TV-Leap: Mad Neks
von Carsten Maday
Ich tat genüsslich einen Schluck von meinem kühlen Bier, blinzelte in die herrliche Wintersonne, die wohlig auf meinem Gesicht spielte, und strapazierte meine Phantasie, indem ich mir vorstellte, ich säße vor einer malerischen Almhütte in einem zivilisierten Skigebiet der präapokalyptischen Zeit. Leider saß ich statt dessen auf der Terrasse einer schmuddeligen Kneipe in einem postapokalyptischen Loch von einem Städtchen, das sich Snow Flake nannte. Es sah auf dem ersten Blicken tatsächlich recht idyllisch aus. Der häufige Schneefall bedeckte hässliche braune und gelbe Flecken und die niedrigen Temperaturen verhinderten, dass sich der Ort in eine Schlammwüste verwandelte. Kriminalität und Prostitution stellten neunzig Prozent der Arbeitsplätze. Der Rest schuftete in irgendwelchen obskuren Sekten, die Hochkonjunktur hatten.
Der Ort war nicht viel mehr als ein Handelsposten. Zelte und Jurten überwogen die Zahl fester Gebäude bei weitem. Jeder schien auf der Durchreise zu sein, auf der Suche nach einem Ort, der nicht ganz so schäbig war. Gehandelt wurde mit allem. Besonders Relikte und Technik von vor dem Atomkrieg waren begehrt und nicht wenige Männer und Frauen riskierten in der Wildnis ihr Leben auf der Jagd nach diesen Kostbarkeiten. Der Asiate, der uns mit seinem unvergleichlichen Fahrstil gerettet hatte, war einer dieser Schatzjäger. Er hieß Lo. Wie er berichtete, war er auf der Suche von den Insektenwesen gefangengenommen und zwecks späterer Larvenausbrüstung eingesponnen worden. Zusammen mit ihm hatte sich Nu Jong unter abenteuerlichen Umständen befreien und fliehen können, bis sie schließlich auf mich trafen. Nachdem wir ihm von unserer Suche erzählt hatten, willigte Lo ein, uns zu helfen. Anscheinend hatte Nu Jong sein Herz erwärmt. Die Zahlung einiger Schokoriegel trat ihr übriges.
Nahrungsmittel hatten das Geld als einheitliche Währung abgelöst. Der atomare Winter währte fast acht Monate im Jahr und ließ nur wenig Zeit für den Getreideanbau. Wie sich herausstellte, waren unsere steinharten Schokoriegel ein kleines Vermögen wert. Luxuswaren fanden zu jeder Zeit ihre Käufer.
Wir waren heute morgen in die Stadt gekommen. Wir brauchten Informationen, Proviant und Diesel. Keines davon würde billig sein. Lo und Nu Jong hatten sich auf der Suche nach Informationen über die Schwarzen Vögel der Nacht in die Stadt begeben. Lo kannte den Ort und wusste von einer, wie er meinte , vielversprechenden Informationsquelle. Ich wartete so lange mit dem kleinen Damian in dieser Kaschemme, die nach postapokalyptischem Standart noch zu den besseren gehörte. Das Bier war halbwegs erträglich und statt der obligatorischen Erdnüsse servierte man hier ein Schälchen mit golfballgroßen Nüssen. Die waren steinhart und auf jenem Tisch lag eigens ein angeketteter Hammer mit dem Hinweis: Nur für Nüsse!
Ich nahm einen weiteren Schluck und genoss den Umstand einfach nur die Nebenrolle zu sein. Sollten die anderen sich nur um alles kümmern. Unter meiner Felljacke hatte sich Damian an mich gekuschelt. Der Kleine gluckste im Schlaf. Ich war froh, dass er ruhig war. Ich konnte eine Stunde Mamizeit wirklich gebrauchen.
>Eh, Bitchpussy!<, rief auf einmal ein Mann quer über die Terrasse in meine Richtung. Der Mann war hochaufgeschossen, schlaksig und trug punkige Klamotten mit jeder Menge Ketten. Er war schwarz mit einem asiatischen Einschlag. Asiaten stellen den größten Teil der Bevölkerung. Es gab einige Schwarze und indisch wirkende Menschen. Weiße hatte ich nur wenige gewesen. Entweder steckten die alle unter den Kutten der Sektenanhänger oder es war eine Hongkong-Produktion.
