ITT CAME FROM THE DESERT
von Carsten Maday

Kapitel
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Der Schläfer erwacht

Major Mara Nejell erwachte. Anders als ihre drei Kameraden in den Hyperschlafschalen neben ihr, hatte sie nicht zwei Jahre, sondern nur einige Stunden geschlafen. Der Bordcomputer hatte ihre Aufweckphase bereits vor drei Wochen eingeleitet, als das getarnte Spähschiff in eine nahe Mondumlaufbahn geschwenkt war. Nötig wäre das frühe Erwachen des Majors nicht gewesen, denn der Oberst und der Bordcomputer reichten völlig aus, die Kommunikation des Feindes zu überwachen und auszuwerten. Es war eine Frage der Sicherheit gewesen. Sollte etwas Unvorhergesehenes eintreten, war es unerlässlich, dass ein Offizier zur Stelle war, der über zwei Arme und Beine verfügte. Aus dem selben Grund waren noch drei andere Soldaten an Bord. Es waren Narx, Angehörige einer humanoiden Echsenspezies und bewährte Frontsoldaten.
Mara Nejell erhob sich aus ihrer Hyperschlafschale, die ihr wegen der Enge des Spähschiffes auch als gewöhnliches Bett dienen musste. Die Hyperschlafschalen der Narx standen bereits offen. Ein Blick auf die Kontrollmonitore verriet dem Major, dass die Aufwachphase in weniger als fünf Stunden abgeschlossen sein würde. Eigentlich hätten die Narx der Hyperschlafschalen nicht bedurft. Die Echsenwesen waren in der Lage, ihre Körperfunktionen bis auf ein Minimum herunter zu fahren, und konnten so über Jahre in einem fast todesähnlichen Zustand überleben. Dieser Winterschlaf war ein evolutionäres Überbleibsel aus der Zeit, als die Vorfahren der Narx noch in den schlammigen Löchern ihrer Heimatwelt lebten, hatte jedoch einen Nachteil. Die Aufwachphase betrug mehrere Wochen. Die Hyperschlafschalen kürzten die Aufwachphase auf einige Tage ab. Die Narx waren aus dem gleichen Grund wie der Major an Bord und würden voraussichtlich eine ruhige Kugel schieben dürfen. Wenn allerdings etwas schief ging, war es gut, drei kampferprobte Soldaten an Bord zu haben.
Nach einer kurzen Schalldusche ging der Major in den Kontrollraum. Es war noch mehr als eine Stunde Zeit, aber Mara Nejell spürte, wie sich Aufregung in ihr auszubreiten begann. Das war für eine Vertreterin ihrer Spezies, die eher als rational und unterkühlt galt, durchaus ungewöhnlich, aber schließlich war es Maras erste große Mission. Und was für eine, dachte sie, als sie sich an ihr schlichtes Arbeitsterminal setzte.
Der Major gehörte den Itt an. Die Itt waren die Gründerspezies des Imperiums. Die Itt waren hochaufgeschossen und hatten schlanke, beinahe zerbrechlich anmutende Gliedmassen. Der Eindruck täuschte. Auch wenn es die Itt rein körperlich nicht mit einem gut ausgebildeten Narx-Soldaten aufnehmen konnten, so manch ein Gegner hatte überrascht feststellen müssen, wie viel Kraft in den Griff einer dreifingrigen Itthand steckte. Der große Schädel der Itt, in dem schwarze, große Augen unwillkürlich den Blick des Betrachters anzogen, war frei von Haaren, wie auch die gesamte bläulich graue Haute der Itt völlig unbehaart war. Die feinen Nuancen im Schimmern der Haut und der Adern darunter verrieten den Itt auch im bekleideten Zustand das Geschlecht untereinander. Für Angehörige anderer Spezies, selbst für altgediente Narx, war es beinahe unmöglich, einen Unterschied festzustellen. Daher befand sich bei Militärangehörigen der Itt neben dem Namensschild ein kleines Symbol, welches Auskunft über das Geschlecht des Offiziers gab. Das verhinderte Peinlichkeiten bei der Anrede.
