Ein Abschied für immer
von meike brueggemeier

 

Das Haus vom Krebs ist endlich fertig !!!

Ein Abschied für Immer

„Hast Du das Haus vom Krebs kaputt gemacht?“
Das kleine Mädchen sah ihn mit großen Augen an.
Frank zuckte mit den Schultern. Er konnte mit Kindern nichts anfangen. Zumindest beschrieb er selbst so die Tatsache, dass er sich in der Gegenwart von Kindern immer unbeholfen fühlte ... und was sollte das überhaupt mit dem Haus vom Krebs?
Er mußte an Mirja denken. Das weibliches Accessoire seines momentanen Lebensabschnittes und Mutter des nervigen kleinen Mädchens. Die hatte es mit diesem ganzen Astrologiekram. Sternzeichen, Aszendenten, Mondphasen, Häuser und so‘n Quatsch. Anfangs hatte sie sehr gut in seine momentanen Lebensumstände gepaßt. Sie sah gut aus, strahlte aber nach der Geburt eines Kindes und mittlerweile 35 Lebensjahren eine angenehme Erfahrenheit aus. Nicht so wie Margit, seine Ex, die mit ihrer jugendlichen Aufdringlichkeit mit der Zeit etwas anstrengend wurde und vor allen Dingen ... der belustigte Blick seines Chefs beim Anblick der, in ihrer Neugier fast schon naiv wirkenden Margit, brannte in seiner Erinnerung wie ein Magengeschwür. Doch dann hatte er Mirja kennengelernt.
Er wollte sich gerade wieder den Gedanken über seine aktuelle Beziehung widmen, und die Überlegungen weiterspinnen, die er gerade zu der Frage, wer sich hier eigentlich auf wen bezog, entwickelt hatte, da war sie wieder.
Die Stimme des kleinen Mädchens.
„Hast Du oder hast Du nicht?“
„Was für ein Haus denn, Kleine?“
Selbst er, der vorgab, keine Ahnung von Kindern zu haben, wußte, wie unwahrscheinlich es war, daß die Kleine von astrologischen Häusern sprach. Obwohl bei der Mutter ...
„Na das Haus vom Krebs, von unserem Nachbarn.“
Sie könnte den fetten Bayern meinen, den aus dem Bungalow nebenan, der seit seinem ersten Tag auf der Insel herumlief wie eine frisch gekochte Languste. Er starrte auf seinen Fuß, während er mit dem großen Zeh Kringel in den Sand malte und langsam aus seinem Grübeln erwachte, um sich gedanklich mit dem Kind, Krebsen und sonnenverbrannten Bayern zu beschäftigen. Der Bayer, das war durchaus eine Möglichkeit.
Als er von seinem Zeh hoch schaute, sah er die Kleine zielstrebig hinter einem ziemlich dunkelhäutigen, ziemlich kleinen Mann einher stapfen. Gebückt wie eine alte Frau, die Nase fast auf dem Boden. Bis sie sich plötzlich aufrichtete und empört los schimpfte.
„ Du, Du ... Sie, Sie ...“
Selbst in ihren jungen Jahren schien sie sich über die distanzierende Wirkung eines „Sie“ im Klaren zu sein.
„Sie, Sie, Sie Immobilienhai!“
triumphierend stemmte sie die Hände in die Hüften, stolz auf dieses niederschmetternde, Existenzen vernichtende Schimpfwort, daß ihr nach nur fünf distanzierenden „Sie“ eingefallen war. Jeder andere wäre wahrscheinlich tödlich getroffen zu Boden gesunken oder zumindest in Tränen ausgebrochen.
Doch der sehr dunkelhäutige, sehr kleine Inselbewohner schien kein deutsch zu verstehen. Frank hätte mit seinem perfekten Englisch, auf das er so stolz war, vermittelnd in dieses einseitige Streitgespräch eingreifen können. Doch ehrlich gesagt hatte er gar keine Lust, sich mit den kindlichen Phantasien einer fünfjährigen und einem Krebshaus zu beschäftigen.
Als er sich gerade, in all seinen Einwänden gegenüber Kindern bestätigt und in seiner Überzeugung gestärkt, daß er nun mal nichts mit Kindern anfangen könne, davon machen wollte, um sich wieder mit seinen Gedanken zu beschäftigen, da traf ihn dieser wohlbekannte, strafende, fordernde und mit einer Prise Enttäuschung gewürzte Blick.
Zack! Damit war seine Chance, sich unauffällig davonzustehlen und sich mit seinem liebsten Thema, sich selbst, zu beschäftigen, dahin.
„Gehst Du mit uns Essen?“
Dies war keine Frage. Es war auch keine Bitte. Es war überhaupt gar nichts, auf das man mit etwas anderem, als einem Ja antworten konnte. Es war eine Aufforderung und die duldete keinen Widerspruch. Nach drei Jahren Beziehung wußte Frank, daß spätestens jetzt jede Hintertür, die eine Flucht aus dieser Situation ermöglicht hätte, verriegelt und verrammelt war.

