Tunnel
von Carsten Maday

Kapitel
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Gott

Und als das Gottsein über ihn kam, da sprang Gott von dem Tisch auf und rannte hinaus aus dem Cafe. Und gleich wieder hinein und legte Geld auf den Tisch. Denn Gott war kein Zechpreller. Er begleich seine Rechnungen. Als Gott hinaus ging, glitt ein Löffel von einem Tisch. Gott ging weiter, hob ihn nicht auf, ließ es den jungen Mann tun, von dessen Tisch der Löffel gefallen war. Es gab Dinge, die man selbst tun musste.
Gott weinte, als er hinaus trat. Es regnete noch immer. Und als der Regen die Tränen aus Gottes Gesicht wusch, da sah der Herr, dass es Abend war. Und weil es ein langer Tag gewesen war, beschloss Gott, nach Hause zu gehen.
Gott war ein reicher Mann. Er besaß Häuser überall auf der Welt. So brauchte er nicht weit zu gehen, bis er zu einem kam. Und als Gott die Kirche betrat, da vollbrachte er das erste von drei Wundern, die er innerhalb der sieben Tage zu tun beschlossen hatte. Kraft seiner Allmacht ließ er unbemerkt seine vom Regen durchnässte Jeans trocknen. In einer klammen, klebrigen Jeans auf knarrender Kirchenbank zu hocken, war selbst für Gott zuviel des Martyriums.

Es war ein alternativer Gottesdienst. Mit Gesprächsrunde und abschließendem Gebet. Die Nerven der Pastorin, meiner Hausmeisterin, wenn man so wollte, lagen blank. Ihr Mann hatte die Scheidung gefordert. Wegen einer Jüngeren. Was würde die Gemeinde da sagen? Ein besserwisserischer Student hatte während der Gesprächsrunde irgendwelche kruden, pseudo-marxistischen Thesen auf das Gleichnis vom Verlorenen Sohn biegen wollen. Und zu allem Überfluss kam mitten in der Runde Gott herein. Mit nassem Haar und trockenen Hosen. Und zu spät. Die Pastorin warf Gott einen bösen Blick zu, als er sich setzte. Die Pastorin verabscheute Zuspätkommer.
>Lasst uns den Abend mit einem stillen Gebet beenden.< Müde erhob sich die Pastorin. Sie würde froh sein, wenn der Tag vorbei war. Das kleine Häuflein Gläubiger und Gott erhoben sich.
Die Pastorin hielt einen Korb mit kleineren Steinen. Das hatte sie einmal auf einem Seminar gelernt:
>Bitte nehmt jeder einen Stein. Wandert um den Altar herum und vertraut dem Stein eure Sorgen an. Legt sie dann gleichsam mit dem Stein ab.<
Der Reihe nach nahm sich jeder einen Stein. Gott konnte es sich nicht verkneifen und zwinkerte der Pastorin neckisch zu. Sie gab vor, es nicht zu sehen.
Ich nahm einen Stein und umwanderte den Altar. Ich seufzte und vertraute dem Stein mein Leid an.
Als Mensch war ich ein überschlauer Narr gewesen. Ich hätte mir nicht wünschen dürfen, Gott zu sein, sondern wie Gott zu sein. Nun war ich Gott. All die Dinge, die ich als Mensch mit göttlichen Kräften tun wollte, kamen nun nicht mehr in Frage. Es interessierte Gott wenig, dass er beispielsweise alle Frauen bis auf eine nackt sehen konnte. Gott verspürte auch kein Verlangen, alle Anbieter irgendwelcher Handy-Sparpakete oder 0190-Betreiber mit einer biblischen Plage heimzusuchen. Und Gott würde auch nicht jene mit seiner Rache bis ins siebte Glied verfolgen, die ihn einst als Menschen zusammentraten.
Ein Narr war ich auch gewesen, weil ich mir gewünscht hatte, sieben Tage lang Gott zu sein. Das war zu lange, denn ironischer Weise erwartete nur der letzte Tag einwenig Arbeit von mir. Nein, viel zu tun gab es nicht, denn Gott konnte, wollte, durfte nichts tun. Er hatte dem Menschen einen freien Willen gegeben. Und jede Einflussnahme Gottes würde diese Freiheit beschneiden. Was wirklich schade wäre, denn das bisschen Freiheit war das einzig besondere am Menschen. Also, keine Sintfluten und keine blutenden Marienbilder, keine Katastrophen, die Gott abwendete und keine Plagen, die er brachte.
Es war eine lange Ewigkeit des Nichtstuns, die aus drei Aspekten bestand. Das erste Drittel sorgte sich Gott um die Menschen, die er liebte und verabscheute zugleich, die ihm täglich das Herz brachen und immer wieder hoffen ließen.
