Frühstück bei Tripper-Inge
von Saha Morgenrot

 

Eine Kurzgeschichte von Saha Rot

Sie rieb sich die Wimperntusche des letzten Abends aus den Augen und zündete sich erst mal eine Zigarette an. Das war eine Nacht gewesen! Mühsam tastete sie nach der Brille, doch diese schien wohl im Bad zu liegen. Dann nahm sie einen Schluck aus der neben dem Bett stehenden Wasserflasche, um ihren verklebten Gaumen zu benetzen und klaubte Erinnerungsfetzen aus ihrem Gedächtnis. Hinter ihrer Stirnwand waberte ein dumpfer Druck hin und her. Wie viele Wodkas hatte sie sich gestern einverleibt? Und was hatte sie alles erzählt? Abgründe taten sich vor ihr auf.

Zuerst hatte alles so schön angefangen auf der Betriebsfeier. Im Innenhof wurde gegrillt, Spanferkel, und auf einem Tisch standen Salate, Brot und zahllose Weinflaschen.
Warnisch, der Geschäftsführer, hatte seine Gattin mitgebracht und mit ihr gegen Mitternacht einen Streit angefangen. Daran konnte sie sich noch genau erinnern, denn plötzlich waren alle Gespräche verstummt, als der Wortwechsel lauter wurde. So wie es aussah, war Warnisch im Bett eine Niete. Gut zu wissen. Vielleicht würde er jetzt etwas kleinlauter werden. Und ohne Skandal war eine Party ja sowieso nichts wert.
Nachdem Warnischs hektisch aufgebrochen waren, ging das Fest erst richtig los. Pillnich hatte das Wodkatrinkspiel inszeniert, das jetzt an ihrer Teilamnesie Schuld war. Wie war sie nach Hause gekommen? Mit dem Taxi oder hatte sie jemand mitgenommen? Hoffentlich nicht Rosenbauer, die sich dann am Montag das Maul darüber zerriss. Ein Fluch, diese Kollegin! Ausserdem hatte sie das Gefühl, dass Rosenbauer auf sie stand. Rosenbauer, eine Lesbe wie aus dem Bilderbuch: Schwarze kurze Haare, kleine Brille, ungeschminkt, kein Schmuck. Sie trug Hosen und burschikose Holzfällerhemden, dazu Springerstiefel. Für ihre jungen Jahre hatte sie schon eine beachtlich hohe Stellung in der Firma. Rosenbauer hatte beim Wodkatrinkspiel auch mitgemacht, das wusste sie noch, denn immer wenn sie sich wieder an den Tisch gequetscht hatte, streifte Rosenbauers Hand wie zufällig ihre Schulter oder Rücken.

Ein plötzliches Rülpsen und eine Bewegung neben ihr ließen sie hochschrecken. Was war das? Jetzt erst bemerkte sie, dass unter der Decke neben ihr jemand lag. Die Decke hob und senkte sich regelmäßig, obwohl sie keinen Atem hörte.
Ihr wurde übel. Im Augenblick war ihr gar nicht nach Überraschungen zumute. Sie sprang aus dem Bett und rannte aufs Klo. Dort musste sie sich übergeben, Spanferkelreste mit Salat, solange, bis nur noch Galle kam. Sie meinte, ein leises Türklicken zu hören. Aber das war sicher nur Einbildung.
Sie wusch sich das Gesicht, spülte den Mund aus und suchte ihre Ersatzbrille, um die andere zu finden. Hoffentlich hatte sie sie nicht auf dem Nachhauseweg verloren. Wie war wie nur nach Hause gelangt und vor allem: wer lag in ihrem Bett und was war geschehen? Langsam schlich sie zurück ins Schlafzimmer, doch das Bett war leer. Und sie hatte keine Ahnung, wer außer ihr darin gelegen hatte.
Sie zerwühlte das Bettzeug auf der Suche nach ihrer Brille oder einem Hinweis nach dem ominösen Übernachtungsgast. Unter dem Kopfkissen fand sie einen Zettel - eine Rechnung über 100 Euro: „Taxi Hornmann – wir fahren und verführen nach Wunsch“.

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