Ein merkwürdiger Fall (mit eigener Zeichnung)
von Enno Ahrens (epiklord)

 


Die Polizei hatte Gluck in Gewahrsam genommen. Er war den Passanten in der Innenstadt merkwürdig vorgekommen mit seinem unermesslichen Lächeln. Oberarzt Dr. Weiß:
„Den behalte ich im Auge. Der bleibt bei mir auf der Geschlossenen. Ein kritischer Fall.“
„Was fehlt ihm denn?“, fragte Stationsarzt Dr. Grün.
„Fehlen, ist gutgesagt. Im Gegenteil, der strotzt über vom Sich-glücklich-fühlen.“
„Ja, aber wenn er nun einfach mit sich und der Welt zutiefst zufrieden ist?“
„Ich bitte Sie, Dr. Grün, selbst die schon seit Jahren amtierenden Politiker müssten zugeben, dass noch vieles im Argen liegt und verbessert werden muss. Der Patient ist manisch bzw. paranoid. Der bildet sich ein, er wäre total happy. Es gibt den eingebildet Kranken. Warum also nicht auch einen eingebildet Glücklichen!?“
„Ja, aber dieser bedarf doch keiner Therapie.“
„Oh doch. Sie müssen sich vorstellen, der Patient reitet auf einem Huhn aus einem noch ungelegtem Ei, und meint damit über Wasser laufen zu können."
"Und daran müssen wir ihn hindern!?“
"Genau!"

Nachdem der eingebildet Glückliche eingesehen hatte, dass er allzu glücklich gewesen war und dass man nicht über Wasser laufen konnte, und die Psychiater im Glauben waren, ihn von seiner selbstgefährdenden Arglosigkeit befreit zu haben, entließen sie ihn.

Es war an einem düsteren Morgen. Gewitterwolken zogen auf und furchtbare Blitze schlugen auf dem Nachhauseweg um unseren Helden herum ein. Und einmal mehr war ihm klar, dass man auf dieser Welt nur bedingt glücklich sein könne.

Als er dann aber sein Heim unversehrt erreichte, wandelte sich plötzlich wieder seine Gesinnung, und er war wieder überaus glücklich, so wie früher. Schließlich hatte ihn keiner der tausend Blitze erschlagen. Und glücklich könne einer nur werden in einer bedrohlichen Welt. In einem Paradies stellte sich erst gar nicht die Frage danach. Aber diese Gedanken verwirrten ihn.

Vielleicht war es ja auch Gott gewesen, der ihn beschützt hatte, ja vielleicht hatte er bei jenem einen gehörigen Stein im Brett, weil er trotz der mit Schwächen behafteten Menschen, einer der Glücklichsten unter ihnen wurde.

Bei jedem schweren Gewitter führte er nun seinen Hund Engel hinaus an der Leine. Als dieser vom Blitz getroffen und schwer verletzt wurde, beschwerte sich ein Herr vom Tierschutzverein, beklagte, dass der eingebildet Glückliche unverantwortlich gehandelt habe, indem er sich und seinen Hund bewusst bei dem schweren Gewitter der Gefahr ausgesetzt habe.

Dr. Weiß führte anlässlich dessen eine Nachuntersuchung durch, und stellte fest, dass die Arglosigkeit des Patienten sich in ungeahnte Dimensionen erstreckt habe. Besonders, als der eingebildet Glückliche ihm sagte:
Gott habe seinen Hund und ihn immer beschützt gehabt. Aber diesmal war er wohl gerade auf Toilette gewesen, schließlich müsse ein Jeder mal austreten. Davon ließ er sich nie wieder abbringen, ebenso wenig wie von seinem unermesslichen Lächeln, welches er nun jedoch nicht mehr in der Innenstadt ausüben konnte.

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