Knutschzone (2)
von stella ewa (stellysee)

Kapitel
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„Firmensklave“, sagt Detlef Brauerfreunt leicht gereizt, „ist ein echt schlimmes Wort.“ Es gefällt ihm nicht. Und man sieht dem Mann seine Verachtung für diesen Begriff tatsächlich an. Er zieht dann seine Augenbrauen beim Aussprechen dieses Worts zusammen, seine Stirn überschlägt sich förmlich, wenn seine Haut sich in Falten legt und sich über seinen schönen braunen Augen zusammenknauscht.

„Ich glaube einfach nicht, dass ein Arbeitgeber ein Interesse daran haben kann, seine Mitarbeiter als funktionierendes Arbeitskapital zu sehen, das auf Knopfdruck die Befehle in angeordneter Reihenfolge von Vorgesetzten abarbeitet. Der Mensch ist doch nicht eine Buchungsnummer wie in der Karnevalistik“, sagt der noch immer leicht gereizte Homeworker weiter. „Das gibt’s doch heutzutage nicht mal mehr in deutschen Amtsstuben.“ Jetzt muss er sogar selbst etwas lachen – vor allem über den Begriff der „Karnevalistik“.

Er zwinkert dabei mehr oder weniger gewollt mit dem rechten Auge und sieht dabei fast wie ein Heinzelmännchen aus dem Vorabendprogramm des Zweiten Deutschen Fernsehens aus. „Lassen sie die Arbeitswelt nicht weiter so verkommen“, fordert Brauerfreunt. Er habe deshalb mit seinem Chef vertraglich bestimmte Regelungen als Homeoffice-Mitarbeiter festgezurrt. Vieles lasse sich natürlich auch mündlich vereinbaren, wie etwa der Jahresurlaub und freie Tage, die man mal ganz spontan nehmen möchte. Und wenn ein eigenes Kinder erkrankt, dann bleibt auch er natürlich daheim. Doch da ist er ja eh. „Also dies sollten sie unbedingt mit ihrer Firma klären und vertraglich regeln“, rät Brauerfreunt allen, die darüber nachdenken, von zu Hause zu arbeiten. Ein schreiender kranker Zwerg daheim macht ein konzentriertes Arbeiten zu Hause unmöglich – außerdem nehme sich ein Kollege auch nicht Arbeit mit nach Hause oder lasse sich Arbeit vorbeibringen, wenn er in der Firma aufgrund seines erkrankten Kindes fehle.

„Mancher Chef glaubt tatsächlich, wenn du ein Firmenhandy und ein Laptop im Homeoffice hast, bist du rund um die Uhr für ihn und die Firma erreichbar. Das ist verrückt – aber Realität und ein weiterer kleiner Schritt zum Firmensklaven“, ist Brauerfreunt überzeugt. Er selbst habe beim Starten seines Rechners erlebt, dass der Chef ihm Content mit festen Vorgaben über Abgabetermine auf den PC aufgespielt hatte, der sofort aufpoppte, als er seine morgendliche Emails abrief. „Das war allerdings bloß als Scherz gemeint. Wir haben zum Glück eine klare Regelung im Vertrag getroffen. Sonst hätte ich den Rechner schon längst vom Dach des nächsten Hochhauses geworfen.“ Nur gut, dass dafür keine Gründe bestehen.