>Guten Morgen, Herr Oberst<, sagte der Major.
>Ja<, erschien als Antwort auf dem Bildschirm. Der Oberst war nicht für seinen Smalltalk bekannt. Selbst Mara, die eher sparsam mit Worten umging, hatte sich im Verlauf der letzten drei Wochen gewünscht, der Oberst wäre etwas unterhaltsamer.
>Was soll man von einem Schwamm auch erwarten<, dachte Mara mit einem Snobismus, der aus dem Bewusstsein geboren war, dass die Itt seit mehr als tausend Jahren über das größte Reich der Galaxie herrschten. Das hinderte sie allerdings nicht daran, die Befehle des Oberst auszuführen, da er, wie Mara zugeben musste, ein äußerst kompetenter Schwamm war. Die Spezies, welcher der Oberst angehörte, lebte auf ihrem Heimatplaneten in der Tiefsee und verfügte über einen überragenden Intellekt, der sie für eine Verwendung im Stabsdienst geradezu prädestinierte. Als Offiziere im Feld waren sie nur eingeschränkt verwendungsfähig. Der Oberst befand sich im Bauch des Schiffes in einem 2000 Liter Drucktank, der die für ihn angenehme Wassertiefe von 3000 Metern simulierte. Von dort aus koordinierte der Oberst die Aufklärung der Einsatzgebiete.
Mara sah auf die Daten, die der Oberst auf ihren Terminal schickte. Das Schiff hatte vor zwei Tagen den Mond verlassen und hatte nun eine Position in einer erdnahen Umlaufbahn bezogen. Die Itt sah sich die Zusammenfassung der vom Oberst gesammelten Daten an, die sich wie folgt zusammenfassen ließ: auf der Erde nichts Neues. So ging es schon seit Wochen. Maras Mission war leider genauso langweilig wie bedeutsam. Mara warf einen Blick auf die abgefangenen Transmissionen. Das machte sie ebenfalls seit Wochen. Das Studium der Erdtransmissionen hatte sie noch mehr von der Notwendigkeit des Unternehmens überzeugt. Es war offensichtlich, dass die Menschen etwas planten. Man musste sich nur ihre rassistischen Propagandafilme ansehen, mit denen sie die Bevölkerung auf einen Krieg vorbereiteten. Darin sah man stets Geschöpfe, die den Itt stark ähnelten. Zumeist äscherten sie die Erde unbarmherzig ein, bevor sie letztlich durch heldenhafte Gegenwehr der Menschen besiegt wurden. Was Mara aber bei der Darstellung der Außerirdischen wirklich anwiderte, war nicht ihre Grausamkeit oder Dummheit, nein, es war die Tatsache, dass sie stets nackt und geschlechtslos waren. Als würden sie keine Kleidung kennen. Das war obszön. Die seltsame Faszination, die Nacktheit auf Menschen ausübte, war Mara nicht verborgen geblieben. Fast ein Drittel der abgefangenen Transmissionen zeigte den Menschen bei der Paarung. In immer wieder neuen Darstellungen mit wechselnden Akteuren. Als wenn ein Film nicht gereicht hätte. Die Abwehr vermutete dahinter ein großangelegtes Propagandaunternehmen, um sie sexuelle Lust der Menschen anzuregen, damit sie mehr Nachwuchs zeugten, um die Wehrkraft zu erhöhen. Die ansteigende Planetenbevölkerung und die enorme atomare Aufrüstung der letzten fünfzig Jahre untermauerten diese These, obwohl Mara, dass es da noch mehr gab.
>Empfange Transmission<, erlöste die Stimme des Bordcomputers den Major endlich aus dem Warten.
>Es ist so weit<, sagte Mara und zwang sich, ihre Aufregung nicht zu zeigen.
