Das Licht der Hajeps II - Zarakuma -
von doska

Kapitel
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Kapitel 5

Kapitel 5

„He, wo kann denn nur der Bengel mit dem Mädel so plötzlich hin sein?“ rief Mike und blickte mit seinen stahlblauen Augen verärgert die gesamte Umgebung ab. Er war deshalb sogar von seinem Sitz hochgefahren und stand nun etwas schwankend im verdecklosen Jambo während Jonas das schwere, etwas ungelenke Fahrzeug über eine Wiese manövrierte.
„Hier gibt`s doch gar nichts, wo sie sich verstecken könnten!“ maulte nun auch Frank, der dicht hinter ihm saß und ebenfalls einen langen Hals machte.
„Kann dir nur zustimmen“, meldete sich Trude von hinten und blinzelte nervös durch ihre kantige Brille. „Ich sehe im Moment nur die eine Eiche auf der linken Seite, welche fast alle Blätter bereits `runter hat und sonst zu beiden Seiten hügelauf und abwärts kaum Gesträuch.“
„Aber ich habe sie doch vorhin noch ganz deutlich gehört“, murrte Mike und ließ sich wieder in den Sitz fallen. „Das war die Stimme von diesem komischen Tobias und die etwas heisere von seiner Schwester. Also, da könnte ich meinen Hut drauf verwetten,“ er zog sich bei dieser Bemerkung gleich die Krempe tiefer ins kantige Gesicht, „dass die beiden eben noch hier gewesen sind!“
„Ich habe auch ein paar Kinderstimmen gehört, Chef. Aber ob es Julchen und Tobias gewesen sind?“ Jonas zuckte mit den schmächtigen Schultern, dann zog er den Kopf ein, denn er bekam nur mit Mühe den Jambo aus dem Graben. “Shit, ziemlich matschig alles heute!“ setzte er leise schimpfend hinzu.
„Meckere nicht, dafür gibt es wieder eine Sonderration Fressen.“ Mike legte den muskelbepackten Arm über die Lehne. „Habe ich dir ja gesagt!“
„Ja, Chef, das hast du. Fragt sich nur wie groß die sein wird!“ kicherte Jonas verschmitzt, als er endlich quer über die Landstraße und dann über die nächste Wiese fuhr.
„Na, das hier ist doch wohl wesentlich besser, als nach Rüben zu hacken, oder?“ Mike wandte sich nun nach hinten um und hielt sich dabei den Hut fest, damit der ihm nicht vom Kopf geweht wurde. “He, Trude, sag doch auch was dazu!“
„Ich halte mich da `raus, Chef!“ Trude wedelte abwehrend mit beiden Händen.
„Aber ich hab` dazu `ne Frage, Chef!“ meldete sich wieder Jonas. “Warum eigentlich das ganze Gesummse um diese zwei Rotznasen?“
„Da hat er Recht!“ mokierte sich jetzt auch Frank. Die Spinnen könnten doch immer wieder neue davon bekommen! N` bisschen irgendwelche Kleinen mit was anlocken, sie ´n bisschen bequatschen und schon hat unsere Organisation wieder Grubenarbeiter und vielleicht sogar wohlgenährtere.“
„Aber nicht so gut eingearbeitete“, erhob sich Trudes dünnes Stimmchen gemahnend.
„Darum geht es ja gar nicht“, begann Mike ziemlich knurrig.
„He Chef ... äh ...wie weit wollen wir denn eigentlich noch fahren?“ wurde er sofort wieder von Jonas unterbrochen.
„Das frag` ich mich auch, Chef!“ meldete sich ebenso Frank. „Denn wenn ihr die Kinder hier gehört habt, kann es ja nur in diesem Umkreis gewesen sein.“
„Stimmt, solche kurzen Kinderbeine können nicht weit!“ Trude hatte sich auch aufgerichtet, fiel aber sofort wieder in den Sitzt zurück, da Jonas gerade wieder die Kurve nahm.
„Also, wieder zurück zur Dorfstraße?“ Jonas warf seinem Chef dabei einen kurzen, fragenden Blick zu.
Mike schüttelte verärgert den Kopf, während er sich weiterhin umschaute.
„Wir fahren jetzt hier einfach so ein bisschen hin und her! Dämliche Gören, einfach abzuhauen, und frech!“ murrte er. “Den armen Herbert hilflos in der Grube zu lassen! Na, wartet!“ Er schob sein kantiges Kinn vor und knirschte mit den Zähnen. „Das kostet euch wieder Hiebe! Da könnt ihr euch drauf verlassen! Da nehme ich sogar die Peitsche für ... für solch ein Vergehen!“
„Sehr gut, sehr gut Chef!“ riefen die beiden, Frank und Trude, wie aus einem Munde. “Wäre ja noch gelachter wenn wir uns von zwei solchen Rotznasen auf der Nase herum tanzen lassen würden!“
Wegen dieser Zurufe fühlte sich der blassgesichtige Mike nun doch ein wenig gestärkt. Er grinste nach hinten und dann fiel ihm ein, dass Jonas völlig still geblieben war.
„Und du?“ fragte er den kleinen, schmächtigen Mann stirnrunzelnd.
„Was soll mit mir sein, Chef?“ piepste der etwas ängstlich.
„Na, du bist so st....“ In dem Moment wurde Mikes Hut vom Wind erfasst und weggeweht, vergeblich hatten seine breiten, kräftigen Hände danach gehascht.
„He, Chef, Chef, ich sehe dort einen Misthaufen“, meldete sich jetzt Trude wieder aufgeregt von hinten. „Und darauf liegt ... äh ... tja ...“
„Scheiße, scheiße, mein Hut! Hör` auf zu kichern und fahr` lieber `ran, Jonas!“ brüllte er den kleinen Kerl an.
„Puh, wie das stinkt, Chef!“ kreischten alle, direkt ein bisschen begeistert.
“Jemand hat hier frischen Mist zusammen gekehrt, Chef ... boah!“ Jonas warf dabei einen verstohlenen Blick nach Mikes sommersprossigem Gesicht. Dieser hatte die schmalen Lippen zu einem dünnen Strich zusammen gepresst.
„Vielleicht haben sich die Gören ja auch hinter diesem Berg versteckt?“ bemerkte Trude ziemlich aufgeregt.
Mike hangelte schließlich – von seinen Leuten dabei tüchtig angefeuert - mit langem Arm vom Jambo aus nach dem Hut und der Wind wuselte dabei durch sein rotgoldenes schulterlanges Haar.
„Na, Chef, wird´s denn gehen?“ brüllte alles aufgeregt, denn er kippelte mächtig, da Jonas dabei im Kreis um den Misthaufen herum fuhr.