Der Typ stampfte auf mich zu und baute sich vor mir auf. Ich bereute, dass ich das Gewehr zurückgelassen hatte, aber in der Stadt war es nicht ratsam, offen Waffen zu tragen, weil sie mit hoher Wahrscheinlichkeit geraubt wurden. Aus diesem Grund hatten wir die Panzerhaubitze außerhalb des Städtchens versteckt. Ein solches Stück Technik weckte zu viele Begehrlichkeiten.
>Du hast ja, Nerven<, fuhr mich der Typ an. >Gehst hier einfach anschaffen in Earls Bezirk. Bist du eine von Ricks Nutten?<
>Bitte?< Wofür hielt mich dieser Kerl. Ich war eine anständige Frau und Mutter.
>Ich bin keine Nutte von wem auch immer-<, begann ich.
>Na, das wird ja immer besser<, zischte der Zuhälter. >Ne Freiberufliche. Ich glaube, der gute Earl wird dir dein hässliches Gesicht etwas verschönern müssen.< Der Kerl zückte ein Springmesser und fuchtelte damit vor meinen Augen herum. Von den wenigen anderen Gästen oder dem Wirt unternahm niemand etwas. Das schien in diesem Kaff an der Tagesordnung zu sein. Während ich das Messer nicht aus den Augen ließ, glitt meine Hand suchend über den Tisch. Ich ertastete den Bierkrug und schüttelte den Kopf. Zu laut, Damian könnte aufwachen. Ich suchte weiter nach dem Hammer. Stattdessen gelangten meine Finger zu der Schale mit den steinharten Nüssen.
Als der Zuhälter Anstalten machte auf mich loszugehen, setzte ich mein freundlichstes Gesicht auf und fragte lächelnd:
>Eine Nuss gefällig?<
Eine Viertelstunde später kamen Nu Jong und Lo zurück. Ich schlürfte gerade den Rest eines exotischen Cocktails lautstark durch den Strohhalm. Die Beiden setzten sich und berichteten. Sie hatten Proviant und Diesel ersteigert. Dafür war unser Vorrat an Schokoriegel nun fast aufgebraucht.
>Und Lo hat seine Informationsquelle gefunden<, sagte Nu Jong, die sich eine Nuss aus der Schale nahm, drei, vier Mal auf das harte Ding mit dem Hammer einschlug, bis sie endlich aufknackte. Ich nahm mir auch eine Nuss, als der Wirt mit einem weiteren prächtigen Cocktailglas erschien.
>Entschuldigen Sie, meine Dame<, sagte er sehr respektvoll. >Der Herr an der Theke sendet Ihnen dieses Getränk.< Am Ende des Terrasse stand der Zuhälter an der Theke und winkte schüchtern herüber.
>Wow<, sagte Nu Jong beeindruckt. >Wie kommst du denn zu dieser Ehre.<
Ich knackte die Nuss zwischen Zeigefinger und Daumen und schob mir den Inhalt in den Mund.
>Keine Ahnung<, sagte ich und prostete dem Herrn an der Theke freundlich zu.
Durch Nu Jongs Hämmern war leider auch Damian wach geworden. Er strampelte aufgeregt.
>Ja, hat der Kleine Hunger? Willst du Hapsi, Hapsi machen?<, erkundigte ich mich. Ich gab Damian das Fläschchen mit Vierhornrindmilch.
>Also, zurück zu Los Informanten<, sagte ich, während Damian gierig trank.
>Der Mann heißt Clayton<, berichtete Lo. >Er tauchte wie so viele vor ein paar Jahren aus der Wildnis hier auf und blieb in Snow Flake hängen. Er verdingt sich bei Baby Chow, dem lokalen Paten, als Buchhalter. Clayton ist ein kauziger Typ, der viel rumgekommen ist. Einmal habe ich ihn von einem Ort im Osten erzählen hören, an dem es weiße Flugmaschinen gegeben soll.<
>Die Schwarzen Vögel der Nacht<, sagte ich erstaunt. Die Hauptrollen hatten tatsächlich einmal sinnvolle Informationen beschafft. >Und habt ihr diesen Clayton befragt?<
Nu Jong und Lo sahen sich kurz an.