>Ja<, erschien die Antwort des Oberst auf dem Bildschirm.
>Die Seelen sind rot< So lautete der Inhalt der Transmission. Es war ein Zitat aus einem Gedicht des berühmten Quell´Irin und die Bestätigung dafür, dass die Mission ausgeführt werden konnte. Dafür war es notwendig gewesen, die Funkstille zu brechen. Es war über zwei Jahre her, seit dem das Spähschiff zu seiner Mission aufgebrochen war. Eine lange Zeit. Lange genug, dass sich die Dinge ändern konnten. Mara atmete erleichtert aus. Kaum auszudenken, wenn man die ganze Sache nun doch abgesagt hätte. Die Transmission selbst musste schon über drei Monate alt sein. Aktueller ging es nicht im All.
Es verstrichen zwanzig Minuten. Dann startete der Bordcomputer das Programm. Mara blieb nichts anderes zu tun, als sich zurück zu lehnen und bei einer heißen Tasse Siba das Geschehen am Bildschirm zu verfolgen.
>Zugriff auf Sattelitensystem. Versende Kriegserklärungen. Beginne mit Transmission<, sagte der Bordcomputer.
Die Itt waren eine Spezies mit hohen Moralvorstellungen. Sie führten niemals Angriffskriege. Zumindest nach ihrer Definition. Vor Beginn eines Verteidigungsangriffes übermittelte das Itt-Imperium ordnungsgemäß und mit angemessener Vorwarnzeit die Kriegserklärung. Niemals leiteten die Itt bereits davor aktive Schritte ein. Dies hatten sie schon seit den Gründertagen des Reiches getan und die Itt legten großen Wert darauf, diese Tradition beizubehalten. Allerdings hatte der schmerzliche Niedergang des Imperiums, der vor mehr als zweihundert Jahren begonnen hatte, zu gewissen Änderungen dessen geführt, was man unter einer angemessenen Vorwarnzeit verstand. Momentan lag sie bei zehn Minuten. Hatte der Gegner bis dahin den fünfhundert Seiten lagen Text, der auf juristisch wasserdichten Hoch-Ittisch geschrieben war, übersetzt und gelesen, konnte er augenblicklich Gegenmaßnahmen einleiten. Der Computer versendete an die Regierungen der Erde die Standart-Kriegserklärung. In diesem Fall war sie noch mit einem zusätzlichen Anhang versehen, der auf das Tel-Gor-Abkommen verwies, welches diesen Teil der Galaxie eindeutig dem Itt-Imperium zusprach, sowie eine Anklageliste, die insbesondere die verbrecherische Behandlung der Itt-Botschafter durch die Menschen anführte. Dieses Verbrechen lag bereits mehr als fünfzig Jahre zurück, aber die Itt hatten es nie vergessen.
Nach zehn Minuten meldete sich der Bordcomputer:
>Aktiviere Programm zur Sattelitenübernahme.< Die Tatsache, dass die Menschen ihre Satteliten ungeschützt ließen, sollte sich nun gegen sie wenden. Mara schüttelte ihr Haupt. Die Menschen hatten zu sehr darauf vertraut, dass ihre Teleskope sie frühzeitig vor einer nahenden Invasionsflotte warnen würden. Mit einem kleinen Stealth-Aufklärer hatten sie offensichtlich nicht gerechnet.
>Aktiviere Landungsbojen.<
Ein Ruck ging durch das Schiff, als der Bordcomputer die Stealth-Verschalung des Spähschiffes absprengte und das Dutzend zylinderförmiger Behälter freilegte, das am Schiffsäußeren angebracht war. Mara lachte innerlich bei dem Gedanken daran, was auf den Überwachungsmonitoren auf der Erde los sein würde, nun, da ihr Schiff sichtbar geworden war.
Der Bordcomputer entließ die Zylinder aus ihrer Verankerung. Die Behälter zündeten ihre Triebwerke und nahmen Kurs auf die Erde.

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