Nach mehreren Versuchen, wobei Mike einmal beinahe aus Jambo direkt in den Misthaufen gestürzt wäre, hatte er sich seinen schwarzen, großen Hut endlich zurück erobert. Nun schnupperte er vorsichtig und mit angeekelter Miene an diesem. “Muss gereinigt werden!“ stellte er fest und warf den Hut einfach nach hinten in Trudes Schoß und diese quiekste deshalb leise und entsetzt, keuchte dann aber artig:
„Wird gemacht, Chef.“
Er nickte, das markante Kinn dabei wieder vorgeschoben. Dann kurvten sie noch ein paar Runden um einzelne Büschlein und kurze Hecken herum. Aber da nichts außer viel Matsch, durch welchen sie es kaum hindurch schafften, dahinter zu sehen war, ließen sie es bald bleiben.
„Gut“, sagte Mike erschöpft, „biegen wir nun einfach nach links ab, da gibt es ein paar Häuser. Vielleicht können wir ja da Auskunft über zwei verloren gegangene Kinder ...“, er machte dabei gekonnt ein trauriges Gesicht, „... bekommen!“
„Gute Idee, Chef!“ brüllte alles von hinten. „Diese beiden kleinen Heulsusen werden bestimmt auf der Suche nach einer neuen Mammi sein!“
„Wenn, dann nach einem neuen Papi!“ Mike hatte jetzt sogar ein paar Tränchen in den stahlblauen Augen. „Denn ich war ihnen doch immer ein guter Vater, richtig?“
„Vollkommen richtig, Chef!“ johlte alles wie auf Kommando und dann bogen sie in die Landstraße ein.

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„Puh, endlich sind sie weg!“ schnaufte Tobias erleichtert und dann hustete er, denn er hatte leider etwas Sand dabei eingeatmet, dann schüttelte er wild den Struwwelkopf, damit der kleine, rote Blätterhaufen endlich von dort herunter fallen sollte.
„Hat aber arg lange gedauert, Tobi!“ Julchen kam neben ihm, heftig dabei nach Atem ringend, hoch und das bunte Laub um sie herum raschelte. Auch sie musste jetzt ziemlich heftig niesen. “Du Tobi, du–huu?“ Sie schlackerte ebenfalls ihr Haar aus.
Er seufzte und zupfte sich dabei ein paar Blätter aus dem Kragen. „Ja?“ fragte er.
„Du, ich ... ich dacht`, ich erstick` in diesem Graben.“ Sie schaute sich um. „So viele Blätter ... so, so viele!“ Sie schwang nun ihr Bein – inzwischen ziemlich steif geworden – über Rand des Grabens und krallte sich dabei an ein paar Grashalmen fest. Oh, sie hatte große Mühe sich wieder hinaufzuziehen.
„Ja und?“ murrte er und überlegte, ob er ihr dabei helfen sollte. „Sei froh, Plapperliese, dass der Wind die ...“, er zog den Schnodder in der Nase hoch, als er gesehen hatte, dass sie endlich wieder auf der Wiese stand, „... also die Blätterhaufen hier in den Graben `reingepustet hat, so!“
„Das war eine schlaue Idee, stümmt!“ Julchen holte sich nun ein paar Blätter aus ihrer Hose.
„Ja, und die haben wir von Paul!“ Tobias grinste zufrieden, während auch er sein Knie gegen den Rand des Grabens stieß und sich mit der einen Hand in Gras krallte. Er hüpfte, kam aber nicht hoch, weil die Blätter unter ihm unwahrscheinlich nachgaben.
„Nein, von George!“ entrüstete sich Julchen und lief einige Schritte über die Wiese Richtung Landstraße. “George hat doch immer ... immer gesagt, dass man ...“
„... sich sehr gut im Laub verstecken kann?“ Tobias nahm noch mal Schwung, um endlich aus dem Graben zu kommen. „Nein, das war Paul und nun komm endlich! “
„Das war George und ich brauch nich´ zu kommen!“ erklärte Julchen richtig frech. „Weil ... ich laufe ja schon ganz vorne, hehe!“
Da hatte sie irgendwie Recht. Mit weit vorgelehntem Oberkörper und nur mit Mühe zog er sich aus dem Graben, während ihm Julchen ein Liedchen vor sich hin trällernd davon sprang.
Mit gekrauster Nase stapfte Tobias schließlich hinter Julchen drein und dann rannte er. Wäre ja noch gelachter, wenn er sie nicht überholen würde!

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„Nein, ich will keinen Kampf!“ erwiderte Margrit erstaunt. “Ich bin ein ... ein friedliches Wesen!“ Sie wankte erneut so ein bisschen vor und zurück und der Hajep hatte wieder den Lutscher im Mund und nuckelte aufgeregt daran.
„Ich ... upps!“ Sie rülpste leise und hielt sich deshalb die Hand vor den Mund, “... finde es nur nicht schön, wenn ... also ... nur einer von uns bewaffnet ... upps – tschuldigung ... ist und ... und der andere nicht!“
Der Hajep schob den Lutscher in den Mundwinkel. „Du meinst das is nischt hübsch?“ sagte er trotzdem immer noch etwas undeutlich, hielt fragend den Kopf schief, und die kleinen Schellen in seinem Haarkamm klirrten dabei.
„He ... ja!“ bestätigte sie etwas schwerfällig. “Oder sagen wir mal ... no-och besser wäre es natürlich, wir hätten beide keine ... wupps ... äh ... Waffen!“ Sie kicherte. “Das würde dann nicht nur besser aussehen, auch ... irgendwie f...friedlicher f...findest du nicht?“
Sie hielt sich nun an ihm fest, weil sie sonst umgefallen wäre und der Stil des Lutschers zwischen den Lippen des Hajeps wippte deshalb angespannt.
Margrit lehnte sich an ihn und hob dabei den schweren Waffengürtel von seiner Schulter etwas an. “Ist ... upps ... das alles nicht entsetzlich unbequem? Zum Bespiel dieses Gewehr, diese vielen kleineren und größeren Dinger, die du da mit dir `rumschleppen musst ... puh! Ich finde, Waffen sind nicht nur eine psychische ... auch eine ... na, wie heißt das doch gleich ... physische Belastung!“
Er nahm wieder den Lutscher aus dem Mund und hielt den gedankenversunken in die Abendsonne. „Xorr, Lumanti“, knurrte er bedächtig, “du magerst zwar betrankinn sein, doch dein Verstand fuchsioniert. Du hast dir dieser zwei Pistollinn in den Ausnett gestickt, weil du dänkst, dass isch es nischt waginn würdere, dir in dissinn hinein zu graifinn und nunni ... nunni willigst du misch auch noch bequetschen, meiner Waffinn irgendwo abzulegern, chesso?“
„Stimmt!“ sagte sie und nickte eifrig. “Und warum machst du es nicht, wo das doch so gut begriffen hast?“
Erst schaute er verdutzt in diese schelmisch funkelnden Augen und dann verzückt.
Ach, es war wieder so ein wunderschönes Lumantifunkeln!
