Unsichtbar
von Rutz Rische
Wie jeden Morgen quält er sich aus dem Bett. Steht im Stau. Flucht.
Geht durch lange Flure. Die Gesichter
im Neon-Licht wirken fahl.
Seine Kollegen sitzen bereits um den Tisch.
Zu spät.
Er nickt in die Runde, aus der keine
Reaktion kommt.
Setzt sich auf den kalten Fußboden.
Der Rücken lehnt an der Wand.
Da werden sie diskutiert.
Die wichtigen Themen dieser Welt.
Wieviel Ungeziefer kann der nackte Leib ertragen?
Ist es illegal, eine Putzfrau zu
beschäftigen.
Raumpflegerin. Korrigiert jemand.
Das Fleckchen Teppich wird allmählich warm.
Er sieht zu, dass er zumindest an den richtigen Stellen lacht
oder nickt, wenn es um ernstere Fragen des Hier und Jetzt geht.
Die Runde, in der sich alle freundschaftlich dutzen,
ist bei einem Politiker angekommen.
"Wie heißt der noch gleich?"
Die Frage steht im Raum.
Stirnen legen sich in Falten.
Er will gerade aufstehen und einen
Namen in die Runde werfen, so auf's
Geratewohl.
Doch die Runde, in der sich alle freundschaftlich dutzen,
ist längst bei einem anderen Thema angekommen.
Dann beginnt der Kampf um einen Arbeitsplatz, wo er wieder
stundenlang dumpf auf den
Bildschirm starren wird.
Aus dem Nebenzimmer kommt Gelächter.
Ein Neuling stellt großspurig sein neues
Projekt vor.
Die Phasen, in denen er gutmütig Neid empfand, hat er längst hinter sich.
"Wie geht's?" Fragt hin und wieder ein
Kollege. Es folgt obligatorisches
Kopfnicken.
Beim Austreten hat er sich angewöhnt, sich in die kleine Kabine
einzuschließen und leise auf den Beckenrand zu pinkeln.
Bloß nicht auffallen.
Auf dem Gang zurück zum Schreibtisch
beschäftigt drein zu blicken
und an den richtigen Stellen zu lachen.
In der Kantine den Blick starr auf die
Wand gerichtet, die niemals einstürzt,
egal wie oft er Anlauf genommen hat in der Vergangenheit.
Die Beulen sind längst verheilt und die
Schrammen am Ellbogen platzen nur noch selten auf.
Ein weiterer Strich in die Wand hineingeritzt.
Mit dem stumpfen Fingernagel.
Am Abend steigt er ins Auto.
Und löst sich vom Schopfe her ins Nichts auf.