In der Baumschule Nix Neues
von Carsten Maday

 

Das sieht ja aus wie ein Bombenkrater!<, staunte Aaron und ich dachte nur: >Idiot!< Dabei hätte ich doch bereits hier hellhörig werden müssen. Aber ein vaticinium ex eventu ist ja auch recht billig, oder wie?
Hm, vielleicht sollte ich mit der Exposition beginnen, klassisch eben. Ort: Baumschule, Personen: Chef, Aaron (Ex-Praktikant).
Also, Chef und ich waren dabei eine Weide auszumachen, so ´nen 5m Brocken, den man nur mit dem Frontlader des Traktors heben konnte. Da eilt herbei der Aaron, der Ex-Praktikant, der mir bis vor ´ner Woche echt auf die Nüsse gegangen ist, teils durch sein Alter, 14, teils durch seine oberkluge Art, teils, weil ich lieber allein arbeite. Kommt also. Staunt! Abgang Chef. Stehen am Erdloch, das zugegebenermaßen groß war.
>Na, für ´nen Krater ein bisschen zu klein<, erwiderte ich.
Ich begann, daß Loch zuzuschaufeln. Er guckte zu. Um nicht als völliger Arsch zu erscheinen, muss ich hinzufügen, dass der Kleine schon ganz in Ordnung war, nett, einigermaßen eifrig und, so alt bin ich noch nicht, als daß ich mich nicht daran erinnern könnte, ein kleiner Junge, wie auch ich einer gewesen war.
Er war der Spross einer Baptisten-Familie, die es auf 11-13 Kinder gebracht hat. Baptisten. Aha! Hatte den Aaron mal gefragt, was denn sein Vater von Beruf macht. Der nun gab mir folgende Auskunft: daß sein gläubiger, Jerusalem besucht habender Vater Panzer baue!
Da freute ich mich auf einmal sehr, vielleicht weil Bigotterie so schön menschlich ist, vielleicht weil es, siehe Kreuzzüge, ehrlicher ist, Menschen wegen des Geldes zu töten, als der schnöden Religion halber. Finde, der Mensch sollte zu seiner Verderbtheit stehen. Der Versuch, das Unverborgene zu verbergen grenzt an Lächerlichkeit. Oder war es Widerwärtigkeit?
>Wie, dein Vater arbeitet in der Rüstungsindustrie?< Vielleicht fragte ich zu erstaunt, vielleicht zu freudig, vielleicht hörte sich Rüstungsindustrie zu bedrohlich an, bedrohlicher als ein Panzer, Traum vieler Jungen, auch meiner; er schwenkte ein, so ganz genau wisse er eigentlich nicht, was sein Vater tue. Ich fragte nicht weiter, denn der Gedanke sein Vater könnte wirklich kein bigotter Heuchler sein, deprimierte mich irgendwie.
>Du<, fragte Aaron mit dem man, wenn man sich bemühte, auch gut Schwätzchen halten konnte.
>Hm?<
>Kennst du eigentlich den Film “Im Westen nichts Neues”?<
Widerwärtigerweise erfreute mich die Widerwertigkeit des folgenden Themas. „Ten areten agein“, zur Tugend führen, wie der Grieche so schön sagen kann.
>Klar kenn ich den! Hab ich Dir doch bereits erzählt, daß ich das Buch gelesen habe!< Peinlicher Weise muss ich an dieser Stelle gestehen, daß es mir irgendwie gelungen war, dieses Thema bereits zuvor anzureißen, weil es in der Schule gerade die Kaiserzeit und den Krieg gab und ich ihm prophezeit hatte, daß sie vielleicht “Im Westen Nix Neuet” lesen könnten. Klassische Schüler-Lektüre!
Er also hatte nun den Film zur Hälfte gesehen und ein Stücken aus den Buch, die Trichter-Szene, in der Paul Bäumer ob des heftigen Granatregens dazu verdammt ist, in einem Bombentrichter die Nacht an der Seite des Franzosen zu verbringen, den er zuvor mit dem Bajonette angestochen hatte. Mit dem Franzosen geht es langsam bergab. Hab das Buch 1x gelesen, aber ich kannte die Stelle wohl, da es kaum einprägsamere geben kann.
Unterhaltung:
>Wo er da mit dem Mann im Krater liegt und an den Rand klettert, seinen Helm aufs Gewehr setzt, über den Rang schiebt und mit ´nem Einschussloch zurückzieht!<
War klar, daß ihm das gefiel und nicht der glühe Aufruf zur Brüderlichkeit. Egal, die leisen, bitteren Töne bei Remarque anstoßend:
>Ja, aber Paul sagte ja auch selbst, daß er den Franzosen verbindet, damit, falls Franzosen sie entdecken sollten, sie sehen konnten, daß Paul ihren Kameraden versorgt hatte, damit er nicht von ihnen umgebracht wird. Also purer Selbsterhaltungstrieb. Später, als der Mann tot, Paul wieder bei seiner Einheit ist, da sagt er ja selbst, daß nur der Stress ihn zu dem Gespräch mit dem Toten geführt hatte.<
Obwohl Paul im Film sich selbst mehr als deutlich belügt und es gerade die Tragik ist, bewusst in der Hölle zu leben, die das Bewusstsein tötet, damit der Rest, zwar nicht leben, aber immerhin eine etwas größere Chance hat, nicht zu sterben. Das aber führte etwas zu weit.
>Stirbt Paul denn?<
>Wenn ihr noch den Rest des Filmes seht, wäre es doch blöde, wenn ich Dir die Spannung nehme, oder wie?< Erinnerte mich an eine Freundin. Die fragt auch immer bei Filmen: Was passiert denn da? Was tut der denn da?
Weiter im Kriege, ohne auf einen sich hier anbietenden Vergleich Remarque/Jünger einzugehen:
>Was du in dem Buch nicht findest, sind die Gasangriffe.<
Ich wollte ihm die Abgründe des Menschheit zeigen, ohne allzu sehr auf Verstümmelungen einzugehen, obwohl der Kleine wenig nach seinen Baptisten-Eltern zu kommen schien, sondern fleißig Command and Conquer auf dem Computer zockte und Filme von wenig religiösem Inhalt sah. Eigentlich gut, daß er die Wahl hatte.
>Giftgas!< sagte ich unheilschwanger. >Das war schwerer als Luft, kam heran gekrochen wie Nebel, floß in die Gräben, verbrannte den Männern die Lungen.<
>Ja, hab ich gehört! Das hat, glaube ich, der Franzos oder der Britt benutzt (Okay, DAS hat er nicht gesagt, aber es einem der beiden zugeschoben).
Ich guckte ihn an, war kurz davor ihm väterlich die Hand auf die Schulter zulegen und sagte ihm, traurigen Blicks:
>Neee, das haben als erste die Deutschen verwendet. Nebenbei gegen jegliches Völkerrecht. Die Britten, Franzosen, Amis haben dann nur nach gezogen.<
Weiter Fetzen.
>Das seltsame am Menschen ist, daß er eigentlich eine Lehre aus dem Ersten Kriege hätte ziehen sollen. Gut, er hat eine gezogen, aber nicht, daß man keinen Krieg führen soll, sondern, daß man ihn ANDERS führen muss. 20 Jahre später gab ´s den zweiten! Die Kriegsführung hatte sich ja geändert. Kannst Dich doch an die Szene mit dem Maschinengewehren erinnern, das die Leute reihenweise umlegte?
Klar konnte er, der kleine, blutrünstige Kerl.
>Das hat zu enormsten Verlusten geführt. Die Briten hatten an einem Tage 60,000 Mann Verluste, davon 20,000 Tote!!!!!!!!!!<