Das zweite Drittel seiner Zeit verbrachte Gott mit der Suche nach der Antwort auf die Frage, woher er selbst stammte. Als er aus dem Nichts das All werden ließ, wie kam er in das Nichts? Hatte ihn, Gott, jemand geschaffen? War Gott so alt, dass er schon Gedächtnislücken hatte? Gott suchte nach der Wahrheit, die es für ich nicht gab, noch nicht einmal eine Antwort, die ihm ausreichte. Und manches Mal fragte ich mich, ob ich die Menschen nicht erschaffen hatte, um nach meinem eigenen Ursprung zu suchen. Sie sind doch meine Geschöpfe. Steckt nicht genug Göttliches in ihnen, um die Fähigkeit zum Verständnis Gottes zu haben? Ich hoffte es, auch dass es mir ebenso erging, dass ich zumindest theoretisch die Möglichkeit hatte, mein Sein und meine Schöpfung zu begreifen.
Und das letzte Drittel? Reine Langeweile. Wirklich, so richtig ausgelastet war ich als Gott nicht. Das Universum hatte ich ganz gut hinbekommen. Viel Wartung brauchte es da nicht. Und die Menschen? Gott musste nicht beobachten. Er sah alles. Den Kindersoldaten und den General, den Papst und den Atheisten. Ach, manchmal wünschte ich...Oh!
Ich blickte auf den Stein. Ich verließ die um den Altar kreisende Runde der Gläubigen und ging zu der Pastorin. Sie sah mich ungehalten an.
>´Tschuldigung<, sagte Gott mit gütigem Lächeln. >Haben Sie noch einen Stein? Der hier ist voll.<

>Unverschämtheit<, ging es mir durch den Kopf. Da wird man einfach so aus seinem eigenen Haus geworfen. Ich wunderte mich, in welcher anderen Berufsbranche man wohl seinen Arbeitgeber so ungestraft vor die Tür setzen durfte. Das ging wohl nur in der Kirche.
Sicherheitshalber ging Gott nach Hause, dorthin wo ich als Mensch wohnte.
Ich trug es der Pastorin nicht nach, denn Gott hatte ja schließlich Humor. Vergeben aber konnte ich ihr nicht, denn entgegen der weit verbreiteten Vorstellung war Vergebung nicht meine stärkste Seite. Was sollte ich auch vergeben? Der Mensch verließ nicht den rechten Pfad. Er ging seinen eigenen. Wie sollte er davon dann abkommen? Ich vergab nicht, ich trug auch nichts nach, strafte weder, noch belohnte ich. Ich sah nur zu, war traurig und erfreut über ihre Taten.
Und Vergebung, so wie der Mensch sie sich vorstellte, erforderte aufrichtige Reue. Was war aufrichtig, was war Reue? Wer definierte sie? Ich? Oh, die Menschen wären wirklich erschrocken, wenn sie wüssten, wie klar ich ihre Seelen las.
Gott ging unter die Dusche, machte sich ein Butterbrot und setzte sich mit einem heißem Tee mit Zitrone (gegen die Erkältung. Gott musste morgen wieder zur Arbeit und durfte nicht krank werden) vor den Fernseher.
Als Mensch hatte ich mir oft gewünscht, dass ein Blitz die beiden Schläger beim Kacken erschlagen würde. Nun, ich bin kein gewalttätiger Mensch gewesen. Ich hatte von der Gewalt gekostet. Ihr Geschmack bereitete mir Übelkeit. Vielleicht war es das einzig gute an dieser Erfahrung. Sie hatte mich friedliebend gemacht. Dennoch, wenn es sie beim Kacken erwischt hätte, nun, ich hätte ihren Tod nicht gewünscht, aber wenn es so gekommen wäre, hätte ich gesagt, dass es gut und gerecht war.
Es waren beide normale Menschen mit guten Jobs. Der eine war sogar wirklich Bänker. Ihre Motive? Es gab keine, nur die Gelegenheit. Vielleicht neigte der eine zu streitlüsternem Machismo, der im angetrunkenem Zustand nach prahlerischen Anekdoten Ausschau hielt. Wenn er allerdings berichtete, wie er mir „gezeigt hat, wo es lang ging“, hat er nur seine eigene Schlagfertigkeit unterstrichen und irgendwie vergessen zu erzählen, dass sie mich zu zweit aufgemischt und zum Verrecken im Schnee liegen gelassen hatten. Verdrängt hatte er es jedenfalls nicht, obwohl er sich darum bemüht hat.
