fortschreiten
von vap chi (xxxemi_x)

 

sie steht da.
vor einem alten & heruntergekommenen haus hat sie angehalten.
fünfstöckig.
ohne zu zögern macht sie die tür auf.



du hast letzte nacht geschrien.
weißt du das?

ich weiß nicht, ob ich es weiß.

du hast geschrien.

erzähle mir,
was du glaubst,
geträumt zu haben!

mir träumte es von einer blauen wiese.
ich weiß nicht recht...
oder war es meer?!...
ich weiß es nicht mehr.
sag du es mir!
sag es!



sie tritt ein.
im haus ist es dunkel
& ein schwer definierbarer geruch hängt in der luft.
es ist der geruch ihrer kindheit.
sie bemüht sich diesen geruch
tief einzuatmen.
bevor sie zurückschreckt,
bevor sie sich in der dunkelheit durchtastet,
um den lichtschalter zu finden,
wird sie zu jener bemühung.
sie findet,
wonach sie sucht.
sie findet den lichtschalter.
erst dann wagt sie den ersten schritt nach oben.



es war kein meer,
obwohl du es gern hättest.
es war eine wiese
bedeckt mit blauen blumen;
blumen, die du pflücken wolltest,
aber nicht konntest.
aus deiner unmöglichkeit heraus,
aus der unmöglichkeit tief einzuatmen.
es war kein meer...
es sei denn, du bestehst darauf!

ich bestehe auf nichts!
ich bestehe auf noch weniger als nichts.
also...
es war eine wiese mit blauen blumen,
sagst du!
diese konnte ich nicht pflücken...

nein!



sie steigt die treppe hinauf.
schritt für schritt.
atem für atem.
gedanke für gedanke.
leise.
auf der decke zwischen der zweiten & der dritten etage ist ein himmel aufgemalt.
blaue wolken.
wie gebannt bleibt sie unter diesem himmel stehen.
zögert.
geht ein paar treppen nach unten,
um dann doch schnellstes schrittes
nach oben zu gelangen.
vor einer tür in der dritten etage bleibt sie stehen.
sie klopft an.
weil es ihr nicht schnell genug geht,
klopft sie nochmal, lauter, an.
eine alte dame in einem roten schlafmantel macht die tür auf.
leicht verärgert schaut diese sie an.
die alte fragt, was sie sich wünsche.
sie scheint erstmal
die frage nicht zu verstehen,
so bestürzt ist sie
über die erscheinung der alten.
die alte wiederholt ihre frage.
sie lächelt.
sie lächelt ganz unerwartet,
bevor sie die frage mit einer gegenfrage beantwortet.
die gegenrfage ist ihre frage.
sie möchte wissen,
wer den himmel gemalt habe.
bevor die alte
die tür hinter sich zuknallt, entspringt ihr ein leises seufzen
aus dem mund: "gott!".
sie bleibt noch eine weile
vor der geschlossenen tür stehen.
& dann vergißt sie den himmel.



& dann?

dann wurde alles auf einmal still.
still & bewegungslos.

wie hielt ich denn diese stille aus?!

du hielst sie nicht aus.
du konntest diese stille
nicht aushalten,
denn du kanntest die ruhe nicht.
in deinem traum.



sie läuft die treppe hinauf.
die eile raubt ihr den atem.
schnell!
sie ist ganz oben angekommen.
"ein oben", das noch höher liegt,
gibt es nicht.
nicht für sie.
sie steht auf dem dach des hauses
& schaut direkt in die sonne.
in einem schrei nach liebe verzerrt sie.
augen, die nicht sehen.
mund, der nicht spricht.
lippen, die nicht lächeln, weil...
gestorben.
getötet.
tot.
es sind ihre.



& was machte ich?!
was tat ich?!

du liefst.
du flüchtetest.
du flüchtetest in meine arme.
mit meinen händen habe ich dich ermordet.
als du es begriffen hast,
hast du geschrien.
& dann bist du noch weiter geflüchtet...



sie schaut in die tiefe.
sie beobachtet diese.
ihr blick ist vollkommen.
leer.
umhüllt in eine ausgezeichnete gleichgültigkeit,
die sich in ihrer seele ausbreitet,
zärtlich bedeckt durch den schlaf,
steht sie da.





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