„Weißt du ...“, schwatzte sie deshalb einfach weiter, “... mich drücken diese Dinger jedenfalls. Frage mich nicht, wo!“ Sie kicherte abermals und er hatte darüber ganz vergessen, den Lutscher wieder in den Mund zu nehmen. “Und darum lege ich sie ... äh ... tja ... wohin?“ Sie schaute sich nach allen Seiten um. “He, dort weiter hinten in diesem Park auf die Bank ... ja, das ist wohl wirklich ein gutes Plätzchen!“
Er leckte genau zweimal an seinem Lutscher, dann hielt er inne, denn er sah zu seiner Verwunderung, dass die Lumanti ihre Worte tatsächlich wahr machen wollte, denn sie steuerte nun, wenn auch immer noch wankend, die von Straßen und hohen alten Buchen und Linden eingerahmte Grünanlage an. Dort befanden sich sechs Bänke auf den ungepflegten Sandwegen, die rings um die mit wucherndem Gras und verwilderten Blumen überwachsene, kreisrunde Fläche verliefen.
Margrit holte tief Atem, nachdem sie endlich vor der Bank stand. War sie von Sinnen? Oder war es der Alkohol? Nun tat sie im Grunde doch nichts anderes als Pommi! Lieferte sich dem Feind aus, indem sie sich freiwillig ihrer letzten Chance beraubte. Egal! Margrit versuchte das Zittern ihrer Finger zu unterdrücken, während sie erst die eine und dann die andere Pistole aus dem Ausschnitt ihres Hemdes holte. Sie legte die Waffen so behutsam wie zwei Babys auf das raue Holz der Bank und dann wendete sie sich um, ergriff sich die zwei Beutel mit den Nahrungsmitteln, denn sie wollte zur gegenüber liegenden Bank, dort gemeinschaftlich mit dem Feind Platz nehmen, um mit diesem über eine Freilassung zu verhandeln.
Dabei entdeckte sie mit großem Erstaunen, dass der Hajep sich ebenfalls eine Bank ausgesucht hatte, vor der er stehen geblieben war. Er nahm gerade sein Gewehr, legte es genauso behutsam wie vorhin Margrit auf den Sitz, löste den waffenbespickten Gürtel von den Hüften und seiner Brust, und dann zog er sogar den gefährlichen Ring vom Finger und legte all das ebenfalls sehr ordentlich auf die Bank. Dann ergriff er sich die zwei Beutel mit Margrits Nahrungsmitteln, die er schon die ganze Zeit getragen hatte und dabei schauten sich beide an.
Sie keuchte und der Lutscher in seinem Mund zuckte, er schob sich den wieder in den Mundwinkel.
“Sehert hübscher aus ohner Waffinn!“ sagte er sachlich, doch die Augen leuchteten heiter.
„Und friedlicher“, setzte sie mit feuchten Augen hinzu, ließ die Beutel sinken und suchte erst einmal nach einem Taschentuch.
Er tapste verstohlen an ihr vorbei. Wo wollte er hin?
Aha, er nahm also auch Platz, denn sie hörte die arme Bank rumpeln und knirschen. Sie schaute auf. Breitbeinig hatte er sich dort fallen gelassen. Machte es sich wirklich sehr bequem.
Margrit trippelte nun ziemlich unsicher mit den Beuteln in beiden Händen zu ihm hin. Würde es ihr gelingen, diesen sonderbaren Burschen zu überreden? Konnte sie ihm die Wahrheit sagen? Würde er Verständnis für ihr Problem zeigen oder musste sie sich irgend etwas ausdenken, um ihre Familie zu schützen?
Sie lehnte ihre Beutel an jene, die auch er hier abgestellt hatte. So waren die eingetauschten Güter schon Mal alle auf einem Haufen. Er ließ, nachdem er wieder für ein Weilchen an seinem Lutscher geleckt und diesen immer wieder verwundert betrachtet hatte, da der dabei immer kleiner wurde, erneut seine komische Kugeluhr in die Handfläche rollen.
„Hich? Habbe nür nöch einer halbä Stünde zeitick“, nuschelte er richtig unglücklich hinter seinem Lutscher hervor, dann hob er gemahnend den Zeigefinger. „Nach schlächtärr menschlichter Zaiträchnüng. Und in diesär müssisch endeschaidänn, ob isch disch nach Zarakuma mitnämme oder ...“ Er brach ab und wieder zuckte es in seinen Augen unsicher, doch dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er blickte kalt und erbarmungslos auf Margrit.
Sie hatte noch immer nicht neben ihm Platz genommen und schluckte. „Nach ... hm ... Zarakuma?“
„Rischtick!“ Er warf sich wieder in die Bank zurück und streckte abermals die langen Beine weit von sich.
„S ... soll das etwa heißen wir fliegen wieder mit diesem komischen ...“ Sie wies etwas zitterig hinter sich Richtung Tankstelle.
„Molkat“, half er ihr und breitete nun auch noch die gewaltigen Arme zu beiden Seiten der Rückenlehne aus. „Heißert Zuita!“ setzte er sehr freundlich hinzu und betrachtete dabei wieder den Lutscher.
„Und das alles entscheidest du so einfach, ja? Ohne mich zu fragen?“ Sie runzelte die Stirn, machte sie sich ganz schmal und nahm auf dem äußersten Ende der Bank Platz.
Er blickte nun doch etwas erstaunt und dann entrüstet über den Lutscher hinweg zu ihr hin.
Sie blieb dennoch so weit von ihm entfernt sitzen.
Er nahm den Lutscher wieder in den Mund und die Arme von der Lehne, versteckte die Pranken zwischen seinen durchtrainierten Schenkeln und sah sie scharf an, wippte.
Sie blieb trotzdem dort wo sie war.
“Komm ruuuuig nääherr ... näbänn miiir!” Er klopfte nun ziemlich heftig auf den freien Platz neben sich und die ganze Bank bebte. ”Und keiner Ast ... hm ... Arzt, chesso?”
„Angst!“ verbesserte sie ihn und rückte nun doch so ein kleines Stückchen zu ihm heran.
“Und nunni wir machinn einer Pauserschinn ... hier!” schlug er sehr energisch vor und blickte dabei mit gerunzelten Brauen auf den noch immer freien Platz neben sich.
Margrit spitzte die Ohren. Das hörte sich eigentlich gar nicht mal so schlimm an und so rückte sie schließlich doch ganz nahe an ihn heran und schlug dabei ein Bein über das andere.
"... um zu essinn etewaas - orrn - um etewaaas zu essinn und uns zu unterhaltinn zerr, zerr gut."
"... und uns SEHR gut zu unterhalten!" half sie ihm weiter und dann durchfuhr sie plötzlich ein eisiger Schreck. He, hatte sie richtig gehört? Das war ja schrecklich! Der verfressene Kerl wollte offensichtlich von ihren Vorräten naschen. Oh Gott, was sollte sie dann später den Spinnen dazu sagen? Puh, wie konnte sie das nur verhin¬dern?
Sekunden später krampfte sich Margrits Herz zusammen, denn er holte tatsächlich auch noch das allerschönste Brot hervor und legte es sich auf die Knie. Margrit starrte entsetzt auf diese knusperig gebackene Kostbarkeit und schluckte, denn allzu viel zu essen hatte sie ja in letzter Zeit bei den Maden nicht bekommen. Nun forschte er aufmerksam in ihrem Gesicht.