Und der andere? Frustration, schlechte Gesellschaft und eine üble Trennung von seiner Lebensgefährtin. Er bereute es. Es belastete ihn, mich aber mehr. Und als er sich erneut verliebte, in eine Frau, die ihn aus seiner Lebenskrise zog, da ging er den schweren Weg und erzählte ihr von meinem guten Rutsch ins Neue Jahr. Er hätte es ihr nicht erzählen müssen, aber ein Geständnis machte frei. Er war zu lange gefangen. War das Reue? Als er neben ihr auf der Bettkante saß und unter Tränen beichtete, da sah er ihr Entsetzten. Und das Maß ihres Entsetzens änderte seine Geschichte. So war ich es bald, der als erster schlug. Er sagte ihr, dass er glaube, dass es so gewesen sei. Er wusste, dass es eine Lüge war. Aber wenn er etwas Unsicherheit in seiner Aussage ließ, vielleicht war es dann keine so große Lüge. Und er musste es doch, lügen. Er sah ja ihren Augen, dass sie ihn angewidert verlassen würde, wenn er ihr alles erzählte. Wie sie auf mich eintraten, wie sie mich zurückließen und das schlimmste, wie diese wilde Lust bei jedem Tritt durch ihn lief und für köstliche Augenblicke die Frustration aus seiner Seele vertrieb. Das konnte er nicht sagen. Das Treten schon gar nicht. Das war schäbig. Schläge waren es. Mit den Fäusten. Ja, das war..., ja was denn? Ehrbar? Männlich?
Es war nicht fair, dass sie zu zweit auf mich einschlugen, das gab er zu, denn etwas musste er ja zugeben, oder? Und ich? Ich hatte es natürlich überlebt (ansonsten hätte man ja von meinem Tod in der Zeitung lesen können). Schließlich habe man ja auch nicht sooooooooooo schlimm auf mich eingeschlagen. Es war eben keine leichte Zeit für ihn gewesen. Sie vergab ihm, forschte nicht weiter nach. Er hatte nicht alles gebeichtet. Der Rest belastete ihn noch immer. Aber nicht mehr ganz so schwer. Er konnte damit Leben.
Und hätte er alles gebeichtet? Wäre das wahre Reue? Oder hätte er nicht zur Polizei gehen, alles gestehen, vielleicht in den Knast gehen und seine Freundin, Job und alles riskieren müssen? Nein, die Menschen wollten nicht wirklich Vergebung von Gott, denn er sah den wahren Grad ihrer Reue.
Ich schaltete den Fernseher aus und schlief. Das war kein Wunder, obwohl es mir als Mensch so vorgekommen wäre. Gott träumte von einer kleinen Fee im Blaumann.

Am nächsten Tag arbeitete Gott mit seinem Kollegen Heinz auf dem Friedhof. Es regnete noch immer, aber Gott war allwettertauglich. Gott arbeitete gerne mit Heinz, denn er war ein guter Mensch. Gott machte eine Stunde früher Feierabend. Als Mensch musste Gott zu seiner wöchentlichen Sitzung bei seinem Psychotherapeuten. Davor hatte es ihm stets gegraut, aber als Gott freute ich mich darauf. Es versprach unterhaltsam zu werden.
Die Fahrt mit der S-Bahn war wie am Tag zuvor. Als Gott aus den Tunnel schoss, gehörte er noch immer nicht zu den Menschen im Licht. Er war das Licht

>Nun, Herr ..., haben sie darüber nachgedacht, worüber wir letzte Woche gesprochen haben?< Mein Psychotherapeut schlug ein Bein über das andere und sah bedeutsam auf seinen Notizblock (1x Kasten Wasser und Tampons für Schnucki und Kalzium-Zink Tabletten vom DM-Mark). Als Mensch hatte ich zu Beginn meiner Therapie dies anfängliche Rekapitulieren der letzten Sitzung für sehr weise und interessiert gehalten. Später ahnte ich, was ich als Gott nun wusste. Mein Psychotherapeut hatte schlichtweg keine Ahnung davon, worüber wir letzte Woche gesprochen hatten. Das zeugte von einer guten, professionellen Distanz zum Kunden und davon, dass mein Psychotherapeut sein Geschäft beherrschte. Die Therapiefreudigen der ganzen Stadt liefen ihm die Bude ein. Da konnte man schon mal den Überblick über jede Sitzung verlieren. Hauptsache, der Kunde merkte nichts davon und zahlte. Mein Therapeut konnte es gebrauchen. Scheidung, zwei Kinder, neue Lebensgefährtin. Jünger, attraktiv und ein wenig verwöhnt.
