Mixtura bihomunculi
von Saha Morgenrot

 

Mixtura Bihomunculi


Ein Autorenplattform.de-Geschwisterdrama aus der Reihe `Plastic Poetry’ von Saha Morgenrot




„Es hat Hunger,“ sagt Grit und füttert das Kleine, das prächtig gedeiht, fast zu prächtig, wie Grits Mutter immer wieder anmerkt. „Wo hat es eigentlich diese roten Haare her? Niemand in unserer Familie hat rote Haare.“ Grit schert das nicht. Denn Grit und Hein sind zufrieden.
Sie leben in einem Haus mit fantastischem Garten, besitzen zwei schnelle Autos, einen Swimmingpool, haben sehr gute Jobs und ein zuverlässiges Kindermädchen, das sich mit der Zugehfrau gut versteht.
In seiner Freizeit fliegt Hein in seiner Zweimotorigen über nordfriesische Dünen und stellt immer wieder fest, dass er kaum Sorgen hat.

Das Kleine lernt zu laufen und Grits Mutter stellt ausgeprägte Valgus-Fehlstellungen fest, wundert sich, denn nach ihrer Einschätzung hat in ihrer Familie niemand solch eine Deformation.
Als es anfängt zu sprechen, ist das Lispeln unüberhörbar. Doch es beginnt zu singen wie ein Engel.
Aber das bemerkt Grits Mutter nicht, sie leidet unter dem Sprachfehler des Enkelkindes und spricht darüber mit ihrem Psychiater, ihren Nachbarinnen, ihren Freundinnen und nicht zuletzt mit Grit und Hein. „Merkt Ihr denn nicht, dass Ihr ein Kuckucksei großzieht? Das kann gar nicht euer Kind sein, so hässlich und so dick. Und dann diese X-Beine und der Sprachfehler...“
„Aber es singt schön, und das ist letztlich, was sich Grit gewünscht hatte“, so Hein zu Grits Mutter.

Später im gemeinsamen Ehebett überkommt Hein sein schlechtes Gewissen und er muss beichten: „Bei Retortenbabies kann man ja nie wissen, was dabei herauskommt. Ich war ja schon froh, dass du einer künstlichen Befruchtung zugestimmt hast. Aber ich hätte es dir sagen sollen, dass nicht ich der genetische Vater bin.
Immerhin habe ich einen Samenspender von musikalischem Weltformat ausgesucht.“
„Kann ich denn wenigstens sicher sein, dass ich die Mutter bin, oder ist bei euch im Labor noch mehr schief gelaufen? Ich dachte, du bist der Chef.“
„Man könnte ja noch einen zweiten Anlauf starten und zusätzlich ein wenig optimieren, dann sähe es wenigsten appetitlicher aus. Ich schätze, diesmal bist du mit der Auswahl dran.“

Ovulationen später:

Grit und Heins Zweitling entwickelt sich hervorragend. Seine blonden Haare, seine leuchtend grünen Augen und sein dunkler Teint bilden einen ästhetischen Gegenentwurf zu seinem Vorgänger, nur die Stimme, und das kann man in diesen jungen Jahren schon vorausahnen, würde wohl kaum besser werden, als das Schnarren einer rostigen Eisentür.
Wie gut, dass in dieser Zeit auch die Stimmbandverpflanzung einem Bagatelleingriff gleichkam.

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