Lebensabschnittskoordination
von Marc Herrmann

 

Noch betrunkene Gedanken stürzen suizidbereit ihrer Vollendung entgegen...
Das Telefon schreit danach begrapscht zu werden, es will mit dir sprechen...
Alles ist zu laut, zu hell, zu jetzt...zu müde
Habe ich dich tatsächlich gefunden...gestern...in einem Wust aus Mensch und Musik...
Fassungslos ob meiner Hilflosigkeit starren sie mich an...alle...die Zigaretten, der Kaffee...
In seiner Altersweisheit orakelnd räkelt sich noch der Satz im Filter...
Selbst meine Hände wissen nicht wohin...
Ringend...um Beherrschung, doch voller Tatendrang...
Du bist nur eine Nummer entfernt...
Die klaren Gedanken scheinen noch Arm in Arm mit meinem Kreislauf im Bett zu liegen...
Vielleicht treffe ich sie gleich alle unter der Dusche...
Wenigstens das Sprachzentrum ist schon vom Betriebsausflug zurück...
Ich artikuliere Monologe und erfreue mich an der gleichzeitigen Koordination simpelster Körpertätigkeiten...
Es ist Zeit...12 Uhr Ist-Zeit...jetzt...
Ich dusche mich nach vorne durch...in den Tag...
In die erste Reihe...
Ich rufe dich an...
Verführerisch liebkost sich mir dein Anrufbeantworter entgegen...
Er hat deine Stimme...ganz die Mutter...
Die Nervosität springt mit einem Satz auf und will sich einen digital gespeicherten Platz in deiner Wohnung suchen...
Ich verlasse vorübergehend mich selbst und bin: ...
„hatte gerade Zeit und dachte,... wenn du Lust hast kannst du ja...bis dann“
und zurück...
endlich Ruhe, die mich umarmt...
Untragbare Stille, unerträglich...
Warten...
Darauf, dass du dich mit deinem Anrufbeantworter triffst...
Ach könnte nur dein Telefon mein Telefon sehen...
Es wäre Liebe auf das erste Freizeichen...
Hast du meine Nummer?
Erneut deine Stimme...
Das herausfordernde Piepen, das mich berechtigt mit einem Haushaltsgerät zu sprechen...
Ich lege auf...
Du wirst die Nummer schon haben...
Wenn nicht rufe ich Morgen noch mal an...
Darauf verlasse ich mich jetzt...
Sonst hätte ich mich vorhin nicht verlassen müssen...
Existenzerhaltende Entscheidungen in den Bereichen Nahrungsaufnahme und Interimsbeschäftigung müssen jetzt getroffen werden...
Ich warte, ich rauche, ich beruhige mich...
Meine Gedanken betreten Neuland und dankbar lasse ich sie von der Leine...
Stumm sehe ich zu, wie sich der Toast auf seiner doppelschlitzigen Sonnenbank ahlt...
Und...

Moment, das Telefon klingelt...

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