>Letzte Woche?<, überlegte ich. Also vor meinem Gottsein. >Wir haben über meine Eltern gesprochen. Sie nannten mein Verhältnis zu ihnen „angespannt“!<
>Richtig. Genau. Wann haben sie ihre Eltern das letzte Mal gesehen?<
Gott dachte nach. >Vor drei Jahren. Bei ihrer Beerdigung.<
Der Hauch einer verlegenen Röte zeigte sich auf dem Gesicht meines Psychotherapeuten. Die Routine überspielte es souverän:
>Richtig. Eine persönliche Verabschiedung am Grabe ist in vielen Fällen vorteilhaft...<
>Unbedingt<, sagte Gott. >Aber eigentlich möchte ich nicht über meine Eltern sprechen.<
Eine eifrige Notiz: Für Sekretärin: Antrag auf fünfzehn weitere Therapiesitzungsstunden vorbereiteten.
>So, Herr ..., worüber möchten sie denn gerne sprechen? Was ist wichtiger als die Beziehung zu ihren verstorben (Notiz: Eltern tot) Eltern?<
>Nun, ich bin sein gestern Gott.<
Mein Psychotherapeut war ein abgebrühter Hund. Wenn er glaubte, einer seiner Kunden verarschte ihn, machte er das beste daraus (Notiz: Antrag auf fünfzig Stunden. Privatpatient. Junge, Junge, da kam was zusammen).
>Sie sind also Gott?<
>Ja.<
>So. Allmächtig sind sie auch?<
>Ja.<
>Aha. Dann können sie mir bestimmt sagen, woran ich gerade denke?<
>Sie denken, dass sie sich die neue Einbauküche für ihre Lebensgefährtin doch leisten könnten, wenn sie noch zwei Patienten wie mich mehr hätten.<
Notiz: Patient ist Gott. Sonntag Kirchbesuch. Vielleicht nur gut geraten?
>Nein habe ich nicht. Und es nutzt auch nichts, wenn sie ihre Golfpartie am Sonntag absagen.<
>Sie sind tatsächlich Gott, wie?<
Gott nickte.
Mein Psychotherapeut wusste augenscheinlich nicht, wie er mit dieser Situation umgehen sollte. Daher griff er rettend nach dem, auf das er sich verstand: der Therapie.
>Nun, lieber Gott...<
>Bitte, nur Gott, ja?<
>Gut, Gott. Da Sie...<
>Sie dürfen mich duzen. Das tut alle Welt. Sogar die Deutschen.<
>Gott, da du allmächtig bist, vielleicht solltest du da die günstige Gelegenheit ergreifen, um deine Beziehung zu deinen Eltern ins Reine zu bringen.<
Gott seufzte. Immer die Eltern. Wie abgedroschen. Meine Eltern. Herrje. Ihre Hölle, die andere Leute Ehe nannten, dauerte dreißig Jahre. Lange genug sich hassen zu lernen. Keiner wusste, warum sie noch zusammen waren. Sie am aller wenigsten. Vielleicht stritten sie nur gerne. Das taten sie auch, als sie vor einigen Jahren bei hoher Geschwindigkeit in der Nähe von Münster bei Nacht über die Autobahn jagten. Ein übermüdeter LKW-Fahrer erwischte sie seitlich. Sie kamen ins Trudeln und krachten über den Seitenstreifen die Böschung hinab. Mein Vater war sofort tot. Meine Mutter schnitten sie heraus. Sie starb im Krankenwagen. Ein kleines Kreuz, überwachsen nun, markierte die Stelle. Münster war seiner Tradition treu geblieben und hatte erneute einem dreißigjährigen Krieg sein Ende bereitet.
Aber warum nicht? Wenn man es konnte, musste man es dann nicht tun?
Ich erhob mich. Ich reichte meinem Psychotherapeuten die Hand. Er ergriff sie. Gott vollbrachte das zweite Wunder. Wir reisten in die Welt der Toten.

Ein nördlicher Wind wehte durch die ewige Nacht. Muskulöse Männer arbeiteten schweigend an den knarrenden Riemen, schoben den Bug des Schiffes durch das dunkle Meer. Nebel lag über der Wasseroberfläche. Nur hie und da schimmerte das Wasser schwarz darunter hervor. Schweigend stand Gott neben seinem Psychotherapeuten an Deck. Der war besorgt, aber nicht furchtsam. Warum auch? Wenn Gott einen durch ein finsteres Tal führen konnte, warum nicht über ein dunkles Wasser?
>Das Meer...<, stammelte mein Psychotherapeut.
