Sehnsucht 2
von Arnold Hohmann (myradias)

Kapitel
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Heute

Heute nimmt mich diese Erinnerung nicht mehr mit. Vielleicht, nein, ganz bestimmt hatte mein Vater recht, als er mir früher immer sagte, ich würde mich viel zu sehr übernehmen. In Allem.

Er brachte ständig das Beispiel, als ich als drei oder vierjähriger Junge, trotzt der Warnungen meiner Eltern nicht in den Schatten gehen wollte und lieber in der prallen Sonne spielte. Ich holte mir einen Hitzschlag. Seid dem meint meine Vater immer, ich würde mich übernehmen.

Mit den Jahren ließ es nach. Erst dachte ich, ich hätte wirklich mehr Ruhe gefunden. Doch heute weiß ich, ich übernehme mich noch immer. Ich erprobe jede Emotion aus, so lange, bis ich sie nicht mehr zu spüren vermag.

Ich ordne sie nach Trauer, Schmerz, Freude, Lust und vordere sie heraus. So lange tue ich das mit jeder einzelnen Emotion, bis sie irgendwann, bei einem, letzten Versuch, verschwindet. Jetzt bin ich lehr, verausgabt. Alle Emotionen sind weg.

Und auch das Mädchen auf dem Bett ist nicht mehr Gegenstand einer Emotion. Ich weiß noch, meine letzte Emotion war die Sehnsucht. Aber auch die habe ich verloren. Ich sehne mich nicht einmal mehr nach Emotionen.

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