Schall und Rauch 7
von Sabine Herzke (melody)

 

4. Woche

23. Dezember, Montag
Am Ende übernahmen die Kinder die Organisation der Party. Carina und Martin waren insgeheim erleichtert, dass sie damit nichts zu tun hatten. Außerdem mussten sie beide an diesem Tag arbeiten und hätten es von daher gar nicht geschafft, eine volle Feier auf die Beine zu stellen.
Sie schafften es tatsächlich alle zu einem gemeinsamen Frühstück um sechs, lauter verschlafene Gesichter. Dann verließen die Eltern schleunigst das Haus.
„Wollen wir wissen, wie es hier aussieht, wenn wir heute Nachmittag von der Arbeit kommen?“ fragte Martin.
„Du ganz bestimmt nicht!“ antwortete Carina.

Chantal hatte sich am Abend zuvor hingesetzt und schnelle Anfragen an alle möglichen Bekannten geschickt. Nach dem Frühstück checkte sie die Antworten. Um zehn Uhr hatte sie eine feste Zusage.
Vincent war mit Kevin zum Großeinkauf losgefahren. Aber Lucy war im Wohnzimmer und schrieb Listen.
„Den DJ habe ich!“
„Wir kriegen einen DJ? Total krass!“ Ihre Schwester grinste. „Ich hab die Jungs losgeschickt. Vincent hat sein Auto und Kevin fällt dann kein Mist ein, den er anstellen kann.“
Chantal hob den Daumen. „War richtig so.“
„Ich hab schon ein paar Leute organisiert, die uns mit Möbeln aushelfen und so. Und n paar Nachbarn, die heute nicht mehr arbeiten. Denen mussten wir ja eh Bescheid sagen.“
Chantal nickte. Dann grinste sie. „Allen Nachbarn?“
„Allen Nachbarn.“ Lucy vergrub sich in den Listen und konzentrierte sich auffallend auf die Listen.
„Auch die alte Schachtel?“ Chantal grinste breit.
„Auch die alte Schachtel und ihr Mann. Oh Mann, du kannst dir nicht vorstellen, wie die abgegangen sind, als wir denen das erzählt haben! Und diese feinen Pinkel vom anderen Ende der Straße waren nicht viel besser.“
„Ach ehrlich?“ Sie sahen sich an und fingen an zu lachen.

Am frühen Nachmittag kamen ihre Helfer. Schulfreunde, Familienväter aus der Nachbarschaft, die später auch mitfeierten. Vincent und Kevin kehrten mit einem vollen Wagen zurück und schnappten sich ein paar Jungs, um ihn zu entladen. Ein Kombi in grellem Neongelb mit grünen explosionsartigen Farbflecken bog um die Ecke und hielt am Bordstein. Ein junger Mann mit Rastalocken und Bart sprang heraus, enge Jeans, dicker Pullover. Kevin sah ihn fasziniert an.
„Hey Mann, wo willst du denn hin?“
„Bist du der Bruder von Chantal?“
Kevin nickte und kam näher.
„Wenn du nichts fallen lässt, kannst du mir helfen. Ich mach heute die Musik bei euch.“
Ein schneller Blick auf Vincent, kurze Absprache. Der Wagen war fast leer. Vincent kam herüber und gab dem Rastamann die Hand.
„Bist du Jacques?“
„Stimmt, Mann. Cooles Haus.“
Vincent lachte. „Ich geb's weiter.“
Der Rastamann kniff die Augen zusammen. „Du wohnst hier nicht?“
„Bin nur Chantals Freund. Ihre Eltern wohnen hier. Ich dachte, das wusstest du?“
„Hat mir nichts davon gesagt. Das wird ja ne abgefahrene Sache, was? Wissen ihre Eltern Bescheid?“
„Die haben die Party mit geplant. Hier eine Party mit Skandal aufziehen, kannst du vergessen, Alter.“
Der Rastamann sah enttäuscht aus. Dann kam Chantal aus dem Haus und kreischte auf, als sie ihn sah.
„Jacques!“
Sie rannte auf ihn zu und umarmte ihn. „Das wird so cool! Oh, das ist übrigens Vincent, mein Freund. Und“, sie lächelte breit, „der Vater von meinem Kind.“ Sie legte die Hand auf den Bauch.
Jacques sah sie aus großen Augen an, dann sah er die Hand auf ihrem Bauch und grinste breit. „Ehrlich? Wooow Glückwunsch!“
Er umarmte sie, dann schlug er Vincent auf den Rücken. „Echt krass, Mann. Chantal, rein ins Haus mit dir. Du trägst natürlich nichts!“

Zwei Häuser weiter auf der anderen Straßenseite schaute Else Tammen missmutig aus dem Fenster und ordnete dann sogfältig die Gardinen. Ihr Mann stand in der Küchentür und wartete.
„Sie machen das tatsächlich!“ sagte sie empört. „Jetzt ist da dieser Kerl angekommen mit seinem merkwürdigen Aussehen… Und das in unserer Straße!“
„Wir sollten wirklich heute Abend nicht hier sein“, sagte Heinz. „Meine liebe Else, ich habe dir schon gesagt, wenn wir heute schon losfahren, umgehen wir den Weihnachtsstau und werden von diesen Nachbarn nicht gestört.“
Else schnaufte empört und rauschte an ihrem Mann vorbei. „Das wollen die doch nur erreichen!“

Als Carina kurz nach sechs Uhr abends nach Haus zurückkehrte, fand sie keinen Parkplatz vor ihrem eigenen Haus. Vor dem Haus wurde sie von zwei Nachbarn empfangen, die ihr die eigene Haustür aufhielten.
„Das Haus steht ja noch“, sagte sie.
„Aber natürlich! Das kann morgen früh schon ganz anders aussehen!“ sagte Holger und lachte schallend. Carina ging kopfschüttelnd ins Wohnzimmer und starrte fassungslos auf das, was aus dem Raum geworden war.

