Der Schrei
von Carsten Maday

 

Kapitel

Der Schrei

Manchmal ist es, als rinnen meine Illusionen wie Wasser durch die Maschen eines Netzes, bis nur noch die zuckenden Leiber meiner Gedanken zurückbleiben. Und Hoffnung weicht der Angst, denke ich an die Fische, die sorglos verteilt sich auf dem Deck winden, gierig die Mäuler öffnend, verzweifelt bemüht den notwendigsten Schutz ihres Lebens herbeizurufen, zu atmen im vollem Bewusstsein des unausweichlichen Endes, doch zu nichts anderem imstande, als mit schmerzenden Kiemen nach dem Leben zu schreien, zu flehen, um doch nur schneidende Luft zu erhalten, die niemals die Leere zu füllen vermag.
Zuckend sterben meine Gedanken, machen Platz für andere, nicht neue, eher alte, bekannte, doch dunkle und gefürchtete Gedanken von schonungsloser Klarheit...

Und ich erhebe mich in die Lüfte, getragen von den Schwingen meiner Gedanken, höher und höher geht der Flug und ich steige auf, bis die Welt offen unter mir liegt.
Und mein Flug trägt mich an ein Gebirge, gewaltig, von schneeumkränzten Gipfeln umsäumt. Schillerndes Weiß, so hoch, dass meine Schwingen vor Anstrengung schmerzen, so nah, doch unerreichbar fern.
Und ein kalter Wind erfasst mich, wirbelt mich herum, beendet mein ruhiges Gleiten durch die Luft, bringt mich ins Taumeln, zerrt an meinen Flügeln. Und ich falle...
Schneller und schneller den zerklüfteten Bergen entgegen. So falle ich... und ich schreie, ein Schrei nach Hilfe, schreie und hoffe, jemand möge mich aus meinem Fallen retten, mich auffangen, mich halten...
Doch nur kalter, harter Fels wartet auf mich. Und ich bete, ich schreie und ich träume, träume mir eine Wiese von grünem Gras und blühenden Blumen, duftend und weich, willig meinen Untergang mit ihren weichen Armen von mir zu nehmen.
Ich falle ins weiche Gras, tauche ein in die Erde, durchs Gras hindurch, in ihre Wärme, werde zurück ans Licht geschleudert. Und ich erhebe mich, lebe und ich sehe...

Mein Traum erschuf eine blühende Wiese in mitten der Berge, die meinen grünen Traum drohend umschließen. Ich bin nicht länger ein Vogel, bin wieder Mensch, beschränkt und gefangen, ein Mensch, einsam, allein auf einem grünen Stück Hoffnung, umzingelt von grauem Fels.
Ich trete an den Rand der Wiese, blicke hinab in die dunklen Abgründe, deren Tiefe auszuloten ich mich nicht getraute. Wie diesen Ort wieder verlassen, so frage ich mich, nun da ich wieder ein Mensch? Die Angst quält mich, meine Hoffnung schwindet, das Blühen wird wieder zu kaltem Fels. Kälte. Und ich hebe meine Stimme, rufe erneut um Hilfe, giere nach ihr, lausche hoffend. Doch nur das Echo meines Flehens, von den Bergen tausendfach zurückgeworfen, antwortet mir voll Hohn, so laut und grausam, dass ich in die Knie breche, die Hände fest an Ohren gepresst, verschließe mich, um nicht wahnsinnig zu werden. Endlich erlischt das Echo, aus dem gellendem Fordern wir ein wisperndes Flehen... Bitte, bitte, bitte.... Und es ist zu Ende, Stille herrscht. So erhebe ich mich, komme zu Atem; erholsame Ruhe, labe mich an Dir. Ich atme tief ein und rufe dann erneut, doch diesmal lauter als zuvor. Allein werd ich diesen Ort nicht verlassen. Und die Berge schleudern meinen Hilfeschrei zurück, grollend und drohend erschüttert er die mächtigen Riesen. Felsen kommen in Bewegung, reißen alles mit sich, gehen in tosenden Lawinen in den Abgrund hinein. Und das Echo rast auf mich zu, doch werde ich diesmal nicht die Ohren verschließen, nicht in die Knie gehen, denn ich weiß...
zwischen allen meinen Stimmen, irgendwo tief in meinem dunklen Gebirge, da antwortet mir jemand... draußen in der Dunkelheit, erwartet mich, ruft leise meinen Namen, leise ganz leise...

Manchmal hab ich das Gefühl, dass die Stimme mich in den Abgrund locken will, hahahahahahahaha !

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