“Pisst hungrig!“ stellte er fest.
Sie schüttelte wild den Kopf. "Nein", sagte sie entschlossen.
"Doch, doch!“
Der leckere Duft des wunderbaren Brotes stieg Margrit derart aufdringlich in die Nase, dass ihr noch mehr Spucke im Munde zusammenlief. Sie betrachtete das schnuckelige Backwerk schon wieder, wenn jetzt auch nur aus dem Augenwinkel.
"Ich ... ich habe wirklich keinen Hunger!" wiederholte sie etwas undeutlich, da die viele Spucke störte. “Ganz ehrlich!“
Seine Augen wurden nun ganz schmal und er wedelte mit dem Brot hin und her. Dann hielt er ihr das Brot vor die Nase. “Doch haaast du!“ knurrte er etwas erbost, denn er konnte es gar nicht leiden, wenn ihm jemand wiedersprach.
Sie musste schlucken damit sie den Mund freibekam. “Nein!“
„NEIN?“ brüllte er und seine drei Nasenlöcher weiteten sich nacheinander.
„He, ich werde das doch wohl am besten wissen!“ keuchte sie, einen Tick ZU atemlos.
Er bekam wieder diese kleinen, gehässigen Augen. “ICH schonn!” knurrte er.
“Ach so! Puh!“ Sie suchte wieder nach einem Taschentuch und er riss sich ein Stück von dem Papier ab, in welchem das Brot eingewickelt gewesen war, legte es um den Lutscher und ließ den Lutscher in irgendeine der Taschen verschwinden. Ach, sie hätte am liebsten laut losgeheult. „Dann guten Appetit! Aber es schmeckt grässlich, sage ich dir!” Sie schnäuzte sich erst mal die Nase gründlich aus. Ach, ach, der happerte ihr wohl trotzdem das ganze Brot weg und das bestimmt aus reiner Wut!
Er hatte gerade den Mund geöffnet und zögerte nun doch von der Spitze abzubeißen. “Koste!“ fauchte er und hielt es ihr wieder entgegen. “Dann werrde isch sähinn, wie schläscht es meckt!“
Verdammt, worauf hatte sie sich da eingelassen? Sie blickte um das Brot herum, genau wie er und versuchte, ihn dabei freundlich anzublinzeln und wieder quälte sie die Frage, ob sie ihm wohl die Wahrheit sagen konnte. “Ich ... äh ...“, begann sie zögerlich. ´Nein, dieser Mann ist nicht Diguindi!´ rief sie sich wieder zur Ordnung. He, vielleicht konnte sie ja dabei ein so ekeliges Gesicht machen, dass der Hajep jegliche weitere Nascherei unterließ und für die Spinnen würde sie dann wohl irgendeine Ausrede wegen der kleinen fehlenden Stelle erfinden müssen. “Na gut!“ sagte sie darum kühn. Ihre Nasen waren jetzt so nahe, dass sie sich fast berührten. „Brichst du mir wohl so ein kleines, winzigkleines Stückchen vom Brot ab?“
Seine langen, geschwungenen Brauen schnellten überrascht in die Höhe und er nickte angespannt. Schon hatte er etwas von der Spitze des Brotes abgebrochen.
Ihre Augen weiteten sich. “Ein ... ein bisschen größer darf es schon sein!" keuchte sie.
Seine roten Augen zuckten schelmisch und schon hatte sie ein ganz großes Stück Brot in ihrer Hand. „Aber ... das ist ja viel zu groß!“ schluckte sie. Oh Gott, sie konnte sich kaum bremsen, es gleich hinunter zu schlucken. „He, wie ... wie sieht das Brot denn jetzt aus?“
„Hm, wie einer anbebochenenes Brot, denkere isch?“ Er betrachte es von allen Seiten.
Sie versuchte den leckeren Teig nicht all zu schnell hinunter zu schlingen, während er sie scharf beobachtete. „Gott, war das ekelig!“ keuchte sie schließlich, als der Magen zufrieden rumpelte und sie sich behaglich zurück gegen die Lehne der Bank warf. „Tja, ich würde dir nicht raten davon zu kosten!“ Sie hob wir er den Zeigefinger und wedelte damit.
„Macher isch auch nischt“, erwiderte er und brach sich ebenfalls solch ein großes Stück ab. „Isch koster davonne nischt, isch esser glaisch rischtick ville davonne!“
„Waaas?“ rief sie entsetzt und dann sah sie, dass sie wie ein Kind ihre Hand bereits ausgestreckt hatte und ihm entgegenhielt. “Mehr!“ hörte sie sich - leider, leider - sagen und Brotstück um Brotstück legte er ihr in die Handfläche.
Beide hatten großen Spaß, einander dabei zu beobachten, wie sehr ihnen das Brot schmeckte. Er freilich noch mehr, weil sie es so gierig hinunterschlang. Als sich der größte Hunger bei Margrit gelegt hatte, fiel ihr plötzlich auf, dass der Hajep, während er kaute, zwischendurch verzweifelt nach Atem ringen musste.
„Ist deine Nase so sehr verstopft?“ fragte sie anteilnehmend.
Er nickte mit betrübtem Blick. „Das is nischt die einzicke Alchemie ... hm ... allerdings, allgemein, allwissend ...“
„Allergie?“ half sie ihm.
„Rischtick ... Allergie“, seufzte er. “Bei Ubeka, je mehr Krankhaiten unsere Wissenschaftler und Ärzte bekämpften, je mehr Allergien, wie ihr das nennert, entstanden pötzisch. Seltsamme Pu .. Pusteln und Schru ... xorr ... Schrundinn quälten zum Beispielt unsrere Haut. Wirr bekaminn zogar Seh- und Hörstörungen. Die Ärzte standinn vor einimm Rääsel und warinn dageginn machtlos!“
„Oh Gott“, rief Margrit. “Jetzt wird mir einiges klar! Nämlich auch eure Heiserkeit und das Sprechen durch die Nase, die ... die Atemmasken. Ihr habt also fürchterlichen Heuschnupfen, vielleicht sogar Asthma, nicht wahr?“
Er nickte und schob sich dabei den nächsten Brotkrumen in den Mund. „Doch wahr! Du würst es nisch glaubinn, aber wir habbin ähnlisches Immunsystem wie ihr! Unsereres is nüüür – im Gegensätz zu eurimm - inzwüschen völlig kapelle ... hm ... kapiert ... nein ... Kapsel, Kappung, Kaplan, Kapitel, Kapland?“ zählte er hektisch weiter auf und rieb sich dabei das tätowierte Kinn. „Ha .... kapudding!“ In seinen Augen blitzte es dermaßen erleichtert, endlich das rechte Wort gefunden zu haben, dass Margrit es nicht wagte ihn zu verbessern. Sie hielt sich lediglich die Hand vor dem Mund, damit er das Hochzucken ihrer Mundwinkel nicht sah.