Die Möbel völlig umgestellt, zum Teil verhängt, die Couchgarnitur umgedreht, freie Flächen waren entstanden, die vorher so nicht dagewesen waren. Dabei hatte der ganzen Familie das übergroße Wohnzimmer gefallen, als sie das Haus besichtigt hatten.
Als Martin nach Hause kam, fing Carina ihn an der Einfahrt ab.
„Reg dich jetzt nicht auf“, beschwor sie ihn.
Martin streifte ihre Hand ab. „Wenn du schon so anfängst“, knurrte er und hielt mit langen Schritten auf sein Haus zu. Er hatte natürlich auch nicht in der Einfahrt parken können. Carina konnte ihn nicht aufhalten und auch sonst niemand.

Martin lief rot an, als er sein Wohnzimmer sah. Hielt sich am Türrahmen fest und schnappte nach Luft, zerrte sich am Hemdkragen.
In der Ecke mit den meisten Steckdosen hatte sich ein hochgewachsener Mann mit Rasta-locken ausgebreitet, steckte Kabel ineinander, Kopfhörer auf den Ohren und wippte zu einer unhörbaren Musik. Seine eigenen Nachbarn stellten Tische und Bänke an der Wand auf, in der Mitte blieb eine Tanzfläche. Unter dem Kommando seiner Mädchen. Er erwachte aus seiner Schockstarre, durchquerte den Raum und packte Lucy am Arm.
„Das versteht ihr unter meiner Erlaubnis, eine Party zu feiern?“
„Papa, spinnst du? Lass mich los, du tust mir weh!“
„Lass sie los, Martin, was ist denn mit dir los?“ fragte Herbert.
„Das hier war nicht verabredet!“ rief Martin wütend und zeigte mit ausgestrecktem Arm einmal durchs Wohnzimmer.
„Wir räumen morgen alles gemeinsam wieder auf“, sagte Lucy. „Wenn du damit nicht einverstanden bist, hättest du ja selber die Organisation in die Hand nehmen können.“
Er knirschte mit den Zähnen. „Wenn mir hier auch nur ein Teil zu Bruch geht, könnt ihr das bezahlen“, kündigte er an. Dann drehte er sich um und verließ das Haus wieder.
„Was meinst du, was er tun wird?“ fragte Herbert.
Carina zuckte mit den Schultern. „Ich vermute, er geht Holz hacken.“

Ab acht Uhr abends klingelte es an der Tür und die Gäste strömten ins Haus. Martin war wieder da, im sauberen Hemd, gegelten Haaren und sichtlich nervös, aber immerhin waren die Wut und die ungesunde Röte aus ihm verschwunden. Carina schwebte in einem Kleid die Treppe herab, mitten in ihre Familie herein. Die Helfer hatten sich vor ein paar Minuten verabschiedet. Sie wollten sich umziehen, bevor die Party startete. Jeder war in Arbeitsklamotten verschwunden und im feinen Zwirn wieder aufgetaucht, aber Carina toppte sie alle.
Chantal klappte der Mund auf, Lucy und der Rest der Familie waren wie erstarrt. Carina trug das rosa Kleid.
„Ausgerechnet das Kleid!“ rief Lucy.
Carina errötete, lächelte aber und trat auf Martin zu, umarmte ihn und küsste ihn. Ihr Mann lief noch röter an und schaute sich um.
Räusperte sich. „Ich muss schon sagen, dass du die Stirn hast, heute Abend das Kleid zu tragen, ist eine ziemliche Frechheit.“
Jacques drehte gerade in dem Moment die Musik herunter, um zu einem anderen Stück überzugehen, und einfach jeder im Raum bekam die Szene mit.
„Stimmt mit dem Kleid was nicht?“ fragte Ruth. „Es sieht sehr schön aus!“
„Danke Ruth!“ Carina blies ihr einen Luftkuss zu.
Jetzt scharten sich alle um Carina und verfolgten das Drama.
Mitten hinein klingelte es mal wieder an der Tür. Dieses Mal waren es Peter und Barbara.
„Carina, Schätzchen, toll siehst du aus!“
Barbara trug ein nicht weniger auffälliges Kleid in schimmernden dunklen Grün.

