Tbilissi
von Viktor Onda

Kapitel
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1.

Ein Bulle spielt an seiner Pistole, Leute sitzen wartend beim Friseur. Strom gibt es keinen, schon den ganzen Tag. Ein Kind hat Geburtstag und andere Kinder singen ihm „Happy Birthday“, eins weint. Alle Fassaden sind kaputt, manches wird wieder aufgebaut. An den Löchern in der Straße vorbei schleift ein alter Mann einen Besen. Drei Mädchen kommen aus einem dunklen Markt und füttern eine Katze mit ihren Eisverpackungen. Ein Hund läuft durch das hölzerne Treppenhaus. Man haust in orientalisch verzierten Häusern. Ein Mann steht auf dem Balkon. Wann hat er die Verzierungen zum letzten Mal bemerkt?

Flöhe belagern einen Teppich und vermehren sich in Scharen. Leute rufen, keiner lacht. Sie lernen verschiedene Sprachen, sprechen sie aber nicht. Heißes Schwefelwasser läuft aus den Bergen und wird in Banjas angeboten. Immer steht Gorgassali, der mit dem Wolfskopf, am Marktplatz und grüßt. In einem fünfstimmigen Chor wiederholen Frauen die Worte des Priesters bei der Trauung. Kommt zuerst ein Anruf oder geht zuerst das Licht wieder an? Die Liebe verändert sich, aber das Verständnis muss bleiben. Auf dass der Wunsch bleibt, nur diese eine Frau sehen zu wollen.

Selbst die Generatoren haben aufgehört zu rattern, ihnen fehlt Benzin. Kerzen sind verlässlich, eine Schusterkugel wäre gut. Unglaublich, wie anpassungsfähig das Ohr ist, lauter täglicher Lärm wird nicht mehr wahrgenommen. Das Hämmern des Tischlers ist nicht mehr da. Die Schreie der Kinder nicht, das Rufen der Namen nicht. Langsam wird es dunkel und kalt an der leeren Tafel. Die Reste der Feier, Geschirr, steht noch da, aufgereiht und gestapelt. Wasser gibt es, auch noch einen Rest warmes Wasser. Repariere eine Kerze.

Licht ist wieder da. Schnell, warmes Wasser, schnell Astor Piazolla. Ein Telefon klingelt, ob es meins ist, weiß ich nicht, alle klingen gleich. Henri (alles Gute):

Der Kühlschrank brummt wieder, es wird still. Sie gehen wieder in die Häuser. Die Leute rufen wieder nach ihnen. Essen wird vorbereitet, Löffel klappern. Für heute wird nicht mehr gehämmert, es ist zu klamm. Banjawetter. Chachawetter.

Leere Flaschen, überfahrene Plastikbehälter, Papierfetzen. Dazwischen seilhüpfende Kinder. Ein Teppich wird ausgeklopft. Ein Kind malt mit Kreide auf die Straße neben einer Kirche. Lastwagen werden angehalten und verfolgt, freitags, für das Kleingeld am Wochenende. Keiner zahlt. Ladas befahren die Straße, er wollte das Geld nicht, er war kein Taxifahrer, sondern ein Freund der Familie. Wie kann man Piazola nicht lieben? Wie wird einem verziehen?

Das Telefon klingelt und lädt ins abendliche Restaurant. Der Boiler wird noch nicht warn sein. Die nächste Viertelstunde wird vergehen und das tägliche Glück, die tägliche Hoffnung und Begierde wird eintreten. Das Glück hat viele Gesichter. Auf die glücklichen Momente, Minuten, wird getrunken! Die Erinnerung kann einem keiner nehmen! Im Guten und im Schlechten, das Paar bekommt zur Trauung Krone und Diadem aufgesetzt und leert eine Schale Wein. Es riecht stark nach Weihrauch. Die Plastikflaschen werden wieder mit Wasser gefüllt, wenn es das nächste Mal ausfällt. Würde man alles noch einmal genauso machen?

Die Sekunden fließen. Wieviel Uhr ist es? Weiß es nicht, habe nur auf den Sekundenzeiger geachtet. Werde ein Foto machen. Schön, die Tafel, aber wo sind die Gäste?

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