„Vor allim unserer Schnüpfen...“, redete er daher ziemlich ruhig weiter, „... worde zo fuschtbar, dass wir wohl einiss Tagiss daraan gestorbinn wärrin, hätte die nächste Generätion nischt drai Nasinnloscher erhaltinn!“
„Erhalten? Wie denn das?“ fragte Margrit verwundert.
„Du solltest wissen, dass wir eine nach besonderen Kriterien gezüchtete Spezies sind, die ...“
„Huch?“ unterbrach sie ihn entsetzt und ihr Blick fiel dabei auf seine Stirn, wo er ein kleines, pferdeähnliches Motiv tätowiert hatte. “Ihr seid also gezüchtet?“
„Warum Huch? Das ist doch gut!“ Seine Hand berührte dabei instinktiv das kleine, grüne Pferd inmitten seiner Stirn.
„Na, dann könnte man ja gleich irgendwelche Roboter herstellen!“ Komisch, was hatte wohl dieses Pferd zu bedeuten?
„Darin könn isch disch berüiginn. Wirr zind leiber, leiber keinä Roboter!“ Er senkte den Kopf und so fielen die vielen kleinen Zöpfchen seines Haarkammes nicht nur über diese Tätowierung, sondern auch über die Augen.
„Du meinst wohl eher leider!“ verbesserte sie ihn und hielt sich wieder dabei so ein bisschen die Hand vor die zuckenden Mundwinkel.
„Ach so, ja, meiner isch!“ Er warf den Haarkamm auf die andere Seite.
„Aber das wäre doch schrecklich?“
„Nein, denn dann hättinn wir überhäupt keiner Gefülle mehr und somit würdinn wirr auch nischt mehr lebbinn!“
„Na, na, ist euer Leben denn sooo schrecklich?“ Sie machte ein skeptisches Gesicht.
Da legte er plötzlich wortlos das restliche Brot beiseite, zog sich die Handschuhe aus und ergriff zu ihrer Verwunderung ihre Hand und packte sie wieder zwischen seine Pranken. "Nunni ... was fühlerst du?"
Eisig umschlossen seine Finger die ihre. "Kälte!" erklärte sie. Er nahm ihre beiden Hände und legte sie an seine Schläfen. "Hier ist es sehr heiß!" kommentierte sie. "Und ...komisch ..." Sie zuckte jetzt ein wenig von ihm weg.
"Hier fühle ich Strom? " Er nickte und legte ihre Hände zurück in ihren Schoß.
"Anders sind unsere Nerven und anders is unser Blut!” Und er fügte leise hinzu: "Wir sehinn nisch nur anders aus, leiber ... hm ... leider als ihr ... wir SIND es!"
Sie wedelte abwehrend mit ihrer Hand. "DAAAS gilt bei mir nicht! Die Hände eines Menschen können auch manchmal recht kalt sein und der Kopf viel wärmer... "
"Aber nisch DERART kalt ...", schimpfte er, "... und eurer Kopfe sind nisch ... NICHT voller Strom!"
"Das stimmt, eure Finger sind tatsächlich ... na ja ...ein bisschen eisig", gab sie zu. "Und Eure Stirn ... hm ... ist in etwa so heiß ... na ja ... als hättet ihr Fieber ... na und?"
"Aber ... die Elektrisität, die von uns ausgehet", stieß er aufgeregt hervor, "finderst du das nischt sältsame?"
Sie schüttelte langsam den Kopf. "DAAAAAS bisschen Strom!"
"Hiat Ubeka!" schnaufte er. "Aber was nischt is ... IS nicht! Kontriglusi! Hajeps haben kaum Ge .. Gegefühl! Akir, akir! Ich wisse - weiß, was du dabei denken musst ... aber wir Hajeps habinn ehelich - eglich - ach, EHRLICH immer wieder probiert, irgendwelche Gefülle zu entwickeln. Habinn dazu auch eusch Menschen heime¬lisch beobachtelt, lange bevor ihr wusstet, dass es uns gibt, habinn eusch studiirt, zugeschaut, wie ihr eusch gebt, habinn eusch nachgemacht, habinn gelernet ... zum Beispielt, dass es Tibet als hoffelische und feundliche Geste gilt einander die Zunge herauszu...“
„...strecken?“ half sie ihm.
„Rischtick! Wir habinn das nachgemacht und viele andere Sitten und Gebräuche eurer verschiedenen Völker und trotzdämm keinerlei Gefühle dabei emfindeln ... Unsünn ... EMPFINDEN können. Wir habinn auch eure Nachrichten empfangen und wir hieltinn uns, immer wenn es ginge, in deren Nähe auf. Wir empfinginn", er räusperte sich energisch, "Radio- und Fernsehprogramme, eure Botschaften, die ihr einander zusandtet, und die bis zu unseren hochimpfünderlichen - orrn - empfindlischen Minisonden, wie ihr das nennt, empordringen konnten. Oh, wir erfuhrinn dabei viel über eusch! Anfanglich gefielet ihr mir sesr. Isch begeisterte mich für eure Ideale - soweit Hajeps sich begeistern könninn - dann aber verwundertete es misch meer und meerig, dass die Menschinn zo ... ganz anders handeltinn, als sie sprachinn. Sogar an Kleinligkeitinn merkte isch es. Im Gegensatz zu uns, das würst du ja schon festgestellert haben, können die Menschen zum Beispiel lachinn, aber sie lachinn selten miteinander, mit großer Fröde ... hm ... Fraide hingeginn anderere aus. Sie könninn zwar weininn, aber sie wei¬ninn nur über sich selbst und kaum ernsthaftig um andere. Sie sprechen vonne Mittelheit ... Mitteid, orrn ... Mit¬kleid ... MITLEID .. kontriglusi! Aber richtick helfinn tun sie einander trotzdäm nisch! So kaminn wir zu dem Ergebnest ... niss, dass die Menschinn mehr lügen als wir, denn sie reden meist etwas sehr schoniss ... SCHÖ¬NES daher und machern dann etwas ganz Hässelisches daraus. Und es erschien uns, dass sie auch vollig trumm ... hm ...Turm ... nein, DUMM wären, denn sie wussten offenbar nicht, wie abhänglig man ist voneinander, wie abhänglig auch von ...”
“Das heißt abhängig!“ verbesserte sie ihn. “Du hast das mit anhänglich durcheinander gebracht ...“
Er fuhr trotzdem recht hastig fort: „Also ... wie abhängig man auch ist von seinem Land, wie abhängig man auch ist von seiner Welt, von samtelicher Natur, die man zu schützen hat, damit sie einen schützt!“
“Sehr richtig!”
“Aber, was habt ihr getan?” Er schaute ihr plötzlich ziemlich zornig in die Augen. ”Wer seid ihr Lumantis? Seid ihr böse oder gut?"
Margrit schnappte nach Luft. Sie hatte es geahnt, dieses Geschöpf war klug und ein scharfer Beobachter! Was sollte sie dem Feind sagen, wenn er auf diese Weise argumentierte? Sollte sie etwa sagen: Ja, tötet uns, denn wir Menschen haben allesamt nichts getaugt. Wir haben nichts als Kriege geführt, nie auf einander Rücksicht genommen, vor allem auf die Natur! Sollte sie auch sagen, ja, das müsst ihr von uns denken, denn unsere Nachrichten erzählten nur davon! Das konnte sie nicht. Dann war ja alles verloren!
