False Friend
von Ilana

 

False Friend


Das Zimmer ist leer. Wir sitzen in verteilten Rollen und versuchen uns an der Lösung meines Lebens.
Er lässt meine Hand los.
„Doch.“, sage ich leise und dennoch bestimmt. Bewege mich keinen Millimeter auf dem braunen Ledersofa, mein Blick starr auf meine Füße gerichtet. Auf durchgelatschte Turnschuhe mit rosa Schnürbändern.
„Ich schaff das schon, ich brauche nur noch etwas Zeit.“
Die Wanduhr tickt und tickt und ich zähle die Sekunden, bis er was sagt. 135. Aber er sagt nichts, er seufzt. Reibt sich mit beiden Fingern die Augen und seufzt.
All die Ruhe, das Vertrauen weggewischt, was wirklich gesagt werden muss, bleibt vor der Türe stehen.
Und ich wieder alleine. In mir, mit mir.
Er steht auf und geht mit großen Schritten durch den Raum, seine Präsenz nimmt mir die Luft zum Atmen.
Ich will, das er meine Hand hält.
Er geht zum Schreibtisch, kramt, sucht, ich weiß nicht was, macht Lärm.
„Vielleicht bin ich der Falsche“. Er schluckt. „Ich glaube wir..., ich glaube sie sollten jemand anderes sehen.“ Nicht mal kurz schaut er mich an. Läßt mich eiskalt allein. Einer mehr auf der Liste.
„Sie verweigern, sie sperren sich, tricksen mich aus. Ich kann nicht länger die Verantwortung dafür übernehmen.“
Das ist es nicht, will ich sagen. Wir wissen beide, das ist nicht der Grund, kann es nicht sein, auch wenn es wahr ist.
Und er spricht und spricht ohne etwas zu sagen. Ich höre ihm längst nicht mehr zu, kann seine Worte nicht hören, imaginäre Hände auf beiden Ohren. Den Haken habe ich gemacht schon beim ersten Wort mit dem er mit beibringen wollte, dass er mich abgeschrieben hat, wenngleich das mit seinen Worten anders klingt.
Er kommt auf mich zu und immer noch bewegt sich sein Mund. Dieser riesengroße Mund, der Weisheiten ausspuckt und Offenbarungen provoziert. Dieser Mund der, je näher er mir kommt, wirkt , als könne er mich mit einem Haps auffressen. Und doch wünsch ich ihn mir ganz nah, ganz warm.
Seine Hand an meinem Ellbogen, umfasst meinen Arm. Kalt, denke ich.
„Verstehen sie meine Beweggründe?“
Ich schaue ihm in die Augen. Er muss mich einfach ansehen, muss sehen, was er tut, lasse ihn meinem Blick nicht ausweichen. Seine Pupillen zittern. Die Hand an meinem Arm wird wärmer, beginnt zu schwitzen. Ekel.
Ich drehe mich weg, will und kann es nicht aushalten.
Kann nichts als sitzen und starren und ein großes Nein in mir fühlen. Keines der Sorte, die längst hätten bedient werden müssen, die wieder und wieder gefehlt haben oder nur im verborgenen formuliert waren, der Körper spielt sein eigenes Spiel.. Eines dieser Neins, die zwar nicht geschrieen werden müssten, aber wollen, um all die leisen, nichtgesagten zu rächen.
Er hatte mal gesagt, ich hätte bald den Durchbruch geschafft. Wir hätten es bald geschafft. Ich sei fast soweit. Und ich hatte gelächelt und ihm geglaubt und meine Fingernägel wachsen lassen und mein Frühstück bei mir behalten.

„Ich werde ihnen die Nummer eines Kollegen..., einer Kollegin geben. Ich bin sicher, sie kann ihnen besser helfen.“ Hektisch steht er auf und greift Zettel und Stift. Er hat die Gefahr erkannt. Hat gespürt, wo das Problem liegt, als es zu seinem eigenen wurde.
Der goldfarbene Kugelschreiber tanzt auf dem Papier und hinterlässt lustige Kringel, die ich nicht lesen kann. Will.
„Und was, wenn ich das nicht will?“. Ich erschrecke, dass ich das gesagt und nicht nur gedacht habe.
Wieder kann ich ihn schlucken hören. Einmal. Ein zweites Mal.
„Ich kann ihnen nicht mehr helfen. Ich...ich.“ Wieder beginnt er auf- und abzuschreiten, jetzt schneller.
„Sie tun sich weh. Sie kommen nicht zur Vernunft. Sie. Ich. Ich will mich um sie kümmern, aber ich kann es nicht.“ Er kommt auf mich zu und geht vor mir in die Hocke, sieht mich an und streicht mir die Haare aus dem Gesicht. „Ich will sie nicht alleine lassen. Sie können nicht alleine bleiben. Aber ich darf es nicht. So nicht.“
Ich weiß was er meint. Die Haarsträhne fällt mir zurück ins Gesicht, riecht rein und gut. Er weiß das. Er weiß es.
Er steht auf. Ich weiß, was als nächstes kommt. Meine Stunde ist abgelaufen. „Rufen sie die Nummer an, die ich ihnen gegeben habe.“
Ich will erwachsen sein. Ich möchte mit einem nichtssagenden Lächeln aufstehen, den Zettel nehmen, mich höflich verabschieden, durch die Tür gehen, den Fahrstuhl nach unten nehmen, nach Hause gehen und mein Leben führen.
Aber ich zittere und zucke. Habe Schwierigkeiten, mich auf meine wackligen Beine zu stellen. Gehe ein paar Schritte, meine Schnürsenkel sind offen, schleifen über den dicken Teppich.

Im Laden um die Ecke kaufe ich eine Flasche Rotwein, der in meiner Kehle brennt und mir wie Blut in kleinen Rinnsalen aus dem Mund läuft, als ich in der U-Bahn sitze. Von meiner Kunststoff Sitzbank aus beobachte ich das Treiben und verabschiede mich mit jedem Schluck ein Stück mehr von mir, lache über die verheilten Schnitte, kaue Fingernägel ab.

Auf der Straße schenke ich die Flasche einem Typen, der in einem Hauseingang sitzt und bettelt, ein bisschen ist noch drin.
Ich laufe los, und laufe, bis ich ganz leer bin, bis ich diesen Körper endlich abgeschüttelt habe. Und ich sehe den roten Laster, der da um die Ecke kommt, ich sehe ihn.



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