„Oh Gott“, sagte Hanna. Lucy hatte sich zu ihren Freundinnen zurückgezogen. Sie hatten sich genauso aufgebrezelt und waren fest entschlossen, die Party zu genießen. Jacques drehte auf. „Findest du deine Mutter nicht peinlich?“
„Total“, erwiderte Lucy. „Ich hoffe, der Abend endet nicht in einem totalen Desaster.“
„Wo steckt dein Freund?“
In der Tat war Tim noch nirgendwo zu sehen. Das Haus füllte sich mehr und mehr, Kevin stand mit seinen Freundin in einer Ecke des Wohnzimmers, Alex betrat den Raum und bahnte sich einen Weg zu ihnen.
„Was macht der denn hier?“
Lucy erinnerte sich, dass ihre Freundinnen ja gar nicht wussten, was Alex und Kevin so trieben.
„Ist mit meinem Bruder befreundet.“
Maryam drehte sich weg. „Hätte ihn für erwachsener gehalten.“
„Du stehst auf Alex?“
Maryam lief rot an. „Bullshit.“
Sie lachten.
„Wir verraten es auch nicht weiter!“ flüsterte Hanna im Bühnentonfall.
Lucy lachte mit, aber dann ging die Haustür auf und sie hörte eine vertraute Stimme.
„Tim ist da.“
Sie bahnte sich einen Weg in den Hausflur und sprang ihrem Freund um den Hals, mit einem Satz, klammerte ihre Beine um seine Hüften, und er lachte und fing sie auf. Neben Tim wirkte Lucy wie eine Elfe, so klein war sie neben diesem bulligen großen Typ.
„Das ist Tim?“ Maryam blieb der Mund offenstehen.
„Offensichtlich.“ Hanna versuchte sich von dem Anblick zu erholen.
„Hat der einen Bruder?“
„Keine Ahnung.“
Als Lucy und Tim das Wohnzimmer betraten, Lucy bei Tim eingehakt, erregten sie mehr Aufsehen als Carina und Barbara in ihren Kleider. Carina schmollte.
„Seit wann seid ihr zusammen?“ fragte Chantal und ließ sich von Tim lachend Küsschen auf die Wange geben.
„So ungefähr seit Nikolaus“, sagte Lucy. „Er hat mir am Deich was zu trinken angeboten.“

„Tja, so ist das nun mal“, sagte Gertrud. „Die Kinder werden groß und stehlen einem die Show.“
„Mama!“ Carina war stinksauer. Sie hatte es nicht vermeiden können ihre Familie einzuladen und dann kam gleich so eine Breitseite. Ihre Mutter amüsierte sich jedenfalls großartig. Sie hatte Chantal und Vincent gratuliert und benahm sich überhaupt ganz anders, als Carina gehofft hatte.

Martin hatte sich mit Peter unterhalten, jetzt schlenderte er zu Jacques, der die Musik abstellte. Martin klopfte gegen sein Glas.
Er räusperte sich. „Hat jeder was zu trinken? Nein? Los, holt euch was!“ Er wartete. „Schön. Also. Super, dass ihr alle gekommen seid, um mit uns zusammen unseren Gewinn zu feiern!“
Jubel erhob sich und sie klatschten.
„Ich habe natürlich erstmal eins auf die Mütze bekommen, als rauskam, dass ich spiele.“
Gelächter, böser Blick von Carina.
„Aber dann erkannte meine liebe Familie die Vorteile vom Gewinn. Wir haben natürlich gehört, was so in der Stadt erzählt wird. Natürlich sind wir keine Multimillionäre!“
Erneutes Gelächter.
„Aber ihr kennt uns ja, wir hauen gern mal auf den Putz, wenn es was zu feiern gibt, und das tun wir heute! Viel Spaß, Leute, haut rein!“
Jacques drehte die Lautstärke auf und auf einmal waren sie auf einer Party. Niemand eröffnete offiziell das Buffet, jeder nahm sich, was er wollte.
„Ist doch eine nette Party geworden“, sagte Tine zu Carina.
Carina lächelte verkrampft. „Ja, allmählich glaube ich das auch.“
„Die Kinder haben auf jeden Fall ihren Spaß“, fuhr ihre Nachbarin fort.
„Die Kinder“ tranken Alkohol, tanzten und knutschten herum.
„Sie benehmen sich doch ganz gut“, erwiderte Carina lahm und hoffte, dass das auch so blieb.
Ähnliches dachte Martin, der mit seinen Freunden zusammenstand und das Treiben in seinem Haus beobachtete.
„Läuft doch alles wie geschmiert“, sagte Thomas.
Martin rollte mit den Schultern. „Weiß nicht“, brummte er. „Da kommt noch was.“
„Ach Quatsch, was redest du denn für ‘nen Scheiß.“
„Die Idee zu der Party kam von Kevin.“
„Ach nee, das ist gar nicht auf deinem Mist gewachsen?“ Herbert lachte.
„Nein“, schnappte Martin. „Aber so schaff ich das Thema aus der Welt!“

Alex war fehl am Platz. Er fühlte sich falsch und nicht richtig in diesem Haus. Immerhin, nachher wollten noch ein paar Kumpels vorbeikommen! Unter anderem Zero und Fish. Er flirtete mit Hanna. Immerhin ein gutes Argument für die Party. Eine Party, weil da ein alter Sack zu Geld gekommen war, die von der Erwartung lebte, dass etwas gewaltiges unerwartetes passierte. Alex hob sein Bier und schickte einen Luftkuss zu Hanna, die sich durch die Haare fuhr.

