Ein Tag am Meer
von sloggi

 

Es war ein kleines Haus. Eine einzelne Fussspur im Schnee markierte den Weg zu der unbeleuchteten Straße. Ich schaue auf diese Spuren, die ich dort hinterlasen hatte im weichen, bis dahin unberührten, weißen Schnee. Am Fenster sammeln sich kleine Eisblumen, die den Schein der Kerze spiegeln.
Das Haus liegt, eingehüllt von der Dunkelheit der Nacht, auf einer Lichtung in einem dichten, von Kiefern bewachsenen Wald. Der Schnee bedeckt sie fast völlig, so dass sie märchenhaft, fast einem Traum entsprungen wirken. Auch lässt die Dunkelheit gerade soviel Spielraum, um den Umriss der nahe gelegenen Berge zu erahnen.
So sitze ich am Fenster, allein, im Schein der Kerze und schaue auf das Bild, welches die Natur so einfühlsam gemalt hat. Aber meine Gedanken sind in der Vergangenheit, da wo es noch keinen Schnee gibt und die Sonne noch das Glitzern auf das Meer zauberte. Unschuld ist eines der Worte, die mir in diesem Augenblick durch den Kopf gehen. Unbeschwert barfuss auf feinem, fast weißen Sand laufen, den hellblauen wolkenfreien Himmel fest im Blick. Und doch wollte es das Schicksal anders, wollte, dass dunkle Wolken die Sonne verdecken und die Strahlen daran hindern das Meer zu umspielen.
Ich reiße mich von den Gedanken daran los und gehe in das kleine Badzimmer. Es hat weiße Fliesen, die mit einem dezenten Blumenaufdruck ausgestattet sind. Der Rest vom Bad ist in einem warmen Beige-Ton gehalten. Ich schaue in den kleinen runden, mit bunten Glas umrandeten Spiegel und sehe meine Augen, in deren traurigen Ausdruck. Kein Leuchten in dem grünen Meer, kein Lächeln, seit damals.
Der Strand war fast menschenleer, und wir lagen dort und ließen die Sonne unsere Haut wärmen, spürten wie die Hitze unsere Körper füllte und suchten, ab und zu, die Abkühlung des Meeres, das scheinbar ohne Grenze mit dem Horizont verschmolz. Freiheit, kam es mir in den Sinn, ist etwas das man nur fühlen konnte, wenn man glücklich ist.
Das kalte Wasser umspült mein Gesicht. Meine Gedanken wieder hier und klar. Es spült die Erinnerung fort, denke ich mir. Oder ich hoffe es. Schaue noch mal auf das Bild im Spiegel, drehe den Wasserhahn wieder zu und laufe in das Wohnzimmer. Auch hier ist es urgemütlich. Alles ist in warmes Holz gehüllt. Die braune Couch steht mittig im Raum, auf den Kamin gerichtet, in dem jetzt auch schon ein kleines Feuer entfacht ist. Im stillen bin ich mir dankbar, dass ich daran gedacht hatte, gleich nach der Ankunft Holz einzulegen und ein paar Zeitungen als Brandstifter benutzt zu haben. Die Flammen spiegeln sich an den Wänden und tauchen den Raum in ein warmes Licht. Ein Lächeln umspielt meine Lippen. Ja jetzt weiß ich wieder, warum ich mir ausgerechnet diesen verlassenen Ort am sprichwörtlichen Ende der Welt ausgesucht habe. Vielleicht finde ich hier die Ruhe und Entspannung, nach der ich schon so lange suche.
Anfangs war das Meer ruhig, fast keine Wellen. Aber vielleicht ist das Leben einfach so, es bezeichnet immer nur die Ruhe und Ausgeglichenheit, wenn ein Sturm bevorsteht. Sie wollte schwimmen und ich murmelte fast schlafend ein „viel Spass“ in ihre Richtung.
Ich erwachte durch den prasselnden Regen, der auf meine nackte Haut einstach, in diesem Moment, fragend wo ich war. Schaute verwirrt auf das tosende Meer, auf die dunklen Wolken, die den Himmel beherrschten. Plötzlich war der Gedanke da, ich schaute mich panisch um und suchte, meine Augen erfassten alles und doch nichts. Sie war nicht zu sehen, nichts von ihr. Ich rannte durch den kalten harten Regen, den ganzen Strand entlang, nichts. Ich rannte und alles um mich herum verschwamm, ein Nebel aus Gedanken, Angst, Unruhe und der Funken Hoffnung, der einem bleibt, der antreibt und doch nur so winzig klein ist, dass er fast mit dem heftigen Regen fortgeschwemmt wird. Aber ich hielt ihn fest, an mich gedrückt, bis zum nächsten Morgen. Der nächste Morgen kam, unaufhaltsam. So wie sie, auch sie kamen unaufhaltsam und mit ihnen die Nachricht. Sie hatten sie gefunden, draussen im blauen tiefen Meer. Ich hörte ihnen zu, wie in Trance, verschwommen vernahm ich ihre Worte, Worte wie Strömung, Erschöpfung und zu hohe Wellen. Aber ich kannte nur eine Frage, warum hatte ich ihr nicht helfen können? Wie konnte ich nur einschlafen? Warum?
Ich öffne die Augen, schaue in den Schein des Kaminfeuers, augenblicklich nimmt mich seine Wärme in Beschlag. Es spendet Trost. Doch eine Erkenntnis streift mich auch hier, im schneebedeckten Wald auf meiner kleinen Lichtung in den winterlichen Bergen. Die Ruhe nach der ich suchte, finde ich nicht an einem Ort, nur in mir selbst werde ich sie finden.
Wenn ich sie gehen lasse, im Meer, in diesem scheinbar grenzenlosen Blau und der Tiefe ohne Boden.

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