Miramar
von C.S. Strangelove (csstrangelove)

 

Auf dem Glockenhügel

Als Kaiser Max vor seine Henker trat, tat er dies, wie er gelebt hatte: mit einer großen Geste. Es war noch dunkel, als sich die kleine Prozession auf den Weg gemacht hatte. Früh, sehr früh hatten sie den Glockenhügel, den Cerro de las Campagnas, erklommen: eine Handvoll Bewaffneter und die drei Männer, die zu ihrem Richtplatz eskortiert wurden. Jetzt graute der Morgen; und so konnten die sieben Schützen das rote Taschentuch auf der Hemdbrust des Kaisers erkennen, das sein Herz markierte. Er trug Zivilkleidung – seine Uniform, wie alle Insignien seines Ranges und seiner Herkunft, hatte man ihm abgenommen. Doch auch ohne Epauletten und Orden war er eine Achtung gebietende und auffallende Erscheinung. Blond, hellhäutig, mit einem modischen Backenbart und klugen blauen Augen hatte er in diesem Land, in dem alles finster war trotz der gleißenden Sonne, immer seltsam deplaziert gewirkt… Wenn sich der Kaiser aufrichtete, überragte seine stattliche Gestalt die republikanischen Soldaten beinahe um zwei Köpfe. Und aufrecht trat er auf jeden von ihnen zu, blickte ihnen mit seinen wachen Augen in die sonnenverbrannten Gesichter und redete sie auf spanisch an. Jedem von ihnen übergab er eine Unze Gold in Münzen und sagte, indem er auf das rote Tuch wies: „Hier ist mein Herz. Zielt gut!“ Die Soldaten schlugen die Augen nieder. Keiner der sieben konnte dem Blick des Kaisers standhalten, obwohl weder eine Anklage noch die Bitte um Gnade darin lag. „Ich vergebe jedem!“ sagte der Kaiser. „So wie ich darum bete, dass mir vergeben werden wird; und dass mein Blut, das Ihr vergießt, Frieden bringen wird für Mexiko.“ Er war noch bleicher als sonst, denn die Ruhr hatte den Kaiser geschüttelt, während ein republikanisches Tribunal über ihn den Stab gebrochen hatte. So leuchtete das Gesicht des jungen Mannes vor den Schützen im kalten Frühlicht auf wie durch ein inneres Feuer. Sie hörten seine ruhige Stimme – „Lang lebe Mexiko!“ sagte er, als sei er auf einem Staatsempfang. „Lang lebe die Unabhängigkeit!“ – blickten verlegen zu Boden und starrten auf ihre staubigen Stiefel.
Ein Befehl ihres Kommandanten erlöste sie. Hörbar strafften sie sich, blickten auf und sahen den Kaiser einige Meter vor sich stehen. Der Bann war gebrochen. Über die Läufe ihrer Gewehre hinweg sah er aus wie so viele, die sie im Laufe ihres Söldnerlebens getötet hatten. Sie kniffen die Augen zu engen Schlitzen zusammen und zielten.

(à suivre…)

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