Kapitel zwei
„Was möchtest du denn essen?“
Unter Mirjas aufdringlich enttäuschtem Blick startete er den verzweifelten Versuch, die Kleine in ein Gespräch zu verwickeln. Die Erwartungen, er könne die ihm dargebotene Vaterrolle ausfüllen, waren zwar schon vor langer Zeit enttäuscht worden, doch gelegentlich blitzte noch ein schwacher Hoffnungsschimmer in Mirjas Blick auf.
„Fisch“ verkündete die Kleine.
„Fliegenden Fisch vielleicht?“ scherzte Frank.
Doch das Mädchen sah ihn mitleidig an.
„Die kann man nicht essen“ verkündete sie, „Die machen beim Fliegen so viele Bauchklatscher, daß sie ganz zäh sind und gar nicht schmecken.“
Frank gab sich Mühe, seine Verärgerung unter einer öligen Schicht Freundlichkeit zu verbergen. Er konzentrierte sich auf die Planken des Steges, der zu dem kleinen Fischrestaurant führte.
„Delphin vielleicht?“ versuchte er es in einem zweiten, nicht mehr ganz so schwungvollen Anlauf.
Doch dieser prallte gegen eine Mauer aus Verachtung, die sich wie aus dem Nichts vor den Augen des Mädchens aufgebaut hatte. Die ölige Schicht aus Freundlichkeit klatschte fast hörbar zu Boden.
„Delphine sind Säugetiere, keine Fische!“
So deutlich, wie die Verachtung im Gesicht des Mädchens, stand der Ärger in dem von Frank. Doch er riß sich zusammen und schwieg. Das ganze Essen über schwieg er, während die Tochter sich bei ihrer Mutter beschwerte, das jemand die Höhle des Einsiedlerkrebses unter der Terrasse zugeschüttet hatte.
Frank dachte an den Sommer vor drei Jahren und daran, dass diesmal alles viel schwieriger werden würde. Schon allein wegen des Kindes. Mit Margit war es damals ganz einfach gewesen...
Wie so oft in letzter Zeit verfiel er in das penetrante Schweigen, dass besser als alle Worte seinen Unwillen demonstrierte. Dieses Schweigen war eine seiner Spezialitäten. Noch nie, so hatte er das Gefühl, war er so oft und so offen kritisiert worden. Nicht seit er von Zuhause ausgezogen war und sich so, dem Einfluß seiner ewig nörgelnden Mutter entzogen hatte. Er hatte diese ewigen Niederlagen satt. Er war kein guter Vater, kein guter Partner und sowieso konnte er mit Kindern nichts anfangen.
Er spürte das Ende mit langsamen aber zielstrebigen Schritten auf sich zukommen. Anfangs war es nur ein undefinierbares Gefühl gewesen, ein leichtes Unwohlsein. Mittlerweile war es deutlicher geworden, baute sich wie eine drohende Gewitterfront am Horizont auf. Immer öfter fand er sich in Überlegungen darüber versunken, wie er die Geschichte sauber zu Ende bringen konnte.
Üblicherweise hatte er damit keine Probleme, aber diesmal mußte er sich von zwei Frauen auf einmal trennen - Mirja mitsamt Tochter. Als die Beziehungen mit Margit zu Ende ging, hatte er sich wesentlich weniger Gedanken gemacht. Ihre naive Begeisterung, die ihm in der von Unsicherheit und Selbstzweifeln erfüllten Zeit der ersten Berufsjahre so gut getan hatte, ging ihm eines Tages so ungehemmt wie unvorbereitet auf die Nerven.
Als hätte jemand das Licht eingeschaltet, traf ihn die Erleuchtung. Er brauchte endlich eine erwachsene und selbständige Partnerin und nicht mehr diese süße, kleine Freundin, die ihn mit großen Augen anhimmelte und von niemandem ernst genommen wurde. Probleme, sein Leben diesen neuen Erkenntnissen anzupassen hatte er nicht.
Schon seit Monaten hatte Margit getönt, sie würde für längere Zeit nach Thailand gehen. Als es vorbei war, war sie einfach verschwunden. Keine Erklärungen, keine Fragen, keine Vorwürfe. Und keine endlosen klärenden Gespräche über eine Beziehung, die längst auf dem Grund eines Müllcontainers vergammelte. Ein sauberer Schnitt - fast geräuschlos - und er konnte sich ungehindert auf Mirja einlassen. Noch heute überkam ihn ein angenehmes Kribbeln, wenn er an diesen Schnitt dachte. Margit tauchte nie wieder auf. Er war stolz auf sich gewesen.
„Kommst Du nicht mit?“
Mirja sah ihn hoffnungsvoll an. Doch das Ende erschien ihm mittlerweile so nah, dass er zu einem Kompromiss aus reiner Höflichkeit nicht mehr in der Lage gewesen wäre. Überhaupt war Höflichkeit nicht gerade seine Stärke.
"Ich bleibe noch auf ein Bier", brummte er und schaffte es gerade noch, seinen Blick eine ganze Minuten auf den Rücken der beiden kleiner werdenden Gestalten haften zu lassen, bevor er ihn wieder suchend umherschweifen ließ.
Sabine, die frustrierte Singlefrau und Medienschaffende, die sie auf dem Flug kennengelernt hatten, fing seinen Blick auf und schlängelte sich zwischen den Tischen auf ihn zu.