>Der Okeanos<, sagte ich. >Der Weltstrom!<
>Ah<, seufzte der Therapeut. >Das Land der Kimmerier. Homer!<
Ich nickte anerkennend. Der Mann verstand sein Geschäft. >Odyssee. Elfter Gesang.<
Mit einem Ruck setzte das Schiff auf dem Kiesstrand auf. Die Männer sprangen von Bord und zogen das Schiff aufs dunkle Land. Der Therapeut und ich machten uns auf den Weg ins Landesinnere. Ich ging voran. Er wandelte in meinen Fußstapfen. Nach einer zeitlosen Weile gelangten wir an eine tiefe Kluft im Gebirge. Gott und sein Therapeut knieten nieder und scharten mit ihren Händen eine Mulde in den Boden. Gott zog eine Blutkonserve hervor.
>Schlachtet man für gewöhnlich nicht ein Schaf?<, warf der Therapeut ein.
>Das arme Schaf<, sagte Gott. >Es geht auch so.<
>Irgendwie beruhigend, dass Gott noch nicht einmal ein Schaf tötet<, meinte der Therapeut. Gott enthielt sich einer Antwort. In einer beschwörenden Geste erhob ich die Blutkonserve.
>Sollen wir es wagen<, frage ich.
>Nun, was glauben Sie denn?<, antwortete der Psychotherapeut instinktiv. Er errötete.
>Verzeihung. Ist einfach eine Berufskrankheit.<
Gott riss die Konserve auf und goss das Blut in die Mulde. Nach einer Weile erschienen die blassen Schemen der Toten am Rand der Kluft.
>Da<, rief der Therapeut. >Agamemnon, Aias, Thereisias. Mein Gott…<
>Ja?<
>´Tschuldigung, nur ein Ausruf des Erstaunens. Dort ist Achill!<
Der schnelle Renner trat aus der Schar der Toten und näherte sich. Er sah nicht glücklich aus und blickte mich vorwurfsvoll an.
>Gott, warum ist es im Hades so schrecklich? Ach, lieber der ärmste Tagelöhner auf Erden, als der geehrteste Fürst in der Unterwelt.<
Mein Psychotherapeut geriet ins Schwärmen.
>Ach, Homer. Ich wünschte, meine suizidgefährdeten Patienten könnten Achill hören. Das würde ihnen die Flausen austreiben,. Nicht wahr, Aias?<
Der hünenhafte Sohn des Telamon scharte verlegen mit dem Fuß im Sand und nickte beklommen.
>Huhu<, kam ein Ruf aus der Schar der Toten. >Lassen sie uns bitte durch. Wir sind die Eltern Gottes. Danke sehr.< Die Toten wichen achtungsvoll vor meinen Eltern.
>Hier! Wir sind´s, Klaus. Deine Eltern!<
Mein Psychotherapeut sah mich an.
>Klaus? Ich dachte du heißt...<
>Klaus ist mein Bruder<, seufzte Gott. >Mutter verwechselt uns ständig.<
Der Therapeut wollte eine Notiz machen, ließ es aber. Tote waren wohl nicht privat versichert, oder?
Endlich standen meine Eltern vor mir. Sie waren bleich. Ihre Augen gierten nach dem Blut. Mit einer Geste hielt Gott sie von dem Trunk fern. Der Therapeut nickte mir ermutigend zu.
Gott seufzte.
>Mutter. Vater. Ich möchte mich bei euch entschuldigen.<
Die Eltern sahen überrascht auf.
>Ich war euch gegenüber ungerecht und vielleicht habe ich euch nicht so geehrt, wie ihr es verdient hättet. Als ich Mensch war, habe ich euch nachgetragen, dass ihr eure Kinder nicht anständig abgesichert hab. Nun da ich Gott bin, sehe ich, wie viel das ist, was mir einst wenig schien. Ihr gabt mir Kleidung, Nahrung und die Möglichkeit einer guten Schulausbildung.<
Meine Eltern nickten eifrig. Gott seufzte erneut.
>Global gesehen kommen nur die wenigsten in den Genuss einer solchen Erziehung. Obwohl, nun ja, irgend eine Art der finanziellen Absicherung, einen Bauspar- oder Ausbildungsvertrag hätte ich mir als Mensch schon gewünscht. Oder vielleicht Unterstützung beim Studium. Ihr habt noch nicht mal eine Lebensversicherung gehabt, als ihr...<
>Ach<, sagte Mutter. >Das tut uns leid. Die haben wir uns auszahlen lassen, um den Wagen zu kaufen.<
Vater nickte mürrisch. >Verfluchter LKW-Fahrer. Der Wagen ist völlig im Eimer.< Er zuckte mit den Schultern. >Ich hätte euch gerne mehr hinterlassen, aber als kleiner Beamter...<
Gott nickte. Kleiner Beamter? Eher gehobener. Aber bei der eklatanten Misswirtschaft, die Gottes Eltern seit jeher betrieben hatten, war wirklich nichts auf die hohe Kante zu bringen gewesen.
