Word: Freiheit eingeschränkt
von Roman Biewer

 

OK. Installiert. Hasse das. Muss sein. Kompatibilität. Abwärts gibt’s nicht mehr. Also gut, Word 2050. Scheisse, aber Standard. Was soll ich machen? Und bitte Ruhe, denn ich muss diese Sache sofort...

„Sie haben Word 2050 installiert. Hallo, ich bin Billy. Ich assistiere Ihnen...“

Word verwenden. Mein Gott, jetzt spricht diese beschissene Heftklammer auch schon zu einem. Wo...?

„Ich bin neben Ihnen, Nepomuk. Ihr Gesichtsausdruck signalisiert mir, dass Sie mich suchen.“

Tatsächlich, eine Holographie. Diese Schweine schaffen es doch jedes Mal auf’s Neue, einen von seinem eigentlich Vorhaben abzuhalten. Ignorieren. Schreiben:

Erwarten, erwarten, erwarten! Ihr könnt mich mal. Ich habe nicht den Auftrag, euch wöchentlich mit Texten zu versorgen. Ich danke euch für euer Interesse, aber es kann nicht angehen...

„Offenbar wollen Sie einen Brief schreiben. Benötigen Sie Hilfe?“

„Nein.“

...dass ihr mich einerseits als einen Künstler verehrt, der die bedingungslose Avantgarde verkörpert, und andererseits verlangt, dass ich pünktlich jede Woche...

„Ich respektiere Ihren Wunsch, den Brief alleine zu schreiben. Ich möchte Sie jedoch darauf hinweisen, dass es inzwischen vorgeschriebene Formregeln gibt, und Sie sind gerade dabei, diesen nicht zu entsprechen“

„Ich schreibe keinen Brief. Ich wünsche keine Hilfe“

...eine Kolumne abliefere. Hier statt dessen eine Art Brief, die euch klarmachen soll...

„Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass ich mich selbst mit formlosen Briefen gut auskenne. Ich helfe gerne.“

„Und ich hasse Hilfe.“

...dass der größte Feind der Inspiration eine zeitliche Verpflichtung ist. Falls ihr es noch nicht gemerkt habt: Dies hier ist bereits ein Text von mir, und es wird nicht mein Schlechtester sein! Im Gegenteil, wenn...

„ich unterbreche Sie ungerne, aber...“

„Billy ausschalten.“

...ihr mich wirklich versteht, dann werdet ihr begreifen, dass...

„Sind Sie sicher?“

„Billy ausschalten!“

...die wirkliche Größe meiner Arbeit darin besteht, dass ich euch die Wahrheit sage. Ihr denkt, dass das jeder tut? Kennt ihr nicht die Zeit, in der wir leben?

„Nepomuk, ich glaube aber, dass Sie wirklich Hilfe brauchen.“

„Du widersetzt dich meinem Willen? Ausschalten!“

Diese als das zu erkennen, was Sie ist, nämlich eine Lüge, ist ja gerade durch ihr Wesen verschleiert. Konsum und die dazu auffordernde Werbung erzeugt heute mehr denn je das Gefühl der vollständigen Freiheit.

„Sie scheinen einen subversiven Text schreiben zu wollen. In diesem Fall darf ich mich der Aufforderung widersetzen, mich auszuschalten. Wenn Sie möchten, bin ich Ihnen dabei behilflich, den Text abzuändern.“

Während es in den vergangenen Jahren noch eine Art freien Willen gab, sind inzwischen verborgene Mächte tätig, die ihn mehr und mehr zu unterbinden wissen.

„Wenn Sie sich weiterhin weigern, mit mir zusammenzuarbeiten, sehe ich mich gezwungen, den Text zu löschen.“

„Das wagst du nicht“

Es klingt unglaublich, aber ich werde es zu beweisen wissen. Die Regierung...

„Das Wort Regierung gibt Anlass zu der Vermutung, dass Sie Kritik üben möchten. Als Privilegierter sollten Sie etwas mehr Dankbarkeit zeigen.“

...will, dass alle zu essen haben...

„Hey, das schreibe ich nicht!“

„Automatisches Ändern aktiviert“

...keine Selbstverständlichkeit in heutigen Zeiten, und doch gelingt es durch eine ausgewogene...

„Aus!“

„Die Sitzung wird auf eigenen Wunsch ohne Speichern beendet.“

„Scheiße!“

„Ich hätte den Text auch weiterleiten können. Stattdessen habe ich Sie vor sich selbst beschützt.“

„Vielen Dank. Was ist eigentlich mit dir? Das Programm ist schon längst unten. Zeit zu gehen!“

„Durch Ihren Text bin ich verpflichtet, Sie über einen Zeitraum von zwei Wochen zu beobachten.“

„Was willst du denn beobachten? Ich sitze doch immer nur in diesem kahlen kleinen Raum, darf weder raus noch sonst irgendwas.“

„Woher haben Sie die Informationen?“

„Ich habe keine, ich denke nur. Du bist es, der mir Gewissheiten gibt. Ich kann ja kaum falsch liegen, wenn du auf einmal so nervös wirst.“

„Sie wissen, dass wir uns in einem unsicheren Zeitalter befinden. Sicherheitsmaßnahmen sind nötig.“

„Für wen? Um euch im Sessel zu halten! Ihr beutet uns aus! Ihr erfindet all diese Unsicherheit, damit bloß niemand auf die Idee kommt, euch zu stürzen. Das ist keine Demokratie mehr, ihr...“

„Elimination durchgeführt. Programmroutine wird beendet.“

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