Die warme Decke
von Clemens

 

Herr Hannes L. sehnt sich jeden morgen nach dem perfekten Tag. Beim Frühstück denkt er an ein erfüllendes Lächeln der Feinkostmitarbeiterinn nebst seinem Büro. Auf dem Weg in das Büro träumt er von der Kundin die ihm nur anruft um sich für die nette Betreuung der letzten Monate zu bedanken und ihm alles Glück für die Erfüllung seiner Träume wünscht. im Büro, während einer Konferenz mit einem größeren Funktionär denkt er an den bevorstehenden Abend, und träumt vom unverhofften Anruf eines Mädchens aus den alten Schulzeiten die soeben nach einer langjährigen Reise wieder in der Stadt ist und ihn liebend gerne wieder sehen möchte. Am Abend, wenn der Spielfilm im Abendprogramm zu Ende ist, fragt er sich warum die Menschen nur so schwach sind und würde sich nichts sehnlicher wünschen als keine Angst vor der Einsamkeit zu haben. Im Bett, wenn er die Decke bis zum Kinn hochgezogen hat, fragt sich Herr L. was er in seinem Leben falsch gemacht hat.

Herr Hannes L. wohnt in der Auerstrasse in einem Viertel mit 45 Prozent Ausländeranteil. Er liest in der Tageszeitung über Integrationspläne der sozial-demokratischen Partei und Reportagen über Gewalt an Schulen. Er ist mit dem Leitfaden der bürgerlichen Partei nicht einverstanden, denn er denkt dass jeder Mensch ein Recht auf Arbeit hat doch die sozialistische Partei würde er nie wählen. Den Sporteil und die Kulturbeiträge liest L. nie. Neben Herrn L. wohnt eine indische Familie. Seine Nachbarn bewohnten die Wohnung bereits als er vor 4 Jahren eingezogen ist.

Gestern hatte Herr Hannes L. ein eigenartiges Erlebnis.

Auf den Weg in sein Büro traf er auf einen Touristen der Ihn nach dem Weg fragte. Schon seit Monaten hat sich Herr L, auf diese Situation vorbereitet und sich vorgestellt wie er mit seinem Englisch Eindruck machen würde und hilfsbereit Auskunft geben könnte. Der Tourist, es war ein etwa 35 jähriger Mann, voraussichtlich aus Japan oder Korea, fragte nach einem Ort das in der Nähe sein sollte. Nach der Beschreibung des Touristen könne man an diesem Ort, er nannte es Pavillon, wunderbare Kokos-Küsschen kaufen. Herr L. war sichtlich verwirrt und schickte Ihn zum Zentralpark im nächsten Distrikt. Der fremde Herr bedankte sich mit einem Lächeln und wünschte ihm einen schönen Tag.

Im Büro angekommen wurden Herrn L.s Gedanken von seiner Sekretärin unterbrochen. Eine wichtige Kundin warte seit einer halben Stunde im Konferenzraum und verlange ihn zu sprechen. Er bat um einen Kaffee und ging zum neuen Aussenmitarbeiter um diesen über die Beschwerde eines Kunden zu informieren. Als er sein Büro betreten hat kam Ihm die wichtigen Kundin bereits entgegen und schüttelte Ihm aufgeregt die Hand. Es sei für Sie ein Segen gewesen dass Ihrem Ansuchen für ein neues Darlehen nicht stattgegeben wurde und sie würde nicht nur treue Kundin bleiben, sondern die Bausparkasse jedem Bekannten weiterempfehlen.

Der Kaffee war bereits kalt und stand am Bürotisch als Herr L. seine Sekretätin bat die Termine für den ganzen Tag abzusagen und Ihn zu entschuldigen. Verwirrt ging er die Verkaufstrasse runter zum "kleinen Cafe" und bestellte wie gewohnt eine heiße Schokolade mit Butterkeksen. Die Kellnerin brachte ihm die Bestellung und eine Ausgabe der heutigen Tageszeitung. Herr L. blätterte zum Sportteil und las einen Bericht über die aufstrebende ghanesesische Olympiamannschaft. Den restliche Tag verbrachte er im Zentralpark und beobachtete die Jugendlich wie sie Stöcke in der Luft drehten, kunstvoll einen kleinen Ball ohne Bodenkontakt hin und her schossen und ging bei Abenddämmerung nach Hause.

Im Stiegenhaus bei den Briefkästen traf er den Vater der indischen Familie welche neben Ihn wohnt. Nach dem üblichen "Grüß Gott" fragte Herr L. nach den besagtem Ort mit den wunderbaren Kokos-Küsschen. Es sei gleich in der Nähe und die Bedienung sei sehr freundlich. Zudem gäbe es gegenüber von dem kleinen Verkaufsstand eine Sitzbank die einen wunderschönen Blick auf den Zentralpark erlaubt.

An diesem Abend blieb der Fernseher ausgeschalten und Herr L. krempelte den Badesalz aus, welchen ihm seine Schwester letztes Weihnachten geschenkt hat und das die ganze Zeit zwischen den Handtüchern für den Badeurlaub gestanden hat. Nach einem Bad machte er das Fenster im Schlafzimmer weit auf und ging ins Bett. Der Straßenlärm mischte sich unterschwellig in seine Gedanken als er erkannte wonach es ihm seinem Leben fehlt.
Er war sich nun sicher was er all die Jahre falsch gemacht hat und war überglücklich seinen Frieden gefunden zu haben.

Herr L. hat den kleinen Verkaufstand mit den Kokos-Küsschen nie besucht, doch er wählt nun immer die Sozialdemokraten und hat jeden seiner Nachbarn einmal zum Essen eingeladen. Wenn er zu Bett geht, dreht Herr L. die Heizung auf genau 23 Grad und schläft mit Vorliebe nackt. Manchmal schiebt Herr Hannes L. seine Decke von der Bettkante und fragt sich warum er kein Glück im Leben hat.

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