Unter Rollenspielern (Katrin & Björn 2)
von Markus

Kapitel
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Der Einstieg

Sie saßen nun schon fast eine Stunde am Tisch, jeder gebeugt über ein Blatt mit Tabellen und Zahlen. Torben als Spielleiter hatte ihnen zu Beginn lang und umständlich die Spielregeln erklärt. Jeder von ihnen musste sich seine Spielfigur ausdenken. Einen kurzen Überblick der Welt und ihrer Völker gab ihnen Torben, ergänzt von Silke, seiner Freundin. Die beiden spielten schon seit längerem Pen & Paper-Rollenspiele, besaßen mehrere Ordner und Kartons voll von Abenteuern, erfundene Landkarten und bunte Würfeln mit weit mehr als 6 Seiten.
Katrins Wahl war eine geheimnisvolle Dunkelelfen-Amazone gewesen, Björn versuchte sein Glück als grimmiger Barbaren-Krieger mit einem fast mannslangen Zweihänder. Ihre Gruppe wurde von Silke in der Rolle einer Menschen-Magierin angeführt, Torben als Spielleiter war an diesem Abend die Erzählerrolle zugefallen.
Katrin und Björn als Neulinge mussten ihren Charakteren erst diverse Eigenschafts-Werte zuweisen die sie mit Hilfe eines zwanzigseitigen Würfels erstellten. Seine Freundin hatte sich mehrere Minuten über Björns erwürfelte Zwei amüsiert, die er in das Feld Charisma eintrug. Sie hatten sich alle zur Einstimmung vorher eine größere Menge "Selbstgezogenes" in Silkes Wasserpfeife geraucht, daher war die Stimmung entsprechend gelöst.
"Charisma", so hatte Torben erklärt "zeigt, wie euch die anderen Figuren im Spiel sehen. Ein Händler wird euch bessere Konditionen anbieten je höher der Wert ist, ein unentschlossener Informant wird euch eher geneigt sein und ein Gegner sich vielleicht schneller einschüchtern lassen."
Pah, Charisma ist etwas für Anfänger dachte sich Björn. Sein Barbar besaß einen Stärkewert von zwanzig, das Start-Maximum. Damit sollte er jeden Gegner platt walzen. Er war kein Diplomat sondern ein Krieger, ein in Leder und Eisen gehüllter riesiger Kerl dessen lange Haare offen im Wind wehten und der Met fässerweise soff, danach noch jede Schlägerei zu seinen Gunsten entschied.
Katrins Amazone dagegen war mit einem Blasrohr bewaffnet, trug leichte Lederrüstung über ihrer fast schwarzen Haut und konnte sich nahezu lautlos bewegen.
Silkes Magierin musste nicht erst erwürfelt werden. Silke pflegte sie schon länger, war mit ihr seit einigen Abenteuern unterwegs. Inzwischen Stufe fünf erreicht hatte sie die meisten ihrer Charakterwerte erheblich verbessern dürfen und zahlreiche neue Zauber erlernt.
"Ihr steht auf dem Dorfplatz von Daroumen" intonierte der Spielleiter "und eure staubige Kleidung lässt jedermann erkennen dass ihr weit gereist seid. Die Leute ringsum tuscheln, zeigen dabei mit schmutzigen Fingern auf euch und ziehen sich in Hauseingänge zurück. Es sind kleine, schäbige Hütten aus Holz und Lehm erbaut. Ihr strebt das größte der Gebäude an. Ein Holzschild mit einem blutigen Krug darauf über dem zweiflügeligen Eingang weißt es als Schänke aus."
Katrin prustete los "Aber Björn darf doch mit Stufe Eins noch gar keinen Alkohol trinken! Hoffentlich hat der Wirt Apfelsaft für ihr!". Björn funkelte sie an "Wartet ab, holde Elfe, ich werde deine spitzen Ohren noch früh genug aus den Fängen eines gierigen Monsters retten müssen. Dann wird dir der Spott noch vergehen!"
Silke verdrehte nur die Augen. Als alter Hase konnte sie über solche Dinge kaum noch lächeln. Es dauerte immer etwas bis die Atmosphäre stimmte und alle mitspielten, dann allerdings war es für alle ein Erlebnis... jedenfalls meistens.
"Ihr sitzt in dem schummrigen Raum an einem alten, schartigen Eichentisch. Der Boden ist mit stinkigem Sägemehl bedeckt das vom verschütteten Bier der letzten Tage noch feucht ist. Der Wirt hat euch die Bestellung gebracht. Ihr dankt ihm und wollt gerade nach den Krügen greifen als die die Eingangstüre mit einem Knall aufgestoßen wird und grelles Licht die dunklen Scherenschnitte von einigen Gestalten erkennen lässt.
Drei stattliche Männer in Amtstracht treten herein, sehen sich kurz im Raum um bevor sie euren Tisch ansteuern." Torben räusperte sich kurz, blickte zu Silke, die ihn aufmunternd zunickte. Diese Spieleröffnung hatten sie in einer leicht abgewandelten Form schon mehrfach verwandt, für Anfänger war es vertretbar. Sollten sie noch öfters in dieser Kombination spielen musste er sich andere Einleitungen einfallen lassen. "Die drei Herren stellen sich als die Führer dieser Gemeinschaft hier, dem Verbund der umliegenden Dörfer vor. Dem Jüngsten, Rezam mit Namen, ist die Tochter entführt worden, wie er euch berichtet. Seine drei älteren Söhne sind schon vor Tagen aufgebrochen sie zu suchen, bisher aber noch nicht zurückgekehrt. Seine Verzweiflung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Immer wieder, so erklärt der mittlere der Dreien, dessen letzte verbliebene Haare zu lustigen Strähnen seitlich des Kopfes abstanden, verschwinden junge Frauen in dieser Umgebung. Schuld daran sind die Okkultisten, welche sich im Wald in der alten Ruine niedergelassen haben. Schon vor Jahren war dieser Ort verflucht, niemand hier würde ihn je freiwillig betreten, aber diese düstere Sekte hat sich dort ein Heim errichtet.
Sie beten einen dunklen Gott an, meint der dritte. Schlussendlich bieten die Dorfführer jedem von euch zwei Golddublonen, wenn ihr die Okkultisten vertreibt. Der Dicke sogar noch einmal für alle zusammen zehn Gold wenn ihr seine Söhne und die Tochter befreit."
Katrin blickte auf und sah Björn an. Ihre Augen waren ein wenig gerötet, vermutlich vom Cannabis. Seine eigenen Augen sahen bestimmt nicht besser aus. Das Zeug war verdammt gut, er musste Silke unbedingt ein paar Samen abschwatzen. Er hatte gerade die Atmosphäre fast körperlich spüren können, den Qualm im Schankraum, den Bierdunst, das Knarren der Lederharnische, einfach alles. Vielleicht konnten sie öfters mit den anderen beiden zusammen dieses Spiel weiterführen. Immerhin hatte Katrin bisher noch nicht darüber gespottet oder es als Kinderkram abgetan, das war vielversprechend. Er nippte an seinem Wodka-Lemon.

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