“Äh, das ist ein sehr ... wirklich sehr interessantes Gesprächsthema!” stieß sie leise und ziemlich kläglich hervor. “Aber ich glaube, ihr habt noch keinen Menschen näher kennen gelernt ... sonst ... äh ... sonst würdet ihr nicht so schlecht von uns denken!”
“Is es denn schlescht? Sind Gene schlescht? Das sind eure Gene! So seid ihr! Es is im Gründe nur zo, wie es is! Mehr nischt!”
“Aber ... es ist nicht so!“ beharrte sie unter Tränen.
“Ich weiss, dass es so ist!” gab er kühl zur Antwort. ”Du hingegen glaubst, dass es nicht sein kann!”
Sie schluckte. ”Aber ... du musst doch an irgendetwas glauben!”
“Weshalb? Xorr, die Menschen sind ja so stolz ... ach, so stolz auf ihren Glauben! Sie sind sich zo zischer ... hm ... sicher in ihren Religionen. Aber, weshalb werden sie sofort wütend, wenn man nicht ihrer Meinung ist?” Er blickte sie scharf an. ”Weshalb töten sie manchmal andere, die nicht ihren Glauben haben wollen? “
“Ich ... ich weiß nicht.” Margrit zuckte hilflos mit ihren Achseln.
„Was is gut, was is böse? Leischte, kürze Frage, doch langer, schwererer Antwört, nisch wahr?" Er betrachtete nun nachdenklich seine verkrüppelten Klauen.
"Hajeps zum Beispielt sind gut, mit den Augen ihres Volkes besähinn, jedoch böse mit deninn der Menschin! Na-ah? Du die Antwört weißt?"
Seine seltsamen Augen verankerten sich in ihrem unsicheren Blick. Sie funkelten und glitzerten dabei. Er schien genau zu wissen, was er da fragte und erwartete totsicher eher ein verwirrtes Gestotter als eine vernünftige Äußerung.
“Die Antwort erscheint mir ebenso kurz wie die Frage!” sagte sie bedachtsam.
"Kurz?"
Margrit glaubte, eine amüsierte Ungläubigkeit aus seiner Tonlage herauszuhören. “Wenn ich alles Leben mit Respekt behandele, bin ich gut”, fuhr sie dennoch mutig fort, “und ich bin böse, wenn ich es aus Spaß zerstöre!”
Sein Gesicht zuckte boshaft. ”Nein, allis lebt nach dem Gesetz der Stärke und Macht!” Er breitete schwärme¬risch die gewaltigen Arme aus. ”Macht bedeutert Energie ... Macht is das Lebinn!“
Hatte sie zuviel Brot gegessen oder was? Ihr war wirklich schrecklich übel!
“Und zo is ´Tama´, die Natur ... das Lebinn! Zo wollinn es die Gene! Wer gesiegert hat, darf tötinn, darf herrschinn und tun was immer er will ... die Stärke hat über die Schwäche zu siegern, das alleinig ist der Sinn!“
„Tama?“ unterbrach Margrit ihn nachdenklich. ”Ich habe gehört, eure Gesetze wären grausam?”
”Xorr, so müssen sie sein, sonst wäre unsere Spezies für immer verlorinn. Wir habinn zu große Aggressionen und dazu leider eine zu hohe und zu gefahrlische Technick. Ein Fehler darinn nür und die größten Katastrophen könnetinn passieren. Nischt nür unserer Maschinen, auch wir selbser mussen perfekt funktionieren! Besonders brauchinn wir die Gesetze ´Tamas´, wenn wir gegeneinader Kriege führinn. Unsrere Waffinn könntinn verheerender Auswirkungen habinn auf weite Strecken des Alls.” Er schluckte. “Ganze Galaxien würden womöglisch dadurch zerstört werdinn, verstehst du?”
“A ... aber warum führt ihr dann überhaupt Kriege?“
„Essiss ein Spiel!“
“Ihr ... sp ... spielt indem ihr tötet?” fragte sie fassungslos.
“Rischtick! Xorr, zunächst tatinn wir das auf rein sportelischer Basis! Doch du kannst nischt immer nur spielen und spielen und spielen ... du willst es entelisch real habinn! So weitete sich das irgendwann einmal in kleinere Kriege aus ... was dann eines Tages doch in einen ganz großen Krieg mündete! Die Gesetze ´Tamas´ retteten uns schliesslisch davor, die Völker Amadia Hotas völlisch zu zerstören!“ Er hielt beinahe andächtig inne. “In einem gewissen Zeitabstande im Laufer des Tages lobinn und preisinn wir darüm ´Tama´, weil uns das vor Augen führen soll, wohin wir kommen könntinn, wenn wir nischt gehorschten!“
Margrit lachte ungläubig. “Aber was ist das für ein komisches Spiel, wenn zum Beispiel der andere völlig unterlegen ist, so wie wir? Das ... das ist doch nicht fair?“
„Wassis schon fair!“ schnaufte er verächtlich. “Tama will die Ausbreitüng der stärkstinn Gene, weiter nischtz! Außerdäm wolltin wirr schon langer eurer Erde habinn!“
„Aber, warum?”
“Essis einer winderbarerer Planet mit solsch einer abwechslüngreischen Botanik wie nirgens. Außerdemm lastet ein Geheimness auf eusch! Es gibt Saginn, Geschichtinn über eusch und eure besonderere Entstehung, die sisch die Völker des Alls schon seite Ewigkeitinn herumerzählinn! Einige haltinn diese for wahr, anderere wiederüm nischt! Wie es eben immer zo is! Wir alle sind Spieler ... wir haben eine neugierige Veranlagung! Und dieser Charaktererzug is wohl der Gründ, dass wir trotz unserer hohen Technick noch lebinn konntinn und könninn!“
“Ist das denn so schwer?“
„Aba zischer, wir habinn allis was wir nür wollinn. Es gibt nischts was man sisch noch wunschinn könnte. Wir habinn keiner Ziele, keiner Ideale, verstehst du, um eininn Sinn in unserem endlos langimm Lebinn zu sehinn? Nüür wenn wir andere besieginn, könnin wir for eininn kurzinn Moment gültig ... hm ... günstig, güldisch ... gückisch?“
„Meinst du vielleicht glücklich sein?“
„Akir, es gillt, eininn Schätz ... hm ... Schatz auf euerer Erde zu findinn, duch welschinn wirr entelich zo glücklich werdinn würdinn, wie noch nie jemande von uns zuvor!”
“Oho!“ quiekste Margrit ungläubig. “Was es doch immer wieder für verrückte Geschichten gibt ... aber wenn man Glücksritter ist, lohnt es sich vielleicht irgendwie danach zu suchen?”