>Na ja<, druckste Nu Jong herum. >Wir haben es versucht. Aber leider gibt es da ein kleines Problem.<
>Ja, das ist feinie-feinie. Ja, wer hat denn ganz feinen Hunger? Ja, wer denn? Ist es der kleine Damian?<
Nu Jong und Lo sahen sich einen Moment verwirrt an. Dann fuhr Lo fort:
>Leider wird Clayton zur Zeit von Baby Chow gefangen gehalten. Es soll gewisse Missverständnisse bezüglich Claytons Buchführungsstil gegeben haben.<
>Ui, alles fein aufgegessen, ja? Musst du nun ein Bäuerchen machen? Ja? Aber Mami nicht wieder vollspucken, nein?
>Wie dem auch sei<, sagte Lo leicht irritiert, >Es gibt eine Möglichkeit, Clayton von Baby Chow loszukaufen.<
>Und musst du jetzt drücken? Ein feines Drückerchen machen? Ja, fein drücken.<
Während Damian fein drückte, erzählten mir Nu Jong und Lo von ihrem Plan, Clayton zu befreien.
>Ja, fein drückie-drückie gemacht<, lobte ich, als Nu Jong, Lo und Damian fertig waren.
>Soll Mami dir schnell die Windel wechseln, du kleiner knupsel-muspel Stinker, du?<
>Jetzt reicht es aber<, fuhr mich Nu Jong an. >Hast du überhaupt zugehört, was wir dir erzählt haben? Und ich glaube auch nicht, dass die Gäste es gerne hätten, wenn du Damian die Windel wechselst, während sie gerade essen.<
Ich sah Nu Jong mit mütterlicher Unverständnis an.
>Also, ich glaube nicht, dass das jemand stört, wenn ich schnell die Windel wechsle. Das ist doch völlig natürlich.< Ich wandte mich an die wenigen anderen Gäste und schenkte ihnen einen unschuldigen Blick. >Oder würde das euch vielleicht, nun ja, auf die NÜSSE gehen?< Heftiges Kopfschütteln der Gäste.
>Seht ihr? Und außerdem habe ich euch sehr wohl zugehört. Mütter können nämlich mehrere Dinge auf einmal machen. Also, es gibt da diesen Alkoholbrenner, dem Diebe seine Ausrüstung gestohlen haben. Wenn wir sie ihm wiederbeschaffen, verrät er uns zum Dank, was der Barkeeper vom Pussy Cat Inn braucht, damit er uns Miles, dem Chef von Chows Bodyguards vorstellt. Durch eine endlose Reihe ähnlicher kleiner Aufträge und Gefälligkeit können wir uns schließlich bis zu Baby Chow hocharbeiten und von ihm erfahren, was er für Claytons Freigabe verlangt.< Ich sah die beiden verdrießlich an. Das klang irgendwie nach einer zu werkgetreuen Verfilmung eines Computer-Rollenspiels.
>Gibt es nicht auch eine Möglichkeit, Clayton zu befreien, bevor Damian eingeschult wird? Mit Waffengewalt zum Beispiel?<
>Jetzt hab ich aber die Schnauze voll<, explodierte Nu Jong. >Den ganzen Tag sind Lo und ich durch die Stadt gezogen, haben uns die Hacken abgelaufen und den Mund fusselig geredet, bis wir alles besorgt haben, während die Super-Mami hier faul in der Sonne hockt, Cocktails schlürft und uns gute Ratschläge gibt. Meinst du nicht, dass wir nicht auch daran gedacht haben? Aber wir können Clayton nicht einfach raushauen. Er wird zu gut bewacht und Chows Männer haben sogar automatische Waffen. Warum tust du zur Abwechslung nicht auch mal was, Neks?<
Lo saß stumm und steif da und hütete sich davor, sich einzumischen.
>Ich kümmere mich doch um Damian<, sagte ich gekränkt.
>Das ist doch keine richtige Arbeit, Neks<, keifte Nu Jong. Jetzt platzte mir der Kragen.
>Ja, wenn ich hier so wenig Anerkennung für meine Arbeit als Mutter erhalte, warum wechselst du dem kleinen Scheißer nicht mal die Windeln und ich kümmere mich um Clayton.< Ich drückte Damian Nu Jong in die Hand und stürmte wutentbrannt aus der Bar.
Nach einer halben Stunde war ich wieder da. Mit Clayton im Schlepptau, einigen blauen Flecken und einem Streifschuss.
>Hier sind eure automatischen Waffen<, knurrte ich noch immer aufgebracht und warf die Dinger vor Nu Jong auf den Tisch.
>Und vielleicht sollten wir Snow Flake zügig hinter uns lassen. Nur für den Fall, dass Baby Chow nachtragend ist.<