im Plus
von Roman Biewer

 

Deutschland in Köln am Barbarossaplatz im Plus. Also auf Dörfern oder Kleinstädten sind die Plusmärkte ja meistens geräumig und aufgeräumt, die Verkäufer sind freundlich und haben Zeit, und lediglich die kleinen Preise und die Corporate-Identity-Schürzen ermahnen einen daran, dass man nicht in einem Tante-Emma-Lädchen ist, sondern in einem Stützpunkt eines staatenübergreifenden Discountimperiums. Nicht so in den Städten: Ich habe mal eine Zeit lang in Saarbrücken gewohnt, dort gab es einen Plus, der war in so einem Gebäude die Treppen hoch, und unten im Eingang haben sich Penner und Punks mit ihren Hunden gegenseitig die Schlafflächen weggenommen. Wie’s oben im Laden ausgesehen hat, kann man sich vorstellen: Das Gemüse und Obst faul, zwischen den Regalen zerdepperte Apfelmusgläser, die tagelang keiner weggemacht hat.

Doch das ist gar nichts im Vergleich zu dem Laden in Köln: Die Gänge sind so eng, dass keine zwei Einkaufswagen aneinander vorbeikommen. Vor den Kassen endlose Schlangen, links und rechts kein Platz, obwohl neben den Kassenschlangen noch Regale mit Waren, zu denen ständig jemand vormuss, weil er noch Damenbinden braucht, oder ein Angestellter muss mit einem dieser Palettenwagen durch, weil er vor der Kasse trotz aller Enge noch eine Sonderfläche für Ostern einrichten muss.

Und genau in diesem Laden und in so einer Schlange stand ich vor ein paar Tagen. Kurz vor acht wie immer, unmöglich, dass diese ganzen Menschen noch alle bis Ladenschluss an der Kasse vorbeikommen würden, entsprechend entnervt blickt das Personal bereits drein. Die Kundschaft: Penner, Punks, alte kölsche Weiber mit entsetzlicher Kleidung, Männer im Pensionsalter, die mit sich selbst sprechen, Hunde, kinderreiche Zigeunerfamilien. Dazwischen: Studenten, die Kopfhörer aufhaben, lieber bei Karstadt einkaufen würden, dies auch tun werden, sollte ihr Studium ihnen irgendwann einmal zu etwas mehr Geld verhelfen, obwohl, wer die neusten G-Star-Hosen und Nikes, der sollte doch eigentlich auch... na ja, irgendwo muss man das dann ja auch wieder einsparen. Jedenfalls bewegen sich diese Studenten so schnell wie möglich durch diesen Laden, und die mitunter fünfzehn Minuten vor der Kasse sind ganz klar der Tiefpunkt ihres Tages, egal, wie schlecht der Rest gewesen ist. Ich bilde mir ein, etwas neutraler dreinzuschauen als das Mädel schräg neben mir, aber denken tu ich das Gleiche.

Direkt vor mir spielt sich folgende Szene ab: Eine Zigeunerfrau steht in der Schlange, hat ihre vier Kinder dabei, zwei schlafen in einem Kinderwagen, der nur für EIN Kind gebaut wurde, trotzdem wird er zusätzlich auch als Einkaufswagen genutzt. Ein Mädchen hält die Frau an der Hand, auf dem anderen Arm hält sie einen Sechserpack 1,5 Liter Plus-Colaflaschen. Das vierte Kind, ein etwa sechsjähriger, extrem magerer Junge streunt neben seiner Mutter umher und will dies und das gekauft bekommen, wie häufig bei Kindern in diesem Alter zu beobachten, die Mutter jedoch geht nicht auf eines dieser Begehren ein. Dieser Anblick erweckt das Mitleid einer deutschstämmigen Kölnerin, die wahrscheinlich sogar kölnischstämmige Kölnerin ist. Sie ist um die Vierzig, trägt eine Hornbrille wie Hape Kerkeling, wenn er seine Figur Siegfried Schwäbli spielt. Dazu eine hellblaue Jeans im Karottenschnitt, eine rosafarbene Bluse und eine blonde Dauerwelle mit Pony. Als der Junge seiner Mutter eine Waldfruchtschorle in einer Halbliterflasche vorhält mit der Bitte, sie ihm zu kaufen und diese erneut abwehrt, schreitet die Kölnerin ein und verspricht dem Jungen geheimniskrämerisch hinter dem Rücken der Mutter, sie ihm zu kaufen. Der Junge bekommt aus Dankbarkeit große Augen, die Dame rote Bäckchen der Güte. Sie beschließt, dass so ein halber Liter zu wenig ist und packt noch eine zweite Flasche dazu. „Eine Flasche kaufen = edler Mensch, zwei kaufen = 2 x edler Mensch, und doppelt gemoppelt hält besser“, so oder so ähnlich muss es in ihrem Hirn synapst haben. Die Mutter dreht sich um, das Geheimnis der beiden fliegt auf, die Mutter schämt sich dafür, dass sie offenbar so arm aussieht, dass wildfremde Menschen ihren Kindern Waldfruchtschorlen kaufen, die Kölnerin beschwichtigt, so etwas wäre doch gar nicht schlimm, ihr selbst geht es dabei vor lauter Güterausch immer besser, und das jüngste Kind im Kinderwagen wacht aufgrund der Spannung, die in der Luft liegt und die inzwischen sogar der kreideweiß vor sich hinschwitzende Kassierer bemerkt hat, auf und beginnt zu weinen. Die Kölnerin zeigt sich entzückt, obwohl das schreiende Kleinkind gar nicht entzückend ist, die Mutter wird hektisch, sie nimmt den Kleinen nun auf ihren Arm, wofür sie aber den Sechser-1,5-Liter- Colapack in den Kinderwagen stellen muss, der kurz darauf umfällt und das zweite schlafende Kind unter sich begräbt. Dieses wacht auf und beginnt vor Schmerz zu schreien. Da die Kölnerin immer noch entzückt ist, und so unglaublich dumme Sprüche absondert wie „och, da isses jetzt aber erschrocken, hm?“, bin ich spätestens jetzt kurz davor, sie zu packen zu schütteln, und ihr „Sehen sie denn nicht, dass diese Familie keinen Bock auf ihre Almosen hat?“ entgegenzubrüllen. Ich sage nichts. Beide Kinder brüllen, und alles wäre längst vorbei, wenn der Mann, der jetzt gerade bezahlt und vorher die ganze Zeit mit sich selbst gesprochen hat, verstehen würde, warum er bei vier leeren Schlosspilsdosen, aber nur drei Pfandbons eben nur den Pfand für drei Dosen zurückbekommt. Es sind etwa fünf Minuten, in denen sich nichts bewegt, die Kinder schreien und die Kölnerin ihr wir-Mütter-Verständnis darbietet.

Endlich bezahlt die Mutter, dann die Kölnerin, bevor ich drankomme, vergehen wieder Minuten in der sie der Mutter zu erklären versucht, warum sie für die beiden Fruchtschorleflaschen nicht auch noch zwei Pfandmarken spendiert bekommt, „nix Kohlensäure, kein Pfand!“, dann endlich kann ich bezahlen. Es ist fünf nach acht. Ich fühle mich entsetzlich und hoffe, dass die Kinder inzwischen nicht mehr schreien. Und der Kleine seine Schorle genießt!

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