Gedankenkonstrukt
von soissethalt

 

Als ich dreizehn war, hat mir die Mutter eines Schulfreundes, bei dem ich gerade zuhause war, gesagt, ich würde auf sie wie ein Erwachsener wirken.

Damals war ich sicher nicht erwachsen. Das, was die Frau an mir bemerkt hat, war wohl die Ernsthaftigkeit, die mich umgab. Die Verschlossenheit. Die Umkumpelhaftigkeit, die ich an den Tag legte.

Jeder strebt nach Aufmerksamkeit und Anerkennung. Danach, wahrgenommen zu werden. Die meisten Menschen wählen den gesünderen Weg: Ausbau der zwischenmenschlichen Fähigkeiten, so dass sie von einer Gruppe als ihresgleichen identifiziert und angenommen werden. Der andere, der künstlichere (künstlerischere?), der ungesündere Weg ist: Sich ganz alleine, durch Leistung und Ehrgeiz zu einem Bewunderten zu werden, was zwar Anerkennung und Aufmerksamkeit bedeutet, aber niemals, dass die anerkennenden Personen einen als gleichberechtigten Teil in einer Gruppe haben wollen. Weil sie eben ganz genau das fühlen, was ja auch stimmt: der ist nicht wie wir. Und dieser Weg war mein Weg. Damit ist man nicht alleine. Viele schlagen diesen Weg ein, aber in der Regel schlägt ihn jeder für sich ein, das liegt in der Natur des Weges. Diese Menschen kennen kein anderes Mittel zum Erkämpfen von Anerkennung, als sich über andere Menschen zu stellen, obwohl sie das nicht glücklich macht, und sie am liebsten genauso dazugehören wollen wie alle anderen Menschen. Das ist ein tiefliegender Komplex, und er ist selten lösbar, im Laufe eines Lebens mit viel Glück höchstens dämpfbar.

So entwickelte ich als Jugendlicher schnell eine gewisse Emsigkeit. Mit 11, 12 war ich dick, trug keine Markenklamotten und war nicht schlagfertig. Dementsprechend war ich schnell der Uncoole, den man verarschen konnte. Und meine Waffe dagegen war Fleiß: Ich wurde ein guter Gitarrist, ein guter Schüler, und gleichzeitig der größte Klassenclown. So wurde ich nicht als Streber weiterverarscht, sondern ehrfürchtig als der angesehen, der jeden Scheiß mitmacht, nicht aufpasst, und trotzdem immer total gute Noten schreibt, obwohl er dafür nicht lernen muss (was nicht stimmte). Später war ich dann auch noch der total coole Gitarrist und Sänger in einer Metalband. Letztlich alles Ergebnisse meines Fleißes, denn ich saß zuhause und übte wie verrückt, um diesen Status des Alleskönners erhalten zu können.

Das war vermutlich auch der Grund, warum ich meine Homosexualität, die sich eigentlich schon mit 12 abzeichnete, bis zu meinem 22 Lebensjahr nicht annehmen wollte. Lieber dachte ich mir präzise Theorien aus, mit denen ich mir logisch zu erklären versuchte, warum ich zwar irgendwie auf Männer stehe, das aber trotzdem nicht bedeutet, dass ich schwul bin. Auch ganz symptomatisch für mich: Mit geballter Hirnpower gegen meine Natur und gegen meine Gefühle angehen, die mir gerade nicht ins Konzept passen. So groß war meine Angst, meine hart erkämpfte Position könnte dadurch ins Wanken geraten.

Und so brachte ich mich selbst um die Jugend, um erstes Verliebtsein, ungestümen Sex, all die Dinge, die in der Jugend sicher auch mit viel Schmerz verbunden sind, die aber letztlich die Jugend ausmachen, die vermutlich sogar nötig sind, um später wirklich so etwas wie erwachsene Entscheidungen treffen zu können.

