Teddy
von Mario Schumann

 

Wo ist er?
„Wo ist er!?“ schrie er in den Raum hinein. Die Wohnung war leer, nur eine einsame Glühlampe schwankte an der Decke.
„Leer... Alles weg. Aber wo ist er?“
Wieder und wieder durchsuchte er die Wohnung, dieses Zimmergebilde von leeren Wänden und einer Ahnung des gegangen Lebens. Doch er fand nichts, außer den verblichenen Schatten der verschwundenen Möbel an den Wänden.
„Er ist nicht hier. Nicht hier...“
Noch einmal schaute er sich in der Wohnung um, während die Lampe ihr kaltes Licht spärlich verteilte.
„Sie hat ihn mitgenommen. Ja, sie hat ihn bestimmt mitgenommen. Aus Versehen vielleicht, ja, es war ja soviel, das alles, die Möbel und die ganzen Sachen. Ich gehe zu ihr und frage sie, ja, ich frage sie, sie hat ihn bestimmt irgendwo... Ein Missverständnis, einfach nur ein Missverständnis, sie weiß doch wie sehr ich ihn brauche, das weiß sie doch...“
Er rannte schon die Treppe hinunter, aus dem Haus, zur U-Bahn.

Sie, das war seine Frau Patricia, seine Exfrau, seit einer Woche waren sie geschieden. Sie hatten sich vor drei Jahren kennen gelernt, verliebt und geheiratet, alles innerhalb von zwei Wochen. Sie kam aus gutem Hause und war reich, ihr verstorbener Vater hatte ihr ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen. Und sie war schön. Wie ein Komet zog sie ständig einen Schweif Männer hinter sich her, von denen man nicht immer genau wusste ob sie hinter ihrem Geld oder ihrem kokett hüpfenden Busen her waren. Für ihn gab es keine andere.

„Und was macht denn ihr Mann beruflich Teuerste?“
„Ach wissen, sie er ist Künstler. Er ist ja so sensibel“ Sie ließ ihr goldkehliges Lachen hören.

Seit einem halben Jahr hatte sie eine Affäre von der er nichts wusste. Sie begann wie alle anderen ihrer Affären auch, doch diesmal schien ihr Auserwählter mehr bieten zu können als guten Sex. Er, Gordon, der Neue in ihrem Leben, war groß, stattlich, gut aussehend und Teilhaber einer Kanzlei. Sie sehnte sich nach einer Veränderung.
An einem Freitagmorgen legte sie ihm die Scheidungspapiere auf den Frühstückstisch.
„Du musst dort unterschreiben wo die Kreuze sind, schatz. Ich fahre übers Wochenende zu meiner Mutter. Leg die Papiere einfach auf meinen Schreibtisch.“
Er sah ihr erstaunt und schweigend nach wie sie ihre Tasche nahm und die gemeinsame Wohnung verließ. Die Tür fiel ins Schloss.
Am Montag lagen die Papiere unterschrieben auf ihrem Schreibtisch. Am Mittwoch wurden sie einvernehmlich geschieden. Während der gesamten Verhandlung sagte er wenig und meistens gar nichts, bei der Gütertrennung hatte er keine Einwände als sie fast alles bekam.
„Ich habe es ja auch bezahlt.“
Die Wohnung konnte er behalten, sie war alles was ihm gehörte und das, was er jetzt verzweifelt suchte. Es war für ihn wertvoller als alles andere zusammen.

Als er im Auto saß und durch die Straßen fuhr überlegte er fieberhaft wo sie sein könnte. Ihre neue Adresse kannte er nicht.
„Bei ihrer Mutter? Nein, nein, da ist sie nicht. Vielleicht bei ihrer Freundin Selina...aber die müsste noch in Neuseeland sein...“ Und während immer weiter überlegte wo sie sein könnte, fiel es ihm ein: es war Mittwoch. Dinner Party bei den van Vermarls.