Kapitel 3
Er mußte eine saubere Lösung finden und zwar schnell.
Sabine saß ihm gegenüber und erzählte schon seit einer Stunde, wie hart ihr neues Leben als Nichtraucherin war. Dabei zog sie so heftig an einer seiner Zigaretten, dass man schon vom Zuschauen Lippenmuskelkater bekam.
Er mußte an Tina denken, die Vorgängerin von Margit und die erste Frau, bei der er seine Vorstellungen einer schnellen, endgültigen und zumindest für ihn schmerzlosen Trennung in die Tat umgesetzt hatte. Auch bei ihr war der Abschied einfach gewesen, obwohl es sein erste Mal war. Sie hatte geraucht, wie ein Schlot und gesoffen, wie ein Loch. Überhaupt war sie die perfekte Besetzung für die weibliche Hauptrolle in seiner wilden Studentenzeit gewesen.
Der Verkehrsunfall hatte zwar alle schockiert, aber keinen wirklich überrascht, schließlich fuhr Tina so oft betrunken Auto, wie andere zur Arbeit gingen. Ein Meisterstück.
Sabine redete immer noch. Sie erzählte von ihrem Job, der Verantwortung, dem Streß und der wenigen Freizeit. Frank gefiel die Mischung aus mitleidheischender Jammerei und arroganter Karrieregeilheit.
Vielleicht war Sabine genau die Art Frau, die in seine momentanen Lebensumstände paßte...
Doch Frank hatte seine Prinzipien.
Eines davon war: Keine neue Beziehung, solange die alte noch nicht abgeschlossen war. Er mußte sich beeilen.
Ein Feuerwerkskörper raste vom Strand aus in die Luft und ein lautes Geschrei erhob sich. Es brennt! Feuer!
Das war die Idee, die er gesucht hatte. Langsam begann es. Langsam breitete sich das Kribbeln in seinem Körper aus. Die Insel war trocken, wie der Vortrag eines verstaubten Buchhalters. Morgen war Sylvester und den ganzen Tag schon ließen übermütige Kinder Raketen hochgehen.
Er hatte eine Lösung gefunden.
Das Restaurant machte zu und Sabine lud ihn noch auf eine Flasche Wein in ihren Bungalow ein.
Wenn er es geschickt anstellte, konnte diese Nacht ein Ende und ein Anfang zugleich sein.
Er entschuldigte sich kurz, um bei Mirja und Tochter nach dem Rechten zu sehen.
20 Minuten später erschien er vor Sabines Tür, die ihn leicht bekleidet und mit zwei Gläsern Rotwein erwartete.
Er liebte diese Momente.
Liebte die Anspannung, die Zweifel, ob alles klappen würde. Obwohl er wußte, dass er alles perfekt durchgeführt hatte.
Immer blieb dieser kleine, seine Nerven malträtierend Moment der Unsicherheit.
Adrenalin schoß durch seinen Körper.
Dazu kam das erotische Knistern, das Sabine mit ihrer übertriebenen Laszivität verbreitete.
Später sah er aus den Augenwinkeln den brennenden Bungalow, der sich in der leeren Weinflasche auf dem Tisch spiegelten, begleitet von einem Stöhnen unter ihm und langen roten Fingernägeln, die sich lustvoll in seinen Rücken krallten. Die Sache war abgeschlossen. Ein paar Tränen bei der Beerdigung - und sein neues Leben mit Sabine konnte beginnen.

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