken ab und ließen sich in den Innenraum treiben.
>>Viel los hier für diese Zeit.<<, schrie sie so laut sie konnte.
>>Na klar!<<, brüllte er zurück.
>>Heute war Spiel und alles voll mit Sportlern plus Anhang.<<
>>Schluss mit dem Geschrei.<<, flüsterte sie ihm ins Ohr.
>>Du musst dich konzentrieren.<<
>>Gut.<<, dachte er und sah sie an.
>>Auch ein Gin Tonic?<<
Sie nickte.
Mit den Gläsern in der Hand schlängelten sie sich durch die Menge.
>>Stopp! Ich hab was Interessantes.<<
Sie zupfte an seinem Ärmel, worauf er stehen blieb und sie fragend anblickte.
>>Was Wichtiges?<<
>>Für uns Frauen schon. Der Typ da,<< sie rollte mit den Augen schräg nach hinten, >>macht gerade dieses Mädchen an. Und zu Hause sitzt, so scheints, die große Liebe. Immer wieder lehrreich wie so etwas abläuft.<<
>>Frauensachen, du hast recht. Ich geh mal eben auf die Toilette. Kann ich dich allein lassen?<<
>>Eigentlich nicht. Mach schnell, ich brauch dich hier.<<
Er hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn er sie irgendwo zurückließ. Die Welt war voller Gefahren, auch wenn sie mit dem bloßen Auge nicht erkennbar waren. Und selbst außergewöhnliche Fähigkeiten schützten nicht vor jeder Bedrohung.
Er öffnete die Tür zur Herrentoilette und merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Drei Personen, mit ihm vier befanden sich in der teuer eingerichteten Räumlichkeit. Und jeder ging schweigend seiner Beschäftigung nach. Er stellte sich zwischen die beiden Männer, die gerade so taten, als ob sie in die edel geformten Urinale ihr Wasser ließen. In seinem Rücken hörte er den dritten Mann hinter einer abgeschlossenen Tür auf einer Sitztoilette atmen.
>>Verpiss dich!<<, kam es von rechts.
>>Ich brech dich mitten durch, wenn du nicht abhaust.<<, hörte er von links.
Während er sich erleichterte sah er nach rechts. Im selben Augenblick hob auch der Mann seinen Kopf und schaute zu ihm rüber.
>>Pupillen wie Stecknadelköpfe.<<, blitzte es in ihm auf.
>>Na viel Spaß ihr drei.<<
Er spülte, wusch sich die Hände und bahnte sich den Weg zurück zu seiner Frau.
Von weitem schon, sah er wie ein Typ ohne Unterbrechung auf sie einredete.
>>Hallo!<<, grüßte er, als er wieder neben ihr stand und gab ihr einen Kuss.
>>Möchtest du gehen?<<
Als er ja hörte, nickten sie beide dem Gesprächspartner zu und zogen weiter.
Alle Tanzflächen klapperten sie ab und stellten sich immer wieder für einen Moment an die Theke, damit sie wenigstens für einen Augenblick den Rücken frei hatten.
>>Ich kann nicht mehr.<<, stöhnte sie, als sie fast einmal herum waren.
>>Wir müssen uns dringend hinsetzen.<<
Wie durch ein Wunder erhob sich gerade ein Pärchen von einem Tisch an der Tänzfläche.
>>Los hin!<<, zischte sie.
>>Sonst musst du mich nach Hause tragen.<<
Nachdem sie Mineralwasser bestellt hatten, ließen sie die Blicke schweifen. Zuckende Leiber bewegten sich auf der Tanzfläche, coole Leute standen am Rand mit Drinks in der Hand und sahen zu oder musterten ihr Gegenüber. Und drum herum strömten Menschen vorbei, wie Saft an den Zellen einer Pflanze.
>>Da ist er!<<
Er zeigte auf die Tanzfläche.
>>Und jetzt?<<
>>Unter normalen Umständen würde ich sagen, wir tanzen und klären das hier. Aber ich mach was aus.<<
Er berührte ihr Knie, das sie durchgedrückt unter dem Tischchen versteckt hatte und erhob sich.
Sie sah, wie er sich den Weg über die Tanzfläche bahnte, kurz bei ihm stehen blieb und mit ihm an den Rand ging. Es dauerte nicht lange, dann saß er wieder an ihrem Tisch.
>>Wann?<<, fragte sie.
>>Morgen im Park, zusammen mit unserer anderen Verabredung.<<
Er sah zu ihm rüber und versuchte abzuschätzen was ihn erwartete. Eigentlich kannte man sich auf dieser Ebene, aber dieser Gegner war ihm unbekannt.
>>Gehen wir Schatz?<<
Er sah auf ihr halb volles Glas.
>>Ja!<<, nickte sie und trank aus.
Mit dem Taxi erreichten sie fünf Minuten später ihre Wohnung.
>>Bin ich froh wieder daheim zu sein!<<, rief sie aus, als sie die Tür aufschlossen und endlich wieder für sich waren. Sie zog ihre Schuhe aus und ließ sich auf das Sofa fallen.
>>Komm mal zu mir.<<, lockte sie mit dem Zeigefinger.
>>Gleich.<<, versuchte er Zeit zu gewinnen.
>>Nur noch kurz die Nachrichten.<<
Mit der Fernbedienung schaltete er den Fernseher ein.