“Zisch ... sicher ... wenn dir jediss Probläm abgenomminn würd, musst du dir halt welsche machinn, moglichst wälche, die dir nischt mehr abgenomminn werdinn könninn, damitte du selbser etwas zu tun bekommest! Damitte das Leben wenigstinns irgendeininn Sinn for disch bekomminn hat!” Er atmete tief durch. ”Ställchen dir vor, diesis Geheimnes konntinn nischt einmal die bestin Kasuks – heissert Computer bei euch - bisher lösen!”
„Und wenn nun die Jisken und Loteken das gleiche wollen?“
“Warum nischt? Krieg is Spiel, ein Spiel mit dem Tod! Tama erlaubt diesis Spiel. Das trainieret uns alle, wenn wirr bei diesem Spiel überlebinn und es gibt uns somitte die Stärke zum weiterläbinn!
„Meinst du wirklich, dass der Sinn allen Lebens der ewige Kampf ist?“
Er nickte sehr eifrig und sie schüttelte den Kopf.
“Schau dich um ... wir besitzen Augen, mit denen wir zum Beispiel die Kronen dieser uralten, hohen Bäume oder diese nachtschwarzen Wölkchen, die wie kleine Schiffchen hinter den dunklen Zweigen dahinsegeln, genießen können! Wir haben eine Haut, mit welcher wir zum Beispiel den Abendwind, diesen erfrischenden Hauch verspüren können? Wenn wir mitten in diesem Strudel der dahin jagenden Zeit einfach stehen bleiben und dies alles genießen würden, könnten wir sehr glücklich sein“, krächzte Margrit leise, “denn das alles gehört zu uns, wie der Sand über den wir laufen, denn dieser besitzt genau die gleichen mikroskopisch kleinen Teilchen wie wir!” Sie sah ihn dabei sehr warm an. “Du hast auch Teile deines Planeten in dir”, sie tippte ihn dabei an die Brust, ”obschon du das vielleicht nicht so gerne wahrhaben möchtest. Das alles gibt uns den Sinn in diesem Leben.”
Er hatte seinen rätselhaften Blick noch immer nicht von ihr gelöst. Margrit wusste nicht, was sie davon halten sollte. War er wütend, oder gar verstört, oder war er einfach nur etwas nachdenklicher geworden?
„Okay!“ Sie war von der Bank aufgesprungen. „Wir treffen uns - sagen wir mal - morgen Mittag wieder an dieser Stelle!" Schon war sie an ihm vorbei, um die Bank herumgelaufen und wollte sich die Taschen greifen, als sich seine Hände fest um ihre Gelenke schlossen. Sie starrte ihn erschrocken an, denn die Glut seiner Augen war noch nicht verglommen, ganz im Gegenteil leuchtete es dort umso mehr.
"Du gehst nicht!" knurrte die eigenartige Stimme dennoch ausgesprochen ruhig und noch dazu sehr deutlich und grammatikalisch völlig richtig.
"Aber ... das ist doch unlogisch”, brachte sie geistesgegenwärtig hervor, “du bist ein Mann mit Verstand und das müsste dir daher auch einleuchten!”
“Was ist hier unlogisch?” fragte er sanft, doch sie spürte sehr wohl, welche Mühe er hatte, sein schwieriges Temperament, das ihm nun mal zu eigen war, weiterhin zu beherrschen.
“Na, mir erst eifrig zu helfen, diese Güter zu erhalten“, wisperte sie, “wenn ich damit gar nicht fort darf?” Das fand sie recht schlagfertig und so krümmte sie ihre Finger umso fester um die Henkel.
“Spaß bedarf keiner besonderen Logik!” konterte er kühl und behielt ebenfalls seinen Griff bei.
Verdammt, sie hätte ihn nicht dauernd unterrichten sollen. Denn wenn sie so weitermachte, würde er ihre eigene Muttersprache bald besser beherrschen als sie selbst.
”Es ... es war alles nur ein ... ein SPIEL?” keuchte sie atemlos und auch sehr vorwurfsvoll.
“Selbstredend! “ erklärte er. ”Und ich hatte viel ... sehr viel Spaß bei diesem, oh, du mein Karnickel! Spaß ist wichsig ...”
Sie konnte nicht umhin, ihm nun doch ihr hämischstes Grinsen zukommen zu lassen, und verbesserte ihn auch nicht.
“Hm ... wichtig!” korrigierte er sich leider selbst. ”Sowohlig .. Quatsch, SOWOHL ... für die geistige als auch für die körperliche Gesundheit ... ”
“Du hast die seelische vergessen!” warf sie ein, ließ aber immer noch nicht los.
“Es gibt keine Seele!” kommentierte er und drückte ihre Knöchlein so ein bisschen. ”Es gibt nur ein Gehirn, das sterben kann.“
“Ja, das meinst vielleicht du ...”, ächzte sie, denn es tat recht weh.
“Ninschinn ...“, brummte er jetzt fast feierlich und verstärkte noch den Griff. “Das MEINE isch nischt, das WEIß isch!“ Er quetschte ihr dabei so sehr die Hände, dass sich ihre Finger ganz automatisch öffneten. Donnerwetter hatte der vielleicht eine Kraft in diesen hässlichen, verkrüppelten, dämlichen Pranken!
”Und wer am BESTEN vonne uns beidinn dieses Spiel beherrscht wird auch GEWINNEN!” fuhr er recht elegant fort.
Verdammt, sie hätte ihm eine scheuern können! Denn was sollte das jetzt? Sie hatte nämlich längst losgelassen, doch er behielt weiter seinen dummen und blöden Griff um ihre Handgelenke bei. “Darum setze dich Ruuig ... hm ... RUHIG sehr schön und nett wieder neben misch hin!"
Gott sei Dank! Er ließ sie endlich los ... puh! Sie schüttelte die immer noch schmerzenden Handgelenke und Finger aus und fuhr, da sie sich zuerst gebeugt hatte, nun leise ächzend mit dem Oberkörper hoch. Donnerwetter, und jetzt hatte sich ihr Haar auch noch in einem herabhängendem Zweig verfangen. Sie zerrte die mit Blättern verwickelte Strähne mit einer unwirschen Geste vom Ästchen, bog ihr steifes Kreuz durch und nahm dann widerstrebend neben ihm Platz. Er blinzelte ihr zufrieden zu und hatte wieder beide Hände zwischen seinen Schenkeln verborgen.
"Nanu?“ ächzte sie, denn sie merkte plötzlich, dass ein kleiner, glänzend schwarzer Käfer in ihrem Haar verblie¬ben war.
Sie holte ihn geschickt mit ihren schmalen Fingern aus jener Haarsträhne, die sie sich ins Gesicht gezogen hatte und ließ ihn dann in ihre Handfläche fallen, um ihn genauer zu betrachten. „Ist er nicht schön?“ rief sie verzückt aus.
„Nurrfi, nurrfi!“ bestätigte er kopfnickend. “Was is das for eine Sorte?“
„Keine Ahnung ... hi, hi, wie das kitzelt!“ quiekste sie, denn schon krabbelte der Käfer in Margrits Handfläche herum.
