arbeitslos
von sami omar (schwesig)

 

arbeitslos

Ich denke nicht oft an Kunst wenn ich mit meinem Körper spiele. Vor einiger Zeit entdeckte ich aber, daß sich, wenn ich es zu einer Falte quetsche, mein Bauchfett derart verformt, daß mein Bauchnabel aussieht wie eine der schmelzenden Uhren auf Salvador Dali´s Gemälden.
Diese Entdeckung hat mir für zwei, vielleicht vier Minuten große Freude bereitet. Also beschloß ich sie mit Rebecca zu teilen, die gerade ihre Kleider zusammensuchte. Becci, sagte ich, schaumal ich kann Dadaismus mit meinem Bauchnabel machen. Sie sah kurz auf, jedenfalls drehte sie mir den Kopf zu. "Hast du heute Zeit mein Fahrrad zu reparieren?", fragte sie. "Ja, Klar. Nur der Dadaismus, schau doch mal..."
Ich beschloss die Sache zu verschieben und mich anzuziehen. Es mußte ein Plan her für den Tag. Ich würde ins Internetcafe gehen und Stellenangebote lesen. Ich würde die Wäsche machen und die Fenster im Badezimmer putzen, dachte ich. Es gibt viel zu tun. Drei Stunden später zog ich mich also an. Wäre ich gleich losgegangen, hätte ich nun wahrscheinlich am Rechner gesessen und Bewerbungen geschrieben. Die Wäsche wäre schon trocken und vielleicht sogar Becci´s Fahrrad repariert gewesen. Aber ich kam zu nichts. Ich war arbeitslos. Bald zwei Monate ging das schon so. Ich kam einfach zu nichts. Als ich noch gearbeitet hatte war der Stress kaum erträglich. Es gab x Berichte zu schreiben, Telefonate zu führen, Termine zu vereinbaren und, und, und.
Doch seit ich nichts zu tun hatte, kam ich zu nichts. Der Druck etwas zu tun war so groß, daß ich mich ihm jeden Tag auf´s Neue ergab und, richtig, nichts tat. Das depremierte mich. Antriebslosigkeit ist ein Kardinalsymptom der Depression und da hätten wir schon den zweiten Grund dafür, daß ich zu rein garnichts kam.

Rebecca kam meist so gegen acht zurück. Oh süße, verdiente Abgespanntheit. Wie ich sie beneidete, manchmal wütend auf sie war. Wie sie da zur Tür hineinkam, die Tasche in die Ecke schmiß. Sie schnaubte ein Hallo und war erst wieder ansprechbar, als der Arbeitsschweiß des Tages abgeduscht und sie gesättigt war.Ich habe noch nie so oft gekocht wie in dieser Zeit. Ich habe, verdammtnochmal, Dinge zubereitet die garnicht eingeschweißt waren. Noch öfter habe ich gelogen. Je abgespannter sie war, desto mehr gab ich vor es zu sein. Nur um mitzuhaten und mir nich die Blöße geben zu müssen. Dabei war offensichtlich, daß meine Abgespanntheit jede Ursache vemissen ließ. Ich hatte ja den ganzen Tag nichts getan, als den Tag zu planen und meinen Körper auf Entsprechungen zur jüngeren Kunstgeschichte zu untersuchen. Rebecca sprach mich nur selten darauf an.
Ich hatte 1-2 Vorstellungsgespräche pro Woche, wobei das Wort Gespräch auf die meisten Termine nicht angewandt werden kann. Ich war bei Kioskbesitzern mit dem Charme bolivianischer Drogenbosse, bei Versicherungsvertretern ( "Nein, Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.")und bei sogenannten Hilfsorganisationen die tatsächlich ganze zwei Euro an bedürftige Kinder in Afrika oder sonstwo gespendet hätten, sofern es mir gelungen wäre zuvor ein 40 Euro teures Kosmetikpaket an die Frau zu bringen. "Und da wäre es natürlich überzeugend wenn sie das machen, wo sie doch aus dem schönen Land kommen.")
Diesen Job hätte ich wahrscheinlich bekommen. Doch ich sah dowohl davon ab ihn anzunehmen, als auch davon zum 28-tausendsten-Mal durchaus gebildeten Mitteleuropäern zu erkläre, daß Afrika ein Kontinent ist.

In Zeiten der Arbeitslosigkeit leidet nichts so, wie das Selbstbewustsein. Die Gewissheit ein funktionierender Teil der Gesellschaft zu sein, ist für das Ego das, was für eine Insel das Wasser und für Neonazis ein signifikant niedriger IQ ist. Es definiert die Person, das Objekt.
Im zweiten Monat meiner Arbeitslosigkeit begann ich damit möglichst alles zu kompensieren, was mir Schwierigkeiten bereitete. Die Konflikte zwischen Rebecca und mir häuften sich und mein Alkoholknsum stieg zu einem Maß an, daß nach mehr Alkohol verlangte. Ansonsten hätte ich begonnen mir um meinen Alkoholkonsum ernsthaft Sorgen zu machen. Die Konflikte zwischen uns hatten meist ein und die selbe Ursache. Trost! Genauer: Das wonach Trost verlangt. Wer sich nämlich trösten lassen will,muß sich eigestanden haben, daß er des Trostes bedarf.
Ich neige in Momenten größter Verzweiflung dazu, dies um keinen Preis zu tun! Wer also wie ich den Trost ablehnt, den er offensichtlich braucht, stößt die tröstende Person zwangsläufig vor den Kopf. Aber ehrlich! Die Durchhalteparolen, die tröstenden Umarmungen, die mitleidigen Blicke. Alles, alles eriinnerte mich daran, daß ich mächtig in der scheiße saß.
Wie muß es menschen gehen, die jahrelang arbeitslos sind !? Wie sind Menschen gestrickt die hunderte Bewerbungen schreiben und nicht aufgeben, drogenabhängeig oder gewalttätig werden?
So gesehen ist es ein glückliches Phänomen, daß die terroristische Bedrohung Deutschlands größtenteils aus dem Ausland kommt. 2004 waren 9,20 der Deutschen arbeitslos. Kinder nicht mit eingerechnet! In China waren im selben Jahr 4,2% der Bevölkerung arbeitslos. Gott weiß ob Kinder mit einbezogen wurden.
Schließlich fand ich Arbeit. Eine halbe Stelle. Es hat sich viel getan und verbessert. Von meiner Gesundheit, meinem Kontostand über mein Sexualleben zu meiner Tiefschlafphase. Eines jedoch ist auffallend. Seit ich diese stelle habe, finde ich Jobs! Zweite, dritte!.
Es sind nur kleine, die ich nebenbei mache. Aber sie jagen mich förmlich. Mit meiner Anstellung bin ich wieder wer. Ich traue mir was zu. Viel sogar. Ich begrüße Rebecca mit Abendessen wenn ich mal vor ihr zu Hause bin. Ich spreche mit Bekannten über meine Probleme. Ich lasse mich furchtbar gerne trösten und fühle mich genital hervorragend ausgestattet. Alles der Arbeit wegen. Deswegen, weil ich sie so sehr zur Definition meiner Person brauche.

Die Sache mit dem Dadaismus habe ich Becci lang Zeit später nochmal gezeigt. Dabei entdeckte ich auch noch ein Muttermal in der Form von Kreta auf meinem Arm. Wir lachten noch einwenig erschöpft darüber und schliefen bald ein. Es war Sonntagabend und morgen hatten wir beide verdammtnochmal zu arbeiten.

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