„Patricia Schätzchen, wie schön dich wieder zu sehen. Aber was trägt denn Gordon da um den Hals? Was für eine ungewöhnliche Halskette.“
„Ach das, das gehörte meinen Exmann, er war ja immer so sensibel. Ich muss mit der Vergangenheit abschließen, weißt du. Wir wollen unser neues Leben feiern, Gordon und ich fanden das ganz lustig, so als Abschluss. Mein Exmann hing ja immer so an diesem Ding“
„Auf was für Einfälle du immer kommst. Wirklich originell.“

Als er vor dem haus der van Vermarls hielt, sah er dort auch ihren Wagen stehen.
„Sie ist also hier.“
Bevor er ausstieg fiel sein Blick auf das Handschuhfach. Er öffnete es und nahm den Revolver heraus, den er sich in der letzten Woche gekauft hatte. Zwei Kugeln befanden sich in der Trommel, eine um auszuprobieren ob der Revolver funktioniert und eine für sein Herz. Mechanisch steckte er ihn sich in die Jackentasche.
„Dann kann ich gehen.“

Er klingelte.
„Charles, ist sie da? Ich muss sie sprechen, es ist dringend, es gab ein Missverständnis, ich will nur...“
„Was machst du denn hier? Ich weiß wirklich nicht ob das klug wenn du jetzt mit ihr sprichst, der Zeitpunkt ist gerade...
„Ich will nur kurz mit ihr sprechen, nur ganz kurz, dann gehe ich wieder. Nur ganz kurz...bitte...“
„Ok, komm rein. Aber nur kurz, hörst du.“
„Ich geh dann gleich wieder, es dauert nur eine Minute, es gab nur ein Missverständnis...“

Er rannte beinahe durch den Saal und er konnte sie schon von weitem sehen. Sie lachte und ihr Lachen war von niemanden zu überhören. Sie bemerkte ihn erst als er schon fast bei ihr war, denn Gordon stand, den Rücken ihm zugewandt, halb vor ihr.
„Patricia, ich muss kurz mit dir red...“
Da drehte Gordon sich um und er verstummte. Um seinen Hals trug er eine Halskette und an dieser baumelte der abgerissene Kopf eines Teddys. Seines Teddys...

Der kleine Junge sitzt mit seinem Teddy auf dem Spielplatz und wartet auf seine Eltern. Da sieht er eine niedliche kleine Katze. Er will sie streicheln, doch sie läuft weg, in ein Haus hinein. Der kleine Junge läuft ihr nach in das Haus, folgt ihr über die Treppen ihn eine Wohnung. Die Tür steht offen, der Fernseher ist an und sehr laut. Er folgt der Katze bis in ein Zimmer, da hört er plötzlich Stimmen. Die Stimmen werden lauter und kommen näher. Aus Angst versteckt sich der kleine Junge in einem Schrank. Er hockt sich in die Ecke und hält seinen Teddy fest umklammert. Die Stimmen sind jetzt in dem Zimmer, sie sind sehr laut. Sie streiten, schreien. Der Junge kann eine Frau und einen Mann unterscheiden. Der Streit wird immer heftiger, Gegenstände werden umgeworfen und fallen auf den Boden. Dann schreit die Frau ganz laut. Zwei Schüsse. Noch einer. Dann ist es still.
Der Junge hat Angst und er zittert. Er sieht wie sich der Spalt am Boden des Schrankes rot färbt. Er hat Angst und der ist allein, niemand beschützt ihn, niemand ist da, nur die Angst und die Einsamkeit. Er hat nur seinen Teddy, nur seinen Teddy...

„Was will der denn hi...“
Weiter kam Gordon nicht mit dem was er sagen wollte, denn die erste Kugel aus dem Revolver durchdrang akkurat seinen Kopf und schlug in der Wand hinter ihm ein. Er fiel zu Boden.
Patricia fing an zu schreien.
„Oh mein Gott, was hast du getan, du hast ihn umgebracht! Du verdammtes Schwein! Wieso...“
Er richtete denn Revolver auf ihren Kopf und sah sie an. Sein Gesicht war Stein, starr und eiskalt.
„Warum Patricia, warum?“
„Warum? Du verdammter Hurensohn, du hast ihn umgebracht!“
„Du hast mir mein Herz genommen...“
„Willst du mich jetzt etwa auch umbringen!?“
„Nein...du bist schon tot.“
Er senkte den Revolver auf ihre Brust und drückte ab. Dann nahm er den Rest seines Teddys vom Körper des toten Mannes und drückte ihn fest an sich. Tränen liefen über sein Gesicht.

Noch bei seiner Hinrichtung hielt er seinen Teddy fest. Der Priester hatte ihn ihm gegeben.
„Gott ist mit ihnen mein Sohn.“
Er sah ihn an.
„Ich kenne keinen Gott...“

Sterne waren das letzte was er sah.

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