>Das ist schon in Ordnung<, log Gott. >Ich wünschte mir nur, dass ihr auch einmal Vertrauen in mich mir gezeigt hättet. Stolz auf mich gewesen wäret.<
>Aber das waren wir doch<, sagten die Toten.
>So? Warum habt ihr es dann nie gezeigt?<
>Haben wir!<
>Nein, habt ihr nicht.<
>Doch, haben wir!<
Ich sah meinen Therapeuten an. Er sah ratlos zurück. Gegen ein überzeugtes „Doch, haben wir!“ kam selbst Gott nicht an.
>Hör mal, Junge<, sagte Vater, als er bemerkte, wie geknickt Gott aussah. >Deine Mutter und ich sind wirklich sehr stolz auf dich. Wir wussten schon immer, dass was aus dir wird.<
>So? Wirklich?<
>Ja, schon seit der Schule.<
>Aber ihr habt doch immer gesagt, dieses Jahr würde ich sitzen bleiben. Ihr habt sogar prophylaktische Anträge zur Wiederholung der Klasse gestellt. Obwohl ich nie sitzen geblieben bin!<
>Sah aber auch immer knapp aus<, warf meine Mutter ein.
>Wirklich, Sohn<, sagte der Vater. >Ich meine, du bist nun Gott, oder? Da ist man als Elternteil natürlich stolz drauf. Ich meine, viel höher geht es doch nicht mehr, was?<
>Genau<, sagte Mutter. >Und dieser Josef und seine Frau, wie heißt sie noch? Maria! Genau. Also die führen sich auf, als wären sie die Könige hier. Dabei sind sie nur die Eltern von deinem Sohn...<
Gott winkte ab. >Trinkt<, sagte er zu seinen Eltern.
>Endlich<, sagten die Toten. >Gott sei Dank.< Sie Toten warfen sich gierig aufs Blut und tranken.
>Keine Ursache<, sagte Gott und sah wieder zu seinem Therapeuten:
>Sie sehen, die Kommunikation mit meinen Eltern ist nicht ganz leicht. Nun, sie sind meine Eltern. Und ich liebe sie. Sie mich auch. Auf ihre Weise. Vielleicht muss das reichen. Wollen wir gehen?<
So einfach wollte der Psychotherapeut nicht aufgeben.
>Gott, wirklich. Du hast hier eine einmalige Chance. Wenn man die Gelegenheit hat, die Verhältnisse mit seinen toten Eltern ins Reine zu bringen, dann sollte man sie auch ergreifen.<
>Wirklich?<
Der Therapeut nickte überzeugt.
>Gut<, sagte Gott und gönnte sich ein Lächeln.
Ich Krächzen kam aus der Gruppe der Toten. Ein alter Mann schob sich nach vorn. Die Familienähnlichkeit war nicht zu übersehen. Trotz Falten und Leichenblässe.
>Junge!<, krächzte der Greis. Der Psychotherapeut wurde bleich.
>Vater?<
>Ja, Sohn. Ach, es gibt so vieles, was ich dir sagen...<
Der Psychotherapeut sah erst auf mich, dann auf seine Uhr:
>Oh, schon so spät? Ich fürchte, ihre Stunde ist bereits um!>
Wir kehrten zurück. Als wir übers schwarze Meer glitten fragte mich der Therapeut.
>Gott, sehen wir uns nächste Woche zum normalen Termin wieder?<
Ich schüttelte den Kopf.
>Nein. Nächste Woche bin ich wieder Mensch.<
>Ah. Dann als Mensch vielleicht?<
>Nein. Ich kenne nun die Antworten.<
Mein Psychotherapeut nickte und lachte.
>Wer kann das schon von sich behaupten, was? Ich werde mich wohl nicht an unseren Abstecher erinnern können, oder?<
Ein Kopfschütteln.
>Also ein Lebwohl.< Er reichte mir die Hand. Ich nahm sie.
>Eine Frage hätte ich noch, Gott.<
>Ja?<
>Der Hades? Ist das Leben nach dem Tod wirklich so?<
Gott schüttelte den Kopf. >Nein. Nur eine Frage des Stils.<
Mein Psychotherapeut wusste es zu schätzen.
>Aber wie ist das Leben nach dem Tod dann? Gibt es überhaupt ein Leben danach?<
Gott lächelte
>Nun, was glauben sie denn?<

Gott schlief, sah fern, arbeitete und aß. Endlich nahte die Zeit des letzten Wunders.