„Also ist es doch Alex“, sagte Lucy, die den Moment mitbekam.
Hanna lächelte, zufrieden wie eine Katze, die den Sahnebecher ausgeschleckt hatte.

„Wir sollten das jetzt machen“, sagte Alex zu Kevin. Der nickte nervös.
Sie verließen den Raum.

„Wo ist Kevin?“
„Carina, ich weiß es nicht.“
„Martin, ich will nicht, dass er was anstellt.“
Die Jungs waren seit fünf Minuten fort.
„Chantal oder Vincent…“
Sie drehten sich um. Unterhielten sich gerade mit Herbert und Anneliese.
„Kann einer von euch gucken, wo Alex und Kevin stecken?“
„Mama…“
Vincent legte seine Hände auf ihre Schultern und knetete sie. „Beruhig dich. Du bist ja total hysterisch.“
„Außerdem sind sie schon zurück“, fügte Chantal hinzu.

Alle schauten zur Tür. Jacques drehte mal wieder die Lautstärke runter.
„Alle mal herhören!“ rief Kevin.
Seine Ohren leuchteten, aber seine Stimme war fest.
„Ähm, alle mal herhören…“
Lucy kam ihm zu Hilfe und klopfte mit einem Messer an ihr Glas.
Kevin hustete. Setzte neu an. „Also… Papa, wir haben was für dich. Weil du so cool reagiert hast letztens.“
Alex schob ein Plakat nach vorn, das die Jungs dann gemeinsam hochhielten. Auf über einem Meter Breite zeigten sie ein knallbuntes Bild. Ein Comicstrip mit Schriftzug und Figuren.
„Hammer!“ rief Ali.
Martin und Carina traten näher. Martin räusperte sich auch und hörte sich an wie sein Sohn.
„Das ist… fantastisch.“
„Wir schenken euch dieses Bild… Es sollte an die leere Rückwand von der Garage, damit es nicht mehr so öde aussieht.“
„Als Graffiti.“
„Ja, dachten wir uns so.“
Schweigen. Martin kam näher und schaute sich das Bild genau an. Kevin krampfte seine Hand um das Plakat. Jeder hielt die Luft an. Die wenigsten kannten den Zusammenhang zwischen dem Bild und den Jungs.
„Dieses lila gefällt mir nicht“, sagte Martin plötzlich.
Die Farbe war penetrant und tauchte an vielen Stellen auf.
„Vielleicht lieber Rot?“
Alex und Kevin schauten sich an, zuckten mit den Schultern. „Rot geht auch.“
„Also, dann machen wir die Stellen in Rot.“
„Kann mir einer sagen, um was es hier geht?“ fragte Oma. „Was soll das da sein?“
„Ja, erklärt uns das mal!“ sagte Herbert laut und er hatte eine ganz hervorragende Stimme.
„Das hier wird die neue Bemalung für unsere Garagenwand“, sagte Martin genauso laut. Er stellte sich neben seinen Sohn.
„Und ihr wollt es aufmalen, was?“
„Als Graffiti“, sagte Alex. Er legte Kevin die Hand auf die Schulter. „Schockiert?“
„Hattet ihr nicht schon genug Ärger?“
„Thomas, hör auf.“
Thomas hörte nicht auf Martin.
„Ihr habt doch schon eine Anzeige. Mindestens!“
„Das hier ist ein Geschenk für Papa und dem gefällt’s, was willst du?“
„Da hat er Recht“, sagte Martin. „Seht es euch einfach an, wenn es fertig ist!“

In dem Moment passierten mehrere Dinge gleichzeitig.
Es klingelte an der Tür. Chantal ging hin und öffnete.
„Hey, Schönheit“, sagte Fish.

Im Garten leuchtete es hell auf. Ringsum röhrte es.
„Was ist das?“ rief Carina entsetzt.
Jacques drehte in diesem Moment sogar noch lauter auf und wechselte zu House. Kreischender Jubel war die Antwort der Schüler im Raum. Die Erwachsenen zuckten zusammen und drehten sich zum Garten um.
„Ich sehe nach“, sagte Vincent.
„Nein, geh nicht!“ schrie Chantal und hielt ihn fest.
„Chantal, da ist doch irgendwas los! Ich bin gleich zurück.“ Vincent befreite sich sanft.
„Wir kommen mit.“ Peter, Thomas und Herbert folgten ihm.
Der Garten stand voller Motorräder. Die Lampen blendeten die Männer, die aus dem Haus kamen. Sie erkannten nur Schatten, die von den Maschinen stiegen und auf sie zukamen.
„Hey!“ brüllte Vincent. „Ihr verdammten Säcke verschwindet mal ganz schnell wieder von hier!“
Sie kamen schnell näher, und dann überrannten die Fremden die Männer im Garten. Eine Frau kreischte auf. Vincent hatte nicht umsonst mehrere Jahre Erfahrung im Kampfsport. Er erkannte auf einen Blick, dass sie kaum eine Chance gegen die Fremden hatten. Er nahm einen von ihnen in den Schwitzkasten und klappte sein Visier hoch. Wieder kreischte eine Frau. Er schaute zur Terrassentür. Dort stand Lucy, weißes Gesicht, die Hände vor den Mund geschlagen. Sie bewegte sich wie ein Roboter auf die Szene zu. Im Hintergrund hörte Vincent jemanden nach der Polizei rufen.
„Haut ab!“ kreischte Lucy.
Sie nahm plötzlich Schwung und rannte direkt in die Männer in Motorradkleidung hinein.
„Lucy, nicht!“ Vincent war abgelenkt und bekam genau in dem Moment von dem Mann, den er demaskiert hatte, einen Schlag in die Weichteile und stürzte zu Boden.
Lucy wurde von einem anderen festgehalten, ein dritter nahm seinen Helm ab.
„Wir haben ja gesagt, dass wir zu eurer Party kommen.“ Er lachte laut. Es war der Mann, der Lucy, Hanna und Maryam an dem einen Tag mit seinen Freunden bis zum Bistro verfolgt hatte. Leon.

