Ise-Wan
von riemsche

 

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Das Haus, in dem ich aufwuchs
es liegt auf einem Hügel
hoch über Kyoto
ein Shintoschrein erhebt
sich vor einem schützenden
Wall aus hohen Bäumen
Dort in Abgeschiedenheit
habe ich ihn erlebt
Jeden Herbst stürmt
er von Südosten ins Tal
verfängt sich
Was da aus Tropen kommt
ist unvorstellbar
tagelang spürt man
sein Kommen und wenn er los
schlägt – Biegen Brechen

Bretter, Schindeln wirbelten
Es flog weg
das Dach unseres Hauses
im Sturm, der dann zugriff
Zwischenwände raus
Wände ein_
_riss bis nur noch
der Türstock stehen blieb

Wir hatten uns
mit Seilen an Fundament
Pfosten gebunden, sahen
wie die alte Eiche am Schrein
sich immer tiefer bog, schließlich
mit einem gewaltigen Aufschrei
brach – Kiefern
deren knorrige Wurzeln aus
dem Fels gerissen, ihrer
Verankerung beraubt, Kirsch
und Ahornbäume von Wirbeln
erfasst, abgedreht in der Mitte
ihre Stämme, an die fünfhundert
lagen rund um Haus und Schrein
Einige so alt
dass wir als Kinder ihre Körper
nur zu fünft bis sechst umarmen
konnten, wenn wir uns reckten
und an den Händen fassten

im Bambushain an einer feuchten
Stelle am Südhang des Hügels
dort der Naturgewalt am stärksten
ausgesetzt, war nicht ein einziger
Stamm gebrochen
die schlanken baumhohen Stangen
standen da wie vor dem Sturm
raschelten mit den Blättern

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