Das ist die Ironie: mit 13 wirkte ich auf die Leute bereits erwachsen, und heute, mit 32, wehrt sich alles in mir gegen die Tristesse des Erwachsenwerden, will ich endlich unvernünftig sein, und irrationale Dinge tun.

Es sitzt so tief, dass ich heute kaum Filme schauen oder Bücher lesen kann, in denen es um jugendliche Liebe geht. Geschweige denn auf der Straße ein jugendliches Paar beobachten.

Es ist ganz schlimm: Wenn ich beispielsweise im Netz mit einem jungen Schwulen chatte, der mir von seinen Erlebnissen berichtet, wird mir heiß und kalt vor....Neid. Obwohl diese Zeit halt nunmal vorbei ist, ich während dieser Zeit nicht mal besonders unglücklich war und heute all das, wovon derjenige berichtet, längst selbst habe oder in der Vergangenheit erlebt habe.

Ich bekomme es psychologisch zwar nicht ganz zusammen, aber darin liegt wohl höchstwahrscheinlich auch meine sexuelle Fixierung auf Jüngere begründet. Es ist gar nicht so, dass ich nicht gleichaltrige oder sogar teilweise Ältere attraktiv finden kann. Ich hatte sogar schon mit einigen Sex, und das war alles andere als unbefriedigend. Aber bei Jungs, die 18, 19, 20 sind, werde ich derart wahllos in meinem Wunsch, es einmal mit denen erleben zu können. Da zählt es nicht, dass es völlig offensichtlich ist, dass ich mit 90% der Begehrten kein vernünftiges Gespräch zusammen bekommen würde. Oft zählt es nicht mal, dass derjenige bis auf die Tatsache, dass er jung ist, gar nicht wirklich mein Typ ist. Dabei bin ich sonst nicht wirklich der, der auf unpersönlichen Sex steht.

Es ist, als könnte ich mir das, was ich nicht hatte, dadurch zurückholen, dass ich Sex mit denen erlebe, die heute so alt sind wie ich damals. Meistens verpufft dieser Wunsch bereits, wenn sich mal die Gelegenheit zu einem Gespräch ergibt und ich merke, wie viel zwischen uns liegt, wie anders wir sind. Und sehr wahrscheinlich würde noch viel mehr von dem Wunsch verpuffen, wenn ich es wirklich wagen würde. Denn es ist ja auch klar: Ich kann es nicht zurückholen. Dennoch: Ich bin beseelt davon, und manchmal hat es mich ganz schön im Griff.

Und ich frage mich, wie ich mich aus diesem Griff lösen kann. Ich habe seid 7 Jahren einen Freund, der ein halbes Jahr jünger ist als ich. Ich möchte ihn nicht dadurch verlieren, indem ich mich mit 18jährigen verabrede, um irgend etwas über mich zu erfahren. Wie bereits erwähnt: Ich bin gut darin, meine Gefühle und das, was sie machen wollen, durch rationale Überlegungen im Zaum zu halten. Und dennoch habe ich oft genug den Verdacht, dass es genauso enden wird, dass ich es irgendwann einfach ausleben werde, denn irgendwie kann man Wünsche unterdrücken, man kann sie vielleicht auch lange unterdrücken, aber kann man sie immer unterdrücken? Und wenn man das tut, falls es einem gelingt, zu welchen Poren kommt die innere Spannung, die sich dadurch aufbaut, wieder heraus und was richtet sie dann an?

Deswegen wäre es mir am liebsten, mein Freund würde meine Gründe verstehen, und könnte das akzeptieren. Das ist sicher zu viel verlangt, und dennoch bringt es mich manchmal fast um den Verstand, dass es in einer Beziehung, die seid 7 Jahren meist harmonisch verläuft, nicht möglich ist.

Vielleicht mache ich mir aber auch nur selbst etwas vor und versuche wie immer, durch Gedankenkonstrukte ein Problem zu lösen, das nicht lösbar ist. Gefühle, die in unterschiedliche Richtungen streben, zu versöhnen. Kann das gehen?

Wohl nicht.

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