Die Männer hatten sich gut vorbereitet. Sie warfen Feuerwerkskörper gegen die Garagenwand, erwischten den Weihnachtsbaum, der dort darauf wartete, ins Haus geholt zu werden, jagten Knallfrösche auf dem Rasen hoch. Lucy schrie und schrie. Der Mann, der sie im Griff hatte, versuchte ihr die Halskette herunterzureißen.

Während sie den Garten verwüsteten und ihren Hass gegen diesen Neureichen herausließen, trat Fish ein und ließ seinen Blick über Chantal wandern.
„Unser Kleiner wird Onkel, was? Du bist doch Kevins Schwester?“
„Fass mich nicht an! Wer bist du überhaupt?“
Fish schüttete sich aus vor Lachen. Er trat beiseite und ließ Zero und Bulle ein.
„Hier soll ‘ne geile Party abgehen?“ fragte Bulle.
„Und wer seid ihr?“ Chantal hob nicht einmal ihre Stimme. Fish und Bulle lehnten sich an die Wand und lachten.
„Wer wir sind?“ fragte Zero und stand auf einmal so dicht vor ihr, dass zwischen ihnen nur noch wenige Zentimeter Platz waren. Chantal ballte die Fäuste. Aber sie wich nicht zurück. Irgendwas passierte gerade im Garten. Niemand achtete darauf, was bei ihr im Flur los war.
„Wir sind Künstler. Wir sind welche, die wirklich was können. Und wir haben gehört, dass dein kleiner Bruder mit unseren Taten angibt. Da dachten wir, feiern wir doch mal bei eurer Party mit!“
Chantal begriff, dass ihr keiner zur Hilfe kommen würde. Jacques hatte die Musik noch weiter aufgedreht, irgendwas war dahinten im Garten los, der hell erleuchtet war, und die übrigen Gäste feierten hart und rockten das Haus. Und genau das wurde jetzt auch den drei Kerlen in ihrem Hausflur klar.
Sie schoben sich lässig vorwärts. Chantal ging langsam rückwärts, stolperte, hielt sich am Garderobenhaken fest, ihr Herz raste.
„Geh vor“, forderte Fish sie auf.
Chantal drehte sich um und betrat langsam das Wohnzimmer. Dieser Raum, der ihr immer viel zu riesig vorgekommen war, war nur noch in der Mitte beleuchtet und voller Leute, er kam ihr auf einmal winzig und eng vor. Sie bekam keine Luft mehr. Jetzt erkannte sie im Garten Schattengestalten, die sich bewegten. Es sah aus wie eine Prügelei. Großvater Erwin stand am Buffet, eine große, beruhigende Figur. Früher war er Holzfäller gewesen und auch heute noch ein starker Mann. Ein paar Nachbarinnen und viele Jugendliche. Die erwachse-nen Männer mussten alle im Garten sein.
„So, dann wollen wir mal Party machen!“ rief Zero und griff sich ein Glas mit Sekt, trank es aus und warf es im hohen Bogen durch den Raum. Ein Mädchen kreischte.
„Verdammt, was ist hier los?“
„Ich ruf die Polizei!“ Ihr Großvater hatte das sehr leise gesagt, aber seine Bassstimme war immer noch gut in jedem Winkel des Zimmers zu hören. Er verließ ohne große Hast das Wohnzimmer. Das Telefon lag auf dem Küchentisch, das wusste er. Fish erstarrte und packte sie im Genick.
„Wo will er hin?“
„In die Küche! Keine Ahnung, vielleicht an den Kühlschrank?“
Fish brummte, was ihr bestätigte, dass er von Opas Absicht nichts gehört hatte.
In einer Zimmerecke standen Hanna und Maryam, sie klammerten sich aneinander, riesengroße Augen. Jetzt fiel Hanna auf, dass Lucy fehlte. Ihre Mutter war da, aber wo war ihre kleine Schwester?

Lucy hatte den Kampf verloren. Der Mann, der sie festhielt, hatte ihr die Kette abgenommen, jetzt zwang er sie zuzusehen, wie seine Freunde den Garten verwüsteten. Vincent lag bewusstlos am Boden. Die anderen Männer konnte sie nicht sehen.

