diverse Kosmen, heute: Fleisch
von Roman Biewer

 

Ich mag ja Kosmen. Also so in sich geschlossene Dinger, die man auch als „Welt für sich“ bezeichnen könnte. Fündig wurde ich kürzlich im Supermarkt an der Fleischtheke. Und zwar war das so ein nach französischem Vorbild geführter Supermarkt, wo im Fleischregal nicht nur so abgepackter Fertigfrass, sondern sich auch so abgepackte Frischware dem Käufer darpreist. Der im Supermarkt tätige Metzger sortiert also morgens die Fleischfetzen aus, die für die Frischtheke doch ein bisschen zu assig aussehen, verschweißt sie geschickt in Folie, so dass sie wieder nach etwas ausschauen. Die Packen legt er also in diese Selbstbedienungstheke, die sich mir als Kosmos darbot. Und zwar so: Neugierig betrachtete ich eingeschweißte Schweinefüße, Rindermägen und Schafsschwänze, bis die Welt außerhalb des Kühlregals zu verblassen begann und alles nur noch rosa, Hack und Gliedmaße war. Es war schön dort, wieder Erwarten, unschön ist nur, das weiß ich seitdem, was nicht dem Prinzip der Reinheit entspricht. Eine heutige westliche Großstadt zum Beispiel ist niemals schön, da sie aus so unterschiedlichen Formen und Farben besteht. Was also geschah? Das beständige Weißrosa aus Knochen, Mark und ausgeblutetem Fleisch zog mich zu sich. Das leichte Flimmern, das sich sonst immer über meine Wahrnehmung der Welt legt, verschwand in diesem Augenblick vollständig, der Blick wurde klar, das Fehlen von definierten Ecken, diese Weichheit der Form in allem, was da kürzlich noch gelebt haben mag, es verrichtete seinen Dienst an mir, indem es mich besänftigte, mir gut zusprach, mir ihre Darmzotten sanft über die Schläfen legte. Einmal besichtigte ich einen Schlachthof, in dem gerade Rinder dran waren. Ich dachte, es wäre gut dafür, endlich Vegetarier zu werden, denn das wollte ich damals dringend, weiß nicht mehr, wem ich damals damit imponieren wollte. Anstelle eines Schocks stellte sich beim Betrachten der Vorgänge aber eine absolute Nüchternheit ein, und nichts war plötzlich richtiger, als Fleisch zu essen. Von dem Zeitpunkt an begann ich, Fleisch ohne Beilage zu essen. Ich aß ein Steak das erste Mal nicht durchgebraten. Wenig später briet ich es gar nicht mehr. Dann war da eine Taube. Sie konnte nicht mehr fliegen. Ich biss in sie rein. Kranke Tiere schmecken nicht. Es gibt aber zutrauliche Hunde. Die sind gut. Nachbars Ziegen dagegen: Richtig grossartig. Es heisst, Hunde bekommen rohes Fleisch, und dann werden sie wild. Das weiß ich nicht. Bei mir? Es stillt. Es beruhigt. Die Gedanken gehen weg. Das ist gut. Mittlerweile kenne ich mich aus. Es stimmt: Die Chinesen spinnen. Man isst keine Hunde. Man isst nichts, was selbst isst. Man isst nur, was friedliebend und hilflos ist. Das ist es, was den Geschmack macht. Wehrlosigkeit und die Fähigkeit zu Schmerzen. Das schmeckt. Inzwischen kann ich reissen. Das Gebiss wird stärker, wenn es arbeiten muss. Das muss es jetzt. Es gilt, das Wehrlose und Unschuldige zu reissen, zu essen, zu vernichten.

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