Dachte, ich hätte Klartext gesprochen. Wohl nicht, denn auf die, wie ich dachte, abschreckende Rede über den Krieg, kam Folgendes:
>Mein Nachbar hat ein Luftgewehr!<
Toll, dachte ich, übriges weiter schuftend, wie schon das ganze Gespräch über. Bin Baumschulist und kein Gärtner, Jim!
>Das Luftgewehr hat er gegen Einbrecher und Diebe! Damit kann man einen bestimmt totschießen!<
Klar, dachte ich, von der Verknüpfung unglücklicher Umstände hört man ja täglich. Man kann einen auch festbinden und dauernd ins Auge schießen. Früher oder später dringt man ins sein Hirn vor. Anders als ich in deines! Aber die Dinger sind sehr gefährlich und nix für Kinder. Unnötig zu erwähnen, daß ich als Junge auch brennend gerne eines gehabt hätte.
>Hätte auch nichts gegen eines!<
Auf meinen Blick:
>Nee, lieber nicht. Würde dann bestimmt auf Vögel schießen.<
Eine Erinnerung: Nachbarskinder, Heiko, sein Großer Bruder und ich. Bruder zielt mit dem Luftgewehr auf einen Spatzen auf dem Dach. Klack, Staunen, Fallen, Laufen. Da lag er. Wie traurig ich war. Der kleine Kerl. Konnte es nicht fassen. Hab irgendwie das Gewehr nicht mit dem Tode in Verbindung bringen können, geschweige denn ahnen können, daß der Bruder so gut mit den Ding umgehen konnte. Da lag er, uns allen war sehr beklommen zu Mute. Schmerzen! Tschiep! Schmerzen! Ist besser ihn von seinen Leiden zu erlösen, meinte der Bruder. Zustimmung. Klack. Er erlöste den Vogel von den Leiden, von den Leiden, die er ihm zugefügt. So will der Mensch in seinen Taten gerne noch gutes sehen.
Daran dachte ich, sah ihn an, Aaron:
>Das ist aber keine Heldentaten einen Vogel zu erschießen. Kein Mut, keine Ehre liegt darin.<
Es war kalt, denn es war November.
>Kein Mut, keine Ehre. Nur Tod.<

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