„Heinz, ich rufe jetzt die Polizei an!“ sagte Else entschlossen, als sie wieder ins Haus kam. Sie war auf die Straße gegangen, hatte mit verschränkten Armen und missbilligend verzogenem Gesicht zugesehen, was bei ihren Nachbarn passierte.
„Sieh dir doch nur an, was sie machen! Das zieht den Ruf unserer guten Gegend vollkommen in den Schmutz!“
„Meine Liebe, jetzt reg dich doch nicht so auf.“
„Ich soll mich nicht so aufregen?“ schrie Else.
Heinz trat einen Schritt zurück.
„Dann guck doch nach! Na los, sieh selbst nach, was da los ist!“
Heinz ging hinaus, einfach damit seine Frau Ruhe gab.

Fish hatte noch etwas getan, bevor er mit seinen Freunden das Haus der Wolters betreten hatte. Er hatte die Presse angerufen. Sie umlagerten das Grundstück wie die Geier, folgten durch den zerstörten Gartenzaun der Spur der Motorradfahrer, die mit einem Höllenlärm auf das Grundstück eingefallen waren. Sogar ein lokales Fernsehteam war dabei. Es konnte nicht mehr lang dauern, bis noch ganz andere Leute anrückten.
Das Haus war hell erleuchtet, ebenso wie der Garten durch die Scheinwerfer der Motorräder. Aus dem Haus drang laute Musik, die offensichtlich live aufgelegt wurde. Man hörte sie schon am Anfang der Straße.
Jetzt kamen auch noch das Gebrüll aus dem Garten und die spitzen Schreie dazu.
Heinz kehrte ins Haus zurück und griff zum Telefon.

Die Männer im Garten verloren langsam an Boden. Vincent war noch immer bewusstlos. Leon hatte die Terrassentür erreicht. Fish, Zero und Bulle entdeckten gleichzeitig den Fight im Garten. Sie trafen sich in der Mitte des Wohnzimmers. Chantal hatte sich in die Küche geflüchtet, wo Gertrud und Carina saßen, beide blass und wortlos. Chantal schüttelte trostlos den Kopf, ließ sich auf einen Stuhl sinken und stützte den Kopf in die Hand. Der Kampflärm nahm zu.

