Damm
von Carsten Maday

 

Dunkelheit steckt voller Geheimnisse, voller Ängste, die Nacht ist unheimlich.
Sich durch die dunkle Nacht zu bewegen ist Schrecken und seltsamer Genuss in einem. Wohlig in die eigne Einsamkeit gehüllt über die nächtliche Autobahn fahren. Ich laufe durchs Dunkel, über die Brücke auf die andere Seite, darf zurückkehren, denn immer ist der Fluss Grenze gewesen, schied Orte und Welten.
Styx ist der berühmteste. Seine Bedeutung so einleuchtend, dass es wohl in vielen Kulturen einen solchen Fluss geben mag. Auch wir gehen früher oder später über den Jordan.
Wenn ich laufe, verändern sich die Gedanken, nein, eher ist als betrachte man seine eigenen Gedanken, ohne recht involviert zu sein ins eigne Denken. Als sehe man einem Fluss zu, an dessen Laufe man nichts zu ändern vermag, als hier und da seine Angel in ihn zu werfen.

Auf der anderen Seite ist ein Damm. Auf dem laufe ich. Eine Strecke führt über eine Wiese. Dort sind keine Lampen. Bei Tage verlasse ich den Damm, laufe durch den Wald. Bei Nacht nie. Ich bleibe auf dem Damm, dessen ureigenster Zweck ja Schutz ist. Den Wald aber sollte man bei Dunkelheit meiden, wenn man allein ist.
Nun kommen Lichter, nicht erlösend, denn Furcht ist nicht auf dem Damm, da links wie rechts kein Platz ist für neidlichen Hinterhalt. Laternen, Licht wirft Schatten.
Liegt nicht das Schattenreich auf der anderen Seite des Styx? Meine Gedanken fließen, ich laufe, der Atem ist rhythmisch. Ich bin unter der Laterne, klein der Schatten, ein Punkt, nichts vorn noch zurück. Laufe und wachse, schwelle an. Je ferner ich dem Licht im Rücken bin, desto schneller wächst der Schatten mir voraus, lang ausgreifend. Endlich die Mitte, die Peripetie, das Leben schlägt plötzlich um, der höchste Grad der Ausdehnung ist erreicht. Vorn wartet die nächste Laterne. Ihr Licht löst meinen Schatten mehr und mehr auf. Ein osmotisches Hinübergleiten ins Nichts.
Es ist ein solch friedliches Auflösen, dass mir warm ums Herz wird (Mag auch an der Anstrengung liegen). Endlich ist der Schatten fort, der Punkt kehrt zurück, wächst, löst sich auf, fort, fort, bis an das Ende aller Laternen. Es ist ein trostreiches Bild, fast zu trostreich, als dass man in der Hoffnung auf Wiedergeburt etwas anderes sehen kann, als die Sehnsucht nach Tröstung. Ich habe hie und da schon über solches nachgedacht, doch fehlt mir der Glaube zum Leben nach dem Tode. Entscheiden kann man solches ja nicht. Tendiere dazu, dass nach dem Tod alles aus ist, doch ist die Tendenz keine Überzeugung, denn wenn schon das Leben vielerlei Überraschungen bereit hält, was mag wohl erst der Tod aus dem Hut zaubern? Ich laufe weiter, eine Brücke führt mich zurück, doch ich weiß, dass ich beim nächsten Mal die Schatten erwarte, bestaune. Ein Teil wird sich dann freudig erinnern, solches geschrieben zu haben.

Autorenplattform seit 13.04.2001. Zur Zeit haben 687 Autoren 5364 Beiträge veröffentlicht!