Scottish Breakfast
von Saha Morgenrot

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Body & Beans Real Estate




Scottish Breakfast

Eine mysteriöse Autorenplattform.de-Mytho-Suizidanze von Saha Morgenrot




Body & Beans Real Estate


„... kann davon ausgegangen werden, dass die literarische Rezeption regionaler Kriminalmythen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Schottland weit weniger verbreitet war als zu Beginn des 21. Jahrhunderts.“ Murmle ich vor mich hin, während der Scheibenwischer geradezu verzweifelt seine Arbeit tut.
Vielleicht sollte ich diesen Part streichen und den rezeptionsästhetischen Ansatz primär auf die Auswertung von Zeitungsartikeln legen. Egal, wie komm ich hier jetzt bloß wieder raus. Schon seit einer guten Stunde ist mir kein Auto mehr begegnet und der Wald wird immer dichter. Hoffentlich verpasse ich nicht die Abzweigung. Wo haben die Beans noch mal gehaust?
Muss hier gleich um die Ecke sein. Mord passt ganz gut in diese gruselige Landschaft, jetzt, wo es bald anfängt zu dämmern und es Katzen und Hunde regnet.

Der Wagen beginnt zu stottern, der Motor fällt aus, ich rolle noch ein paar Meter weiter, dann geht nichts mehr.
Wenige Meilen von hier entfernt habe ich ein B&B-Schild am Wegrand gesehen. Fluchend steige ich mit meinem Rucksack aus, spanne den grauschwarzkarierten Schirm auf, schließe das Auto ab und versuche, mich zu orientieren.
Durch den Regen ist alles aufgeweicht, der Weg erscheint mir endlos. Bin ich etwa schon vorbeigelaufen und habe den Hinweis übersehen? Langsam wird meine Kleidung klamm.

Das Schild „Body & Beans - Real Estate“ weist einen bemoosten Hohlweg hinab. An der linken Seite fließt ein Rinnsal.
Ein Bett und ein Frühstück wird da ja wohl nicht zu bekommen sein, aber vielleicht jemand, der mir helfen kann. Body and Beans, ob das was mit den zahlreichen Körpern zu tun hat, die überall eingepökelt, getrocknet oder gegrillt herumlagen, als die Beans Family im fünfzehnten Jahrhundert hier ihr Unwesen trieb?
Nein, die haben ja in einer Höhle gelebt und sich sozusagen von der Nachbarschaft ernährt.
Es könnten natürlich auch deren Nachfahren sein... Wie sich Inzest wohl in der Landbevölkerung auswirkt? Wahrscheinlich nicht annähernd so katastrophal wie beim europäischen Hochadel. Schließlich war Vater Sawney Bean der Sohn eines Heckenpflegers und Grabenräumers, der mit einer freiheitsliebenden Herumtreiberin und auch den gemeinsamen Kindern eine 48-köpfige Familie gründete. Rückkreuzung mit dem rezessiven Elternteil vielleicht? Mendel hätte seine helle Freude gehabt, vielleicht. Wahrscheinlich hab ich mich einfach zu viel mit dem Thema beschäftigt.
Aber haben die Beans nicht vom Weg abgekommene Wanderer verschwinden lassen und dann verspeist? Das zumindest ist ein Faktum.

Vorsichtig, um nicht auszurutschen, taste ich mich entlang des immer enger werdenden Pfades, bis ich nach ein paar Minuten auf einer Lichtung stehe. Im Dämmerlicht erkenne ich die Umrisse eines halbverfallenen Herrschaftshauses, die Stallungen sind gänzlich verrottet.
Zum Glück brennt wenigstens in einem Zimmer im ersten Stock Licht und aus dem Kamin steigt ein dünner Rauchfaden auf. Es riecht nach verbranntem Holz und gerösteten Zwiebeln.

Ich durchquere einen Gemüsegarten, die Beete sind ungepflegt, willkürlich wuchert darauf einiges Wintergemüse.
Zur Haustür führt eine kleine Treppe, an der Tür hängt ein gusseiserner Löwenkopf, der früher wohl als Klopfer diente. Sofort entstehen die üblichen Vorstellungen, wie sie in Mantel-und-Degen-Filmen zum Ausdruck kommen. Richard Löwenherz und Eleonore von Aquitanien mit ihren höfischen Sängern. Aber die Theorie, dass Löwenherz soweit im Norden war, bezweifle ich. Außerdem ist das Haus trotz seines verkommenen Zustands wesentlich jüngeren Datums.
Suchend blicke ich umher, aber ich finde keine Klingel. So bleibt mir nur, den Klopfer zu betätigen. Es ertönt ein dumpfes Hallen.
Wer hier wohl wohnt? Jetzt wird mir doch etwas mulmig, so allein mitten in der Wildnis. Mir ist kalt.
Nach kurzer Zeit höre ich schlurfende Schritte, aber jetzt wäre es zu spät, um wegzulaufen. Also bleibe ich stehen und harre der Dinge, wie schrecklich sie auch werden mögen.

Knarrend öffnet sich die Tür und vor mir steht ein sehr großer, älterer Mann mit Glatze, in eine dunkle Livree gekleidet und mit einem Glas in der Hand. Er sagt nichts, doch sein Händedruck ist warm.
Ich durchquere einen Vorraum und trete in eine Halle ein, deren Wände über und über mit Jagdtrophäen behängt sind. Der alte Mann nickt und deutet er auf die Wendeltreppe, die links von der Halle abgeht.
Langsam gehe ich hinauf, er folgt in geziemendem Abstand. Auf einem Absatz überholt er mich und eilt voraus in einen langen dunklen Gang. Schlafwandlerisch bewegt er sich, ohne Licht zu machen. Er klopft zweimal kurz an eine Tür am Ende des Ganges und öffnet, ohne eine Antwort abzuwarten.



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