Gott hätte das Wunder vertuschen können, bis seine Einflussnahme gegen Null strebte. Aber er hätte es gewusst. Hätte Gott in dem Cafe den Löffel für den jungen Mann aufgehoben, dann wäre die Kellnerin nicht über ihn, sondern Gott gestolpert. Die beiden hätten keinen Gefallen aneinander gefunden. Der junge Mann hätte sie nicht zum Abendessen eingeladen. Sie hätten die Nacht nicht gemeinsam verbracht. Und der junge Mann hätte am nächsten Tag seiner Lebensgefährtin den Seitensprung nicht beichten können. Die Beziehung wäre auch so erloschen, aber ein wenig später. Denn der junge Mann fühlte schon sei langem keine Liebe mehr, er wusste es nur noch nicht. Der Seitensprung war ein willkommener Katalysator. Ohne ihn wäre er noch mit seiner Lebensgefährtin in den Urlaub geflogen. Zwei Tage darauf. Er wäre an jenem Abend bei seiner Freundin gewesen, als es dunkel war am Strand und der Tourist in einem Gebüsch auf ein Opfer lauerte. Und der Tourist hätte sie nicht überfallen, denn ein Mann war dabei. Das traute er sich nicht, obwohl sie eins dieser jungen Dinger war, die ihn wild machten. Aber davon gab es hier viele. Er würde die nächste vergewaltigen. Wäre das besser gewesen?
Also ließ Gott den Löffel. Und die junge Frau flog ohne ihren untreuen Lebensgefährten ins Paradies und zog die Blicke des Touristen auf sich, als sie allein durch die schöne Nacht spazierte.

Und als der Tourist sein Glück nicht fassen konnte, die Frau näher und näher an sein Versteck kam, da trat Gott hinter ihn und legte die Hand auf seine Schulter. Der Tourist drehte sich um und sah seinem Schöpfer ins Gesicht. Er erschrak nicht. Der Tod kam zu schnell. Es lag auch keine Erkenntnis in den Augen des Touristen. Für Erkenntnis war er zu geil. Der Körper sank leblos in den Sand.
Der Tod war Gottes drittes Wunder. Er war sauber. Dennoch weinte Gott bitterlich. Er liebte auch den Touristen. Was hätte ich tun sollen? Den Touristen einsperren, Beweise manipulieren? Oder gar das Verlangen aus dem Geist des Touristen tilgen? Ja, warum nicht? Warum nicht auch den Wunsch nach Weltfrieden in den Seelen der Menschen verwurzeln? Weil es nicht viel vom Menschen übrig ließ? Nein, besser einen sauber Schnitt machen, wenn es schon sein musste.
Es gab viele Vergewaltiger. Und viele Opfer. Ich konnte nicht jedes beschützen, nur dies eine. Gott mischte sich zwar nicht ein, aber er begleich auch seine Rechnungen.

Ich trat aus dem Gebüsch. Die junge Frau hörte es, drehte sich erschrocken um. In dem Sternenlicht dauerte es einen Moment, bis sie mich erkannte. Ein überraschtes Lächeln. Angst hatte sie keine. Die hatte ich ihr nie gemacht.
>Was machst du denn hier<, sagte meine ehemalige Mitbewohnerin.
>Urlaub? Ich sah dich am Strand. Dachte, die kenn ich doch.<
>Mensch, Wahnsinn. Die Welt ist wirklich klein, was?<
Gott gab ihr recht. Sie unterhielten sich. Was sie machten, was sie waren. Ich ließ mein Gottsein diskret unter den Tisch fallen. Gott führte sie fort vom Gebüsch. Als wir weit genug entfernt waren, setzten wir uns in den Sand. Das Meer rauschte sanft. Sterne leuchteten. Irgendwo erlosch eine Welt.
>Ich habe dir nie gedankt<, sagte Gott nach einem Schweigen zu seiner Mitbewohnerin.
>Ach weißt du...<
>Nein, wirklich. Du hast mein Leben gerettet. Ich danke dir.<
>Schon okay. Warum hast du dich nie wieder gemeldet?<
>Ich habe mich geschämt! Ich war so dumm.<
Sie nickte. >Warum, ich meine, warum hast du damals...?<
>Unwissenheit.<
>Und jetzt?<
>Nun, ich habe wohl dazu gelernt.<
>Ich habe das mit dem Überfall gehört. Ich habe versucht dich zu erreichen.<
>Ich weiß. Tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe.<
>War es schlimm?<
>Ja. Gewalt verändert, weißt du? Das wünsche ich keinem.<
Gott erhob sich.
>Ich muss dann mal.<
>Wirklich?<, sagte sie enttäuscht. >Sehen wir uns morgen?<
Gott schüttelte den Kopf.