Martin stand in einer dunklen Ecke in seinem Wohnzimmer und tat gar nichts. Während die Frauen versuchten, die Fremden in Schach zu halten, die in ihre Party eingebrochen waren und sein Schwiegersohn in spe und seine besten Freunde den Garten verteidigten. Der Rastamann hatte die Musik abgestellt und die plötzliche Stille untermalte nur noch die Kampfgeräusche. In dem Moment trafen die Männer aus dem Garten und die Jungs aus dem Flur aufeinander. Sie schienen sich in Sekunden miteinander zu verständigen ohne zu sprechen – dann stürmten die Kerle aus dem Garten in den Flur, in sein Büro, die Treppe hoch. Das war zu viel. Sein Schwiegervater kam gerade in dem Moment aus der Küche zurück und bekam die Invasion mit. Sie stürmten zu zweit das Büro, in dem die Fremden bereits die Schränke durchwühlten.
„Lassen Sie die Finger davon“, sagte Erwin.
Sie drehten sich um und fingen an zu lachen.
„Jetzt hört euch den an! Opa, wie wärs, wenn du dich einfach mal verziehst?“
Erwin tat nicht viel. Er atmete nur ein. Die beiden Typen hörten auf dich zu lachen.
Martin nutzte den Moment aus und schob sich hinter den Kerlen vorbei in sein Arbeitszimmer, erfasste mit einem Blick den Grad der Verwüstung und steckte schnell einen Umschlag mit Bargeld in seine Hosentasche.
„Willste dich mit uns prügeln oder was?“ fragte der größere der beiden Erwin.
„Gar keine schlechte Idee.“
„Vater“, sagte Martin. „Ich halte das für keine gute Idee…“
Der kleinere drehte sich grinsend um. „Nein? Das ist dein Daddy? Und du willst dich mit uns nicht prügeln?“
Martin schluckte und klammerte sich an die Schreibtischkante. Erwin schlang einen Arm um den Hals des größeren und trat ihm ein Bein weg.
„Hey!“ brüllte der auf. Der kleinere stürzte sich auf die Kämpfenden.
Und dann heulten von allen Seiten Sirenen auf, sie schienen aus beiden Seiten auf das Haus zuzukommen.
„Fuck, was ist nun denn los?“
„Das ist die Polizei“, sagte Erwin, der Leon noch immer im Schwitzkasten hielt.
Er grinste Martin zu. „Die habe ich vorhin nämlich angerufen.“
Während die beiden Einbrecher zu fluchen begannen und sich erst recht gegen die Männer wehrten, die sie im Zimmer festhielten, stürmten die Polizisten Haus und Garten. Was sich da abspielte, war so eindeutig, dass der Zugriff nur Sekunden dauerte.
„Stop!“ brüllte Vincent. „Ich bin keiner von denen!“
Sein Pech, dass er an diesem Abend Lederhosen und ein schwarzes Hemd trug. Zwei Polizisten brachten ihn zu Boden und legten ihm, als er sich wehrte, Handschellen an.
Fish, Zero und Bulle ging es nicht viel besser, sie wurden am Gartenzaun gestellt. Dann brachten die anderen Uniformierten die Motorradfahrer aus dem Haus. Hinter ihnen kamen Martin und Erwin heraus.
„Halt!“ rief Martin, als er Vincent entdeckte. „Das ist mein Schwiegersohn! Machen Sie ihn sofort wieder los!“
„Herr Wolter, er gehört ja wohl ganz offensichtlich zu den anderen…“
Martin baute sich vor dem Polizisten auf. „Wegen der Kleidung? Ist das etwa Ihre Art, Beweise zu sammeln? Sie nehmen ihn nicht mit! Er hat versucht, mein Haus zu verteidigen!“
Der Mann sah ihn skeptisch an. Vincent war von zwei Polizisten hochgezogen worden und stand ein bisschen wacklig, aber vor allem sehr wütend zwischen ihnen.
„Das ist wahr!“ meldete sich Peter, der ebenfalls reichlich mitgenommen aussah. Um sein linkes Auge entwickelte sich ein schillerndes Veilchen. „Er war der erste, der versuchte, diese Kerle aufzuhalten!“
Als jetzt auch noch Thomas und Herbert dazukamen, die allesamt nach einer frischen Prügelei aussahen, nickte der oberste Beamte irgendwann.
„Bleiben Sie hier. Wir brauchen Ihre Personalien.“
Kollegen von ihm waren im Haus und waren schon dabei, die anderen zu befragen. Die Partystimmung war fort.
„Kommen Sie mit der Presse klar?“ fragte der Polizist.
„Welche Presse?“ fragte Martin.
„Die da.“
„Oh nein“, murmelte Vincent.
Martin und Erwin sahen sich an. Grimmig. Der Polizist sah den Blickwechsel.
„Sie werden das nicht mit den Fäusten lösen“, sagte er. „Wir werden das regeln.“
Martin rieb sich über die Stirn. „Ist wohl besser“, seufzte er. „Ich kann nicht mehr klar denken.“
„Was war eigentlich der Anlass für diese Feier?“
„Ich hab im Lotto gewonnen. Das ist doch schon Stadtgespräch. Warum wissen Sie denn nichts davon?“
„Bin nicht von hier.“
Die Stadt hatte gut zwanzigtausend Einwohner.
„Ich wusste es“, sagte sein Kollege, der gerade dazu kam, um die Aussagen aufzunehmen.
„Hallo, Herbert.“
„Hallo, Marius.“
Der Chef der Truppe nickte. „Offenbar fehlen mir hier eine Menge Informationen. Herr Wolter, wir kommen schon dahinter, was hier passiert ist!“
„Wenn das eine Drohung ist, rufe ich besser meinen Anwalt an“, sagte Martin.
Vincent bekam auf einmal einen ganz neuen Eindruck von seinem Schwiegervater in spe. Der Mann sah hilflos und müde aus und hörte sich auch so an. Peter stellte sich an Martins Seite.
„Wir sind an nichts schuld, okay? Die Typen sind hier eingefallen wie ein Schlägertrupp! Keine Ahnung, wie die von der Party erfahren haben!“
„Und Sie wissen auch nicht, warum Sie Ihre Party gesprengt haben?“
Peter sah Martin an. Martin zuckte mit den Schultern. „Neid? Hass auf unser Geld?“
„Offensichtlich wussten eine Menge Leute davon, die es Ihnen nicht gönnten.“
„Ich glaub, ich kann dazu was sagen.“ Kevin tauchte auf, zerzaust, blass. „Ich kenn einen von den Motorradtypen. Die hassen Leute mit Geld. Haben Lucy vor ein paar Tagen mittags angegriffen.“
„Danke. Wer bist du?“
„Kevin Wolters.“

„Oh mein Gott!“
Sie drehten sich um. Carina und Gertrud betraten vorsichtig den Garten, einen Schritt vor den anderen, hatten sich untergehakt und versuchten sich ein Bild zu machen.
„Sie haben nicht einmal den Garten verschont!“
„Wie… sieht es denn im Haus aus?“ fragte Vincent.
Martin und Carina schüttelten den Kopf. „Grauenhaft.“
Lucy und Chantal kamen nach draußen.
„Vincent! Geht es dir gut?“ Chantal rannte auf ihren Freund zu. Hinter Lucy erschien Tim und nahm sie in den Arm. Lucy brauchte jetzt ganz dringend jemanden, der sie festhielt.
Nach und nach kamen alle in den Garten um nachzusehen, was dort los war.
„Geht es euch gut?“ fragte Barbara.
„Voll krass, wie sieht das hier denn aus!“ rief Lukas.
„Lukas!“
„Ey Papa – stimmt doch!“
Die Erwachsenen verabschiedeten die Polizei. Die Jugend schwärmte aus und fotografierte jeden Winkel.
Alex und Kevin standen vor der ehemals grauen Betonwand.
„Meinst du, das geht runter?“
„Ist doch auch nur Sprayerfarbe“, sagte Alex. „Aber das hätte ich echt nicht gedacht, dass die so einen Scheiß machen würden.“
„Können wir denen nicht sagen, die müssen das bezahlen?“
„Versuchen können wir das ja mal.“
Sie betrachteten weiter die verschandelte Wand – in wirklich kunstvollen Schwüngen stand dort eine Hasstirade auf diesen Geldsack, dem die andern in der Stadt am Arsch vorbeigingen.
„Kevin, Alex, Papa will was sagen…“ Lucy stoppte hinter ihnen. „Was ist das denn?“
„Das war Fish“, sagte Alex. „Wenn ich den erwische…“
„Was macht ihr denn jetzt? Ihr wolltet da doch dieses tolle Bild hinsetzen!“
„Wir putzen die Wand vorher ab. Oder wir kriegen Fish und Zero dazu, das zu machen.“
„Na, da würd ich gern zusehen.“

