Als ob die Liebe wirklich wär...
von Saha Morgenrot

Kapitel
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Umhüllt von schwarzen Wolken

Dem alten Grafen ist es eine rechte Freude, mit anzusehen, wie sich die Resi seit der Geburt ihres zweiten Sohnes von einer drallen jungen Maid mit langen blonden Zöpfen und rosigen Wangen zu einem gestandenen Weibsbild, Sennerin und Wirtin gemausert hat. Der Bauch der dritten Schwangerschaft steht ihr gut, und trotz seiner Kurzsichtigkeit bemerkt der Graf sehr wohl, dass der Berg-Toni auch immer dicker wird.

Eines Tages wird der alte Graf sehr krank und als der Dorfarzt kommt, kann er nur noch feststellen, dass es mit dem Grafen zu Ende gegangen ist. Aufgeregt telegrafiert die Köchin dem jungen Grafen, der in der großen Stadt als Ingenieur arbeitet, er solle sofort nach Hause kommen.
Tags darauf kommt der Sohn mit dem roten Sportwagen und Judith an seiner Seite auf den Gutshof gefahren, steigt aus und eilt sofort ins Sterbezimmer, wo der Graf aufgebahrt liegt. Der Judith entgeht sein wohlgefälliger Blick, als der junge Graf an der neuen Magd vorbei läuft.

Der junge Graf verkauft den Familienschmuck und gründet damit im Tal eine Fabrik für Wehrtechnik. Die Judith gibt die Galerie auf und zieht zu ihm in den Gutshof und lebt dort, von der Dorfgemeinschaft geächtet, als seine Geliebte.
Als die neue Regierung beschließt, Panzer zu bauen, verbessert sich die Auftragslage der Fabrik enorm.

An einem Herbsttag trennt sich der junge Graf von Judith mit den Worten: „Es sind rein politische Gründe. Aber so wie du heißt, da hat man den Jud’ schon im Namen.“
Mit einem lauten Quietschen fährt Judith, die große schlanke Frau mit den schwarzen kurzen Haaren in ihrem roten Sportwagen vom Hof. Dabei weint sie ein wenig, denn sie weiß, dass die romantischen Abende mit dem Grafen jetzt vorbei sind.

Die Resi und der Berg-Toni bauen die Berghütte zur Pension aus und sind im Dorf hoch angesehen. Finanziell geht es ihnen von Jahr zu Jahr besser, die drei Söhne geraten wohl. „Nur eine süße, kleine Tochter fehlt noch zu unserem Glück,“ sagt der Berg-Toni immer, wenn er mit ihr schläft und die Resi sich langweilt, weil er immer so einfallslos ist. Dann denkt sie an die wenigen romantischen Nächte mit dem jungen Grafen, damals im Sommer 28.

Der Berg-Toni tritt in die Partei ein und steigt rasch zum Ortsgruppenleiter auf. Die Resi leitet den Bund deutscher Mädel und die NS-Frauenschaft.
An einem traumhaften Sommertag mit strahlender Sonne und hellblauem Himmel, feiert das ganze Dorf Kirchweih und die Resi erfährt von der Köchin, dass die neue Magd auf dem Gutshof ein uneheliches Kind bekommen hat. Der junge Graf habe sie mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt.
Dieser sitzt mit dem Bürgermeister, dem Pfarrer, dem Dorfarzt, dem Müllerjosef und Toni, dem Ortsgruppenleiter, an einem Tisch. Sie prosten sich zu, lachen und klopfen sich auf die Schenkel.
Als der Müllerjosef mal austreten muss, tritt der Berg-Toni unauffällig neben ihn und sagt:
„Ich hab drüber nachgedacht, Josef, das mit der Wettschuld. Ich nehm’ deine Bedingungen an.“
„Das heißt, du bist einverstanden? Woher kommt dein Sinneswandel?“
„Weil ich gmerkt hab, dass du die Resi immer so begehrlich anschaust. Vielleicht hat der Herrgott mich dazu bestimmt, nur Söhne zu zeugen, dabei hätt ich doch so gern eine Tochter, die der Herrgott mir und der Resi leider noch nicht gschenkt hat. Und ihr wird’s nicht schaden, so ein kleines Abenteuer mit dir.“

Das vierte Kind, schon wieder ein Junge, ist grad geboren und die Resi stapelt im Stall Heuballen auf einander. Da kommt der Müllerjosef, drückt sie gegen die Stallwand und nimmt sie von hinten. Er rammelt sie, bis es ihr schlecht wird, dann zieht er sie ins Heu und macht Dinge mit ihr, die sie niemals aussprechen würde.
Die Resi krächzt und leidet.