>Morgen reise ich ab.<
>Schade. Dann lass uns heute noch einen trinken gehen.<
Da Gott keine gute Ausrede einfiel, ließ er sich breit schlagen und verbrachte einen schönen Abend.

Die Fee zu finden, war mit einer Schwierigkeit verbunden, aber mit keiner großen. Gott las in jedem Geschöpf auf Erden, nur in der Fee nicht. Ich wusste nicht einmal, wo sie sich aufhielt. Da Gott aber wusste, dass die Fee auf einer Werft jobbte, brauchte Gott nur in den Lohnabrechnungen aller Werften zu stöbern. Da! Fee! Weder Vor- noch Zuname. Gott ging in die Werft und fragte sich durch. Fee sah ihn kommen und winkte mit dem Schweißgerät.
Gott wartete geduldig bis Fee ihre Arbeit beendet hatte. Fee war bekannt für ihre feinen Schweißarbeiten. Als Fee fertig war, nahm sie ihre Schweißerbrille ab und lächelte mir fröhlich zu.
>Na, wie ist es als Gott?<
Ich zuckte mit den Schultern. >Ganz okay.<
>Ja?< Fee sah auf die Uhr. >Nur noch ein paar Minuten, dann bist du wieder ein Mensch.<
>Kann ehrlich sagen, dass ich mich darauf freue.<
>Kann ich mir vorstellen<, sagte Fee und zwinkerte mir wissend zu.
>Was wirst du als Mensch aus deinem Gottsein denn mitnehmen?<
>Viel, denke ich. Das Geheimnis der Schöpfung und so. Und ein paar Adressen von Frauen, mit denen ich eine wirklich erfüllte Beziehung haben könnte. Das sind global gesehen sogar jede Menge potenzieller Partnerinnen.< Ich zeigte Fee meine Favoritin.
>Bezaubernd<, sagte sie. >Vielleicht solltest du dein Kiswahili etwas aufbessern. Was noch?<
>Die Erkenntnis, dass ich nie allein bin, dass es jemanden gibt, der mich immer lieben wird.<
>Das ist schön. Was noch?<
>Reicht das nicht?<
Die Fee sah mich spöttisch an.
Gott seufzte.
>Dass ich mir das richtige aus dem falschen Grund gewünscht habe.<
>Was hättest du dir eigentlich wünschen wollen?<
>Na komm schon! Das weißt du, Fee.<
>Sag´s dennoch!<
>Mein eigentlicher Wunsch wäre..., na ja, irgendwie bist du so, als würde ich dich bereits kennen, weil ich von dir geträumt habe. Was wollte ich? Liebe? Vielleicht ein Date? Ich war zu schüttern, um mir das zu wünschen.<
>Aber bin ich nicht winzig? Habe ich nicht Flügel? Bin ich überhaupt real?<
Gott sah sie vorwurfsvoll an.
>Ach bitte, ich bin immerhin Gott und weiß, was solche Unterschiede wert sind.<
Sie nickte lobend.
>Und was ist mit deiner Liste von Traumfrauen. Steht mein Name darauf?<
>Nein.<
>Warum?<
>Weil ich von all diesen Menschen weiß, wer sie sind. Sie werden zu mir passen und ich zu ihnen. Wer du bist, weiß ich aber nicht.<
>Warum? Bist du nicht Gott?< Die Fee sah auf ihre Armbanduhr. >Zumindest noch für drei Minuten.<
Gott sah Fee an:
>Es ist die alte Frage, ob Gott einen Stein erschaffen kann, der so schwer ist, dass nicht einmal er ihn heben kann. Er kann. Und er kann nicht. Es ist eine Frage des Willens und nicht des Steines. Und Gottes Wille ist nicht allmächtig. Aber mächtig doch. Vielleicht schafft er es für sieben Tage, den Stein nicht heben zu können. Und vielleicht schafft er es auch, sieben Tage lang nicht die Gedanken einer Fee lesen zu können.<
Wir schwiegen eine Zeit lang.
>Und warum sollte Gott nicht in mir lesen wollen<, fragte Fee endlich.
>Damit es, wenn er wieder Mensch ist, jemanden gibt, den er nicht kennt, den er erst kennen lernen darf wie alle anderen Menschen auch.<
>Und das wäre dir lieber? Die Ungewissheit?<
Gott nickte und grinste >Ja. Obwohl ich nichts gegen einen kleinen Tipp hätte. Werden wir...?<
Fee sah auf ihre Uhr und lächelte mir zu:
>Wer weiß?<
Sie schwang ihren Zauberstab und ich war wieder Mensch.

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