Kind verschwunden hieß es dort, es besteht aber noch Hoffnung es unversehrt zu finden.
Er deutete stumm auf den Kasten.
>>Das hat Zeit bis Morgen.<<, meinte sie nur.
>>Nun komm schon.<<

Am späten Vormittag des nächsten Tages spazierten sie im Park und sahen zu wie am Teich die Enten gefüttert wurden. Väter schoben Kinderwagen über die Wege und Mütter hatten wichtige Sachen miteinander zu bereden.
>>Dahinten sind sie.<<
Sie zeigte auf die andere Seite des Sees. Auf einem Gehweg, der auf das Gewässer zu führte, sah er zwei Gestalten größer werden, eine hielt etwas in der Hand.
>>Was denkst du, wen sie dabei haben?<<, fragte er.
>>Ich tipp auf Eric.<<, antwortete sie.
>>Gute Wahl.<<, meinte er.
>>Das kannst du laut sagen.<<, sagte sie .
>>Dagegen werden Björn und ich einen schweren Stand haben.<<
>>Hmm.<<, war alles, was er dazu heraus brachte.
Er fand Björn den Besten.
Zwischenzeitlich hatten die anderen den See umrundet und standen vor ihnen.
Zur Begrüßung reichten sie einander die Hände, um ein Gefühl füreinander zu bekommen und sagten Hallo.
Das blieb das letzte Wort, das sie laut zueinander sprachen.
>>Wo möchtet ihr euch hinsetzen?<<, fragte er sie.
>>Wir haben uns auf die Wiese gleich hier geeinigt.<<
Sie zeigte auf den mit Krokusse und Osterglocken übersäten Rasen neben ihnen.
Zu viert liefen sie über die Fläche, bis die Frauen fanden der Platz sei gut.
Er klappte Björn auf und stellte ihn schräg neben Eric.
Danach besah er sich das Arrangement und fand immer noch, dass Björn mit seiner blauen Plastiksitzfläche und -lehne besser aussah, als das braune Holzmodell neben dran.
>>Wir gehen auf den Hartplatz.<<, verbschiedete er sich und deutete auf das Fußballfeld in Sichtweite.
>>Viel Glück!<<
Sie sah ihm müde in die Augen und setzte sich dann auf ihren Stuhl.
Schweigend gingen er und sein Gegner auf das Spielfeld. Im Anstoßkreis setzten sie sich in den roten Staub gegenüber und der Kampf begann.
>>Was war das gestern im Stadion? Seid ihr völlig verrückt geworden?<<, läutete er die erste Runde ein.
>>Wir wollen Meister werden und da können wir keine Rücksicht nehmen.<<, verteidigte sich der andere.
>>Und was ist mit unserem Verein, soll der zu Grunde gehen?<<
>>Das Recht des Stärkeren und Cleveren.<<
>>Nein. Stopp der Aktion oder wir machen es öffentlich und ergreifen andere Maßnahmen.<<
>>Glaubt euch eh keiner.<<
>>Dann die anderen Maßnahmen.<<
>>Gut, gut.<<, hob der andere beschwichtigend die Arme.
Sie gaben sich die Hand und zogen sich gegenseitig vom Boden hoch. Ein Blick hinüber zu den Frauen sagte ihnen, dass sie noch mitten drin waren.
>>Schwierige Angelegenheit.<<, meinte der andere und machte dabei eine Kopfbewegung in Richtung der Sitzgruppe.
>>Ja.<<, antwortete er.
>>Was bei uns irgendwie spaßig war, ist dort bitterer Ernst. Und vor allem wird dort eine Grundsatzfrage geklärt.<<
>>Hmm. Ein Spielchen?<<
Der andere fand, dass sie ihre Arbeit getan hatten und deutete auf einen Ball, der verlassen in dem Tornetz lag.
Eine Zeit lang spielten sie, bis sie sahen, dass die Frauen nach ihnen winkten.
Gemeinsam liefen sie über die Wiese, nahmen ihre Frauen in den einen Arm und die Klappstühle in den anderen.
>>Hast du was erreicht?<<, fragte er, als sie eine Weile schweigend gegangen waren.
>>Ja.<<, lächelte sie bezaubernd.
>>Alles was wir wollten. Das Kind kommt frei, der Kerl muss vor Gericht. Und vor allem haben wir vereinbart, dass die anderen sich nicht mehr vor Verbrecher stellen. Außerdem wollen sie künftig helfen Übles zu verhindern.<<
>>Klasse!<<, fiel ihm dazu nur ein.
In ihrer Wohnung fiel sie total erschöpft mit Kopfschmerzen ins Bett und wachte erst am späten Abend wieder auf.
Sie trat ins Wohnzimmer, wo er schon wieder vor dem Fernseher saß und setzte sich neben ihn.
Soeben verkündete der Nachrichtensprecher die Freilassung des Kindes und die Verhaftung des mutmaßlichen Täters. Weswegen sie ihn aber trotz der guten Neuigkeiten in unausgeglichener Stimmung vorfand, war die letzte Meldung vor dem Wetter.
Danach würde sein Verein, in der kommenden Saison, aller Voraussicht nach seine Lizenz für die erste Liga zurückgeben müssen. Wegen kaum zu schließender Finanzierungslücken, hieß es.
>>Ojeh.<<, fasste er sich an den Kopf.
>>Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.<<






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