„Ich lasse mir übrigens auch jede Wasserspülung bezahlen“, sagt der im Laufe des Gesprächs wieder gutgelaunte Homeworker. Schließlich sei das Benutzen der Firmentoilette für die lieben Kollegen in der Firma auch kostenlos möglich. Erst wenn dort eine Toilettenfrau säße, die jedem Nutzer eine Klo-Benutzungsgebühr abknöpft, oder besser noch ein digital verschlüsseltes Klo, für das der Mitarbeiter eine mit Bitcoins geladene Codekarte braucht, eingeführt würde, wäre er bereit, diesen Part aus dem Vertrag wieder zu streichen. Bis dahin zahlt ihm sein Arbeitgeber jeden verbrauchten Kubikliter Wasser, der bei ihm während der vereinbarten Arbeitszeit in den Abwasserkanal fließt. Allerdings habe seine Firma darauf bestanden, dass er Uhrzeit des Klogangs und Art der Spülung – wie groß und klein – im ersten Jahr der Regelung dokumentiere, um ihn nicht am Ende noch zu übervorteilen. Für Brauerfreunt kein Problem. Auch diesen Punkt hat er vertraglich bombensicher mit seinem Fachanwalt für Arbeitsrecht ausgehandelt. Darüber hinaus wurden feste Vereinbarungen zu den Themen Arbeitszeit und Erreichbarkeit schriftlich im Vertrag fixiert. Hierbei gäbe es natürlich ein großes Spielfeld für beide Seiten, das vor allem von der Art der Tätigkeit abhänge, weiß der gewiefte Homeworker zu berichten. Er hat ein alternierendes Arbeitspensum, welches sich in unregelmäßigen Anwesenheitspflichten ausdrückt. Den einen Tag arbeitet er von 5 bis 13 Uhr, tagsdrauf von 11 bis 19 Uhr und dann hat er auch noch einen Spätschichtentag von 21 bis 5 Uhr für sich ausgehandelt. „Diese Abwechslung bietet sich bei meinem Job einfach perfekt an. Ich muss nicht immer für meine Kunden, die noch dazu über den ganze Globus verteilt sind und somit in verschiedenen Zeitzonen wohnen und arbeiten, erreichbar sein. Und mein Chef und die Kollegen schreiben mir, wenn ich Nachtschicht habe, einfach eine Mail anstelle mit mir tagsüber zu telefonieren.“ Die gesamte Korrespondenz werde gespeichert, protokolliert und archiviert. „Das hat den entscheidenden Vorteil, dass uns nichts verloren geht und wir exakt wissen, wer was um welche Uhrzeit getan hat. Jeder Schritt, jede Änderung an Dokumenten und jeder Zugriff auf Dokumente, Protokolle und unser Firmensystem lässt sich ganz genau nachvollziehen. Ein wirklich phantastisches Inhouse-System“, erklärt Brauerfreunt, der sich wirklich über diesen modernen Fortschritt seines Unternehmens zu freuen scheint.
Grundsätzlich gilt, wer zu Hause arbeitet, internalisiert externe Kosten, die sonst eigentlich der Arbeitgeber trägt. Etwa zusätzliche Heiz- und Stromkosten, die nur anfallen, weil der Arbeitnehmer zu Hause sitzt und eben nicht im Firmenbüro. „Wissen sie, ich bin ja im Angestellten-Verhältnis tätig – wenn auch ausgelagert im Homeoffice. Da sollte jede Firma ihrem Mitarbeiter entgegenkommen. Schließlich muss man mir ja kein Büro zur Verfügung stellen und dafür teure Miete zahlen“, argumentiert Brauerfreunt. Sein Anwalt hat ihm einen schönen Firmenwagen mit Allradantrieb ausgehandelt, den er auch in der Freizeit nutzen darf. Betankung kostenlos und inklusive. Aber auch ein Dauerlos bei der „Aktion Mensch“ oder ein Ticket fürs ganze Jahr in einem Freizeitpark mit der Familie lassen sich natürlich aushandeln. Ein netter Kollege erhalte beispielsweise Gutscheine für Friseure und Rabatte bei einem bekannten Lebensmittelgeschäft, um zweimal im Monat für die ganze Familie einkaufen gehen zu können. Eine weitere Kollegin kann sich um die Pflege ihres schwerst erkranken Mannes kümmern und bekommt dafür ein Jahres-Kontingent an Überstunden gutgeschrieben, die sie dann für ihre speziellen Zwecke abfeiern darf. „Ja manche Arbeitswelt ist dann doch nicht so inhuman“, versichert Brauerfreunt. „Sie müssen mit ihrem Arbeitgeber eben bloß reden, um etwas Vernünftiges für ihre Zwecke raus zuhauen.“

Auch das geht: Sollte er tatsächlich irgendwann seine Freundin und deren entzückende Kinder heiraten, was eine neue Steuerklasse für ihn nach sich ziehen könnte, auch dafür hat der clevere Mann vertraglich bereits vorgesorgt und eine Nettolohnvereinbarung mit der Firma im Vertrag niedergeschrieben. So sichert er sich zu, dass er nach dem Gang in die Ehebündnis nicht weniger in der eigenen Tasche hat als vor dem Treueschwur. „Schließlich werden meine Partnerin und ich auch nach der Hochzeit noch getrennte Kassen haben. Daran wird auch ein Trauschein nichts ändern und wird ausdrücklich im Ehevertrag festgeschrieben.“

Was Homeworker Brauerfreunt noch so alles für sich raus gehauen hat, erzählt er sobald wie möglich. In der Zwischenzeit empfehlen wir einen Tages-Excelkurs in der Volkshochschule mit dem Schwerpunkt „Stuhlauslastung im städtischen Theater“ oder einem anderen namhaften Bildungsträger oder sie reisen einfach geschwind in den Kurzurlaub – wie wäre es zum Beispiel mit den netten Vulkaninsel Lanzarote oder auf zum Cafe del Mare auf Ibizza.

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