Martin stand in der Terrassentür und hatte seine Gäste um sich versammelt.
„Hört mal her.“
Die Diskussionen im Garten wurden fortgeführt.
„Hey!“ brüllte Chantal. „Hört ihm jetzt doch mal zu!“
Endlich hörten sie ihm zu.
„Die Party geht natürlich weiter! Die Polizei hat mir nahegelegt, keine Discomusik mehr laufen zu lassen.“ Er warf Jacques einen Blick zu, der ihm zunickte.
„Natürlich lege ich noch auf für euch, aber wir brauchen die Bullen nicht zweimal am Abend hier.“
„Ganz genau! Wir feiern weiter!“
Sie klatschten Beifall. Martin wurde davon überrollt. Er sah hilflos seine Frau an. Carina gab ihm einen Rippenstoß. „Mach weiter.“
„Also. Das Buffet ist noch da, die Gläser sind heil geblieben – na gut, fast alle – und wir haben Musik. Um das Chaos kümmern wir uns morgen! Wer muss morgen arbeiten von euch?“
Es meldeten sich ein paar.
„Okay. Wer nach Hause gehen will, kann das tun. Wir feiern jetzt, was das Zeug hält!“
Carina lachte auf, umarmte ihren Mann und küsste ihn innig, was den Beifall noch steigerte.
Lucy und Gertrud griffen zum Besen und fegten rasch durch, damit keiner in Splitter trat.
„Heute Abend habe ich wirklich was gelernt“, sagte Gertrud, als sie die Sachen in die Besenkammer zurückbrachten.
„Wie meinst du das?“
„Über euch alle.“
„Oma, ich dachte, wir sind alle ganz fürchterliche Leute, die sich nicht benehmen können.“
„Aber ihr könnt offensichtlich feiern. So wie wir früher! Waren das noch Zeiten, in den Siebzigern!“
Lucy klappte der Kiefer runter.
„Mach den Mund zu. Es zieht“, sagte Gertrud ungerührt. „Ich brauch jetzt ein Glas Wein.“

Im Wohnzimmer sah es leicht chaotisch aus, die hübsche Ordnung war fort, die Schränke von Flüssigkeiten getroffen, der Boden verfärbt. Carina hatte kurz die Augen geschlossen und musste tief durchatmen, um keinen Schreikrampf zu bekommen. Dann hatte ihr Vater das einzig Richtige getan und die erste Flasche Wein geköpft und Peter und Tim Bierflaschen zugeworfen. Wein als Beruhigungsmittel. Als Carina den ersten Schluck genommen hatte, beruhigte sie sich.
Jacques sorgte für Untermalung, aber er drosselte wie versprochen die Lautstärke.
In einem waren sie sich alle einig: Erstmal einen Drink!

Carina und Martin hatten es zur Bedingung gemacht, dass sie mit ihren Freunden dabei waren, wenn die Jugendlichen feierten. Keine laute Musik. Alles sollte unauffällig und ordentlich ablaufen. Carina musterte leidvoll ihr ehemals schönes Wohnzimmer, dachte an den Garten, der jetzt wieder im Dunkeln lag.
„Äh, was den Garten angeht…“ Da stand Alex neben ihr.
„Was soll damit sein?“ fragte sie erschöpft.
„Das waren ja sozusagen Freunde von mir, die den verwüstet haben.“
„Soll das ein Angebot sein, dass ihr meinen Garten wieder aufräumt?“
„Könnte man so sagen. Die Garagenwand müssen wir ja sowieso saubermachen.“
„Was ist mit der Garagenwand?“ fragte Martin.
„Fish hatte seine Spraydosen mit“, sagte Kevin. Er wechselte einen Blick mit Alex, der kurz nickte.
„Wir können das wieder wegputzen, wir brauchen nur das richtige Mittel dafür.“
„Ich seh mir das sofort an.“
„Nein, Papa, nicht!“
Zu spät. Martin schob seine Gäste auseinander, machte die Gartenbeleuchtung an und stürmte hinaus. Alex, Kevin und Carina folgten ihm.
Und dann auch alle anderen.
„Verdammter… Mist.“
„Der hat das ausgenutzt, dass wir uns geprügelt haben“, sagte Vincent.
„Wir hätten besser aufpassen müssen“, ergänzte Thomas ziemlich geknickt.
„Den zeig ich an!“
„Papa, muss das sein?“
„Lucy, halt dich raus.“
„Herr Wolter, wir machen das schon“, sagte Alex. „Ich kenn mich aus, ich besorg das Zeug, mit dem man sowas runterkriegt. Und dann bekommen Sie Ihr Wandbild.“
Aber es war klar, dass Fish dran war. Und damit auch Zero und Bulle. Alex war sich im Klaren darüber, dass er in diesem Augenblick einen Sprayerkrieg vom Zaun brach.

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