Herr Sebastian Terhaus frühstückt
von Carsten Maday
Kapitel
Herr Sebastian Terhaus frühstückt
Mit der Handfläche fuhr er über den beschlagenen Spiegel, schuf ein kreisrundes Fenster, aus dem ihn sein vertrautes Gesicht anstarrte. >Mittelmaß!<, sagte Herr Sebastian Terhaus laut, sah sich selbst sprechen. >Ja<, sagte er nachdenklich zu sich selbst, > sollte ich mein Leben mit einem Wort beschreiben, Mittelmaß triffst wie kein anderes!<
Er zuckte mit den Schultern, schlüpfte in seinen Bademantel, öffnete die Tür, blickte noch einmal zögernd in das dampfgefüllte Bad zurück. Handtücher lagen sorglos auf dem feuchten Boden, auf dem Fenster schlug sich der Dampf nieder. Reste von Zahnpasta lagen im Waschbecken, der Deckel der Tube irgendwo unter dem Chaos der Badetücher. Und -kein heroisches Kriegerdenkmal hätte es besser vermocht die Natur des Mannes, seinen archaischen Herrschaftsanspruch widerzuspiegeln- die Klobrille war nach obengeklappt, wie das Visier eines vom Kampf erschöpften Ritters. Herr Sebastian Terhaus staunte über seine eigene Kühnheit. Ein triumphierendes Lächeln schlich sich in seine eher traurigen Züge. Nein, Gestern hätte er dies nicht gewagt. Nein, Gestern nicht...
Herr Sebastian Terhaus ging in die Küche, begann abwesend den Tisch zu decken. Ja, Mittelmaß, dachte er erneut. Alles an ihm war mittelmäßig. Er war mittelgroß, befand sich in seinen besten... nein, korrigierte er sich mit Blick auf seinen viel zu üppigen Bauchansatz, in seinen mittleren Jahren also. Er hatte einen mittelmäßigen Job in einer ebenso mittelmäßigen Bank ( Gott, wie mittelmäßig), bewohnte ein kleines Einfamilienhaus in einer Mittelklassesiedlung. Sein Leben floss, man konnte es wohl nicht anders sagen, in einem ruhigen Mittelmaß an ihm vorbei, hatte ihm wenig zu bieten, schon gar keine Abwechslung. Nun, bis Gestern. Ja, Gestern...
Erstaunt sah er, dass der Tisch fertig gedeckt war, aber der Anblick stellte Herrn Sebastian Terhaus nicht zufrieden. Solange er zurückdenken konnte, nun jedenfalls seit sie dieses Haus gebaut hatten ( der Gedanke an die Hypothek ließ ihn schaudern ), hatte er jeden Sonntag gemeinsam mit seiner Frau in der Küche gefrühstückt. Nur zu besonderen Gelegenheiten -Herr Terhaus zog ein Gesicht- zu denen seine Frau ärgerlicher Weise nur den Besuch seiner Schwiegereltern zählte, hatten sie in der Veranda gegessen. >Ach Schatz<, sagte ihm seine Frau, als er einmal mit dem Vorschlag aufwartete ausnahmsweise in der Veranda zu frühstücken ( das Bett vorzuschlagen, wagte er schon gar nicht ). >Ich will mir nicht die Mühe machen<, sagte sie >Du weißt doch, der Sonntag ist der einzige Tag der Woche, an dem ich ausspannen kann.<
>Ha, von wegen!<, sagte Herr Sebastian Terhaus laut und bemerkte, dass er zu sich selbst sprach. Bis Gestern hatte er dies nie getan, ja bis Gestern nicht... Er zuckte mit den Schultern. >Verdammt!<, sagte er und kicherte leise über den ungewohnten Klang seiner eigenen Worte.
Dann räumte er alles vom Tisch auf ein Tablett und trug es in die Veranda.