Der Hajep zog - wohl sehr neugierig geworden- wieder die Handschuhe aus. „Gib ihn miir!“ befahl er. „Ich will dass der auch bei mir kizzellt!“
„Ich weiß nicht, ob er das will?“ sagte Margrit belustigt. Der Käfer hielt indes auf Margrits Fingerspitze verdutzt an, er stellte wohl fest, dass er da zu Fuß kaum weiterkonnte.
Der Hajep griff nun mit seinen eiskalten Fingerstumpen einfach zu. „Huch, nicht so doll!“ rief Margrit erschrocken. “Du musst vorsichtig sein.“
„Bin isch ja!“ fauchte er und legte den kleinen, schwarzen Kerl in seine Handfläche, auf dass er krabbeln sollte wie bei Margrit, doch der regte sich nicht. Der Hajep gab dem verstörten Käfer mit dem Finger einen kleinen Schupps, damit der endlich lief, aber der verharrte nun erst recht. Nun stupste er den Käfer abermals an, jedoch etwas härter.
„He, du musst nicht so ungeduldig sein!"
„Ach nein?" fragte er, denn der Käfer hatte bereits einen weiteren derartigen Schubs erhalten, dass er auf den Rücken geplumpst war und nun kläglich mit den Beinchen zappelte.
"Weißt du, du musst dich nur in die Lage des Käfers hinein versetzen!"
"Muss isch das denn?" krächzte der Hajep unwillig. “Xorr“, setzte er wütend hinzu, denn der Käfer krabbelte nicht weiter, obwohl er ihn zurückgedreht hatte. "Boldona! Maststück, dammeliges!" Und er schob ihn einfach auf seiner Hand vorwärts.
"Bleib doch bitte ruhig, ja?“ ächzte Margrit.
„Bin isch ja!” brüllte der Hajep. ”Käfer nur kack is!” Seine Augen wurden wieder zu kleinen, gefährlichen Schlitzen und er legte eine Pranke über die andere.
„He, was hast du vor?“ rief Margrit deshalb erschrocken.
„Xor, isch mache nur dem Käfer ein wenig Axt ... Arzt?“
„Angst?“
„Rischtick. He, he!" zischelte der Grizzly zufrieden. “Jeder muss tun ... was auch immer isch will! Hinji!” wisperte er dem Käfer zu und rollte dabei hämisch mit den Augen. "Xorr, so haben wir wohl nicht gewettettet – chesso? Nunni, würd es immer änger und änger ...", seine Augen leuchteten weiterhin grimmig, "... in diesem Handschinn ... Häändchen!" Er rollte die beiden Pranken nun zähnefletschend zu einer einzigen Faust, bis es knirschte.
Margrit machte ein entsetztes Gesicht. "Ich hoffe du ... hast ihn jetzt nicht ..." Das Ende des Satzes war nur ein leises Keuchen.
"...geketscht?" vollendete er zögernd ihren Satz.
"Ja - nein ... gequetscht meinte ich eigentlich!" erklärte sie.
Er hielt nachdenklich den Atem an und musste schlucken. "Das meinte isch eigentlich ... hm ... auch!" erwiderte er gedehnt, während er nicht ohne Skepsis seine beiden zusammengeballten Pranken betrachtete. "Nunni!“
„Was ... nunni?“ „
„Nunni is nischt schlümm, toter Käfer kommt in meine Sammlung!“ Er beleckte sich ziemlich nervös die blauen Lippen.
"Sammlung?“ keuchte sie. “Du sammelst etwa tote ... äh ... Käfer?“
„Akir, und Köpfe!“
„K ... Köpfe?“ Oh Gott, warum war ihr nur schon wieder so kotzübel? “Na ja, fängt ja auch beides mit ´K´ an!“ setzte sie sehr leise hinzu.
„Aber nür ... wenn ... saginn wir, das ... hm ... dieser Käfer ... sowas kann doch sein, dass er nicht mehr sein kann, chesso?" Er blickte sie hilflos und fragend an.
"Puh ... tja .. .hm ... öffne doch einfach mal die Hände!" verlangte Margrit jetzt sehr gefasst.
"Soll ich würgelisch?" ächzte er mit großen Augen.
Sie nickte beklommen.
"A - akir!" Langsam und mit immer länger werdendem Gesicht öffnete er seine beiden entsetzlichen Pranken. Drinnen lag der kleine Schelm jedoch unbeschädigt. Der Hajep wollte schon aufatmen, aber da bemerkte er, dass der Käfer die Beine steif an den dicken Körper gezogen hatte. Er regte sich nicht mehr. Zögernd tippte der Riese ihn an. "Tot!" keuchte er und dieses einzige Wort klang überraschenderweise sehr enttäuscht, fast erschrocken. Er hob den Blick, sah jedoch Margrit nicht dabei an. Er streckte die Arme stumm aus, reckte sie mit dem Käfer Margrit entgegen. "Ke, da siehst du es!" stammelte er und sie glaubte ein feines Zittern in seiner Stimme zu hören. "Wie es uns Hajeps geht. Hier...", er brachte seine mächtigen Pranken Margrit noch näher, "... ist der Beweis, dass wir einzick dafor geborinn wurden, um zu töten. Siehst du, kein Lebinn kann sich in diesen Händen halten. Das ...", er schloss seine rätselhaften Augen und krächzte sehr langsam, "... ist unser Programm, nach dem wir alle funktionieren, Hajeps und alle anderen Völker Amadia–Hotas kenninn deshalbig nür ein Ziel: Die Frai ... Freude am Tod des Besiegten!"
Margrit schüttelte wild den Kopf. „Ach, ist ja gar nicht wahr!“ fauchte sie energisch. „Auch du könntest dein Programm unterbrechen. He, ihr könnt es verändern. Denn der Sinn allen Lebens ist nicht der Tod sondern die Freude an allem Leben!“ Und sie ergriff seine kalten Hände, umschloss sie mit den ihren und hauchte den kleinen Käfer mit ihrem warmen Atem an, immer wieder und wieder und der Feind sah mit großen Augen dabei zu. Sie gab nicht auf und ... plötzlich geschah es! Der Käfer bewegte zuerst nur ein Beinchen, aber schon bald folgte das nächste ... und dann regten sich auch die Fühler! Schließlich war er völlig aus seiner Kältestarre erwacht, drehte sich herum und trippelte in der eisigen Handfläche des Hajeps umher, der nicht wagte sich zu rühren und er kletterte hinauf bis zur Spitze seines verkrüppelten Daumenstumpens. Dort verharrte er einen Augenblick, war ganz ruhig und voller Vertrauen und dann breitete er weit, sehr weit die Flügel aus und mit einem Male hatte er sich erhoben und flog dem Abendlicht entgegen.
Der grausame Feind schaute blinzelnd und mit geöffnetem Munde ins Licht, dem Käfer hinterher, dann betrachtete er verwirrt seine schrecklichen Hände, hauchte hinein und seine Augen leuchteten warm und dunkel.

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