Kurz danach stellt sie fest, dass schon wieder die Blutungen ausbleiben. Diese fünfte Schwangerschaft und die ehrenamtlichen Tätigkeiten rauben ihr die Energie, ihre einst so rosigen Wangen sind eingefallen und blutleer.
Resi ist froh, als der Berg-Toni in den Krieg ziehen muss, wo er per Feldpostbrief erfährt, dass die Resi einer gesunden Tochter namens Dolferl das Leben geschenkt habe.
Der Toni ist überglücklich und freut sich auf den nächsten Fronturlaub, doch eine Woche vorher wird er von einem Granatwerfer tödlich getroffen.
Als der Brief mit der Todesnachricht eintrifft, empfindet die Resi keine Trauer.

Im März 45 werden das Dorf und die Bergpension von Tieffliegern zerstört. Drei Tage später bringt Resis beim Volkssturm engagierter ältester Sohn aus Versehen eine Panzerfaust zur verfrühten Explosion und stirbt Stunden später unter unermesslichen Schmerzen. Da beginnt sie, an ihrem Leben zu verzweifeln.
Mit den übrigen Kindern flüchtet sie zum jungen Grafen, der sich auf dem Gutshof verschanzt hat, um den Krieg nicht kampflos verlieren zu müssen. Denn zu seinem Leidwesen hat er bei seinem kriegswichtigen Betrieb bleiben müssen und ist nicht eingezogen worden, obwohl er Reserveoffizier ist.

Noch einmal will Resi die Leidenschaft des Augenblicks und den Grafen in sich spüren, sein Feuer erleben, seine süßen Worte hören. Sie kommt auf ihn zu, als er allein am Fenster steht, umschlingt ihn mit ihren einst so drallen Armen und flüstert: „Ich will dich, jetzt und hier.“
Doch er stößt sie zurück: „So eine alte Vettel würd ich nie anfassen. Schau dich doch an! Die Schwangerschaften haben deinen Körper zerstört. Kein Wunder dass sich der Berg-Toni immer an den saftigen kleinen BDM-Mädels vergriffen hat, Gott hab ihn selig.“
Plötzlich merkt die Resi, dass nichts perfekt ist und fühlt, wie sie das Unglück durchströmt. Es schnürt ihr die Kehle zu. „Die Kinder haben Hunger,“ sagt sie und steht ruckartig auf.
„Ich auch,“ sagt der Graf. „Und kochen wirst du ja wohl noch können.“
Da die Köchin vor zwei Jahren an Krebs gestorben ist, kocht die Resi selbst, einen großen Topf voll Erbsensuppe, in die sie ein halbes Pfund Rattengift mengt.
Nacheinander küsst sie ihre Söhne und die kleine Tochter und sagt voller Inbrunst:
„Ich lieb euch!“
„Wir lieben dich auch,“ sagen sie im Chor.
Und die Resi ergänzt: „bis dass der Tod uns scheidet.“ Dann deckt sie den Tisch und teilt die Suppe aus.
„Fangt schon mal an,“ sagt sie und wartet ab, um zu sehen ob das Gift wirkt.
Erst als der Graf, der die Suppe mit gierigem Löffeln hastig in sich hineingeschlürft und sogar noch einmal nachgenommen hat, langsam einen müden Eindruck macht, isst sie ihre Portion.

Als der Dorfarzt die leblosen Körper findet, ist die Resi die einzige, die noch atmet. Er kann sie wiederbeleben und bis zu ihrem Tod 1982 lebt sie geistig umnachtet in einem Pflegeheim.

Schwarze, tränenförmige Wölkchen steigen über ihr auf, dann ist diese Geschichte zu Ende.

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