ZELTFEE
von Peter Tilmann (sissi_fuss)

 

Erzählgedicht

Du warst noch Kind, da waren Deine Schritte
schon wie von ruhigem Wissen weich und klar.
O, daß Du wirklich kamst auf meine Bitte,
der ich doch nur Besuch bei Nachbarn war.

Du tratst, als ich Dich bat, gerad hervor
vom Kirschenpflücken hinter einem Baume;
mit Kirschenzwillingen an jedem Ohr
so kamst Du her, schön wie ein Bild im Traume.

"Schenkst Du mir einen?" fragte ich zum Necken.
"Ja, aber einen nur, und dann gib Ruh!"
Ich übertrieb, wie mir die Kirschen schmecken.
"So toll sind sie nun auch nicht", sagtest Du.

Fünf Jahre warst Du wohl, ich zehn dazu.
Doch ich erkannte dreizehn Jahre später
sogleich Dich wieder. Urlaub war's, und Du
suchtest, so war's, bei schwerem Regenwetter

Dir eilig Unterschlupf. Du sahst mein Zelt,
das einsam ich und ziemlich illegal
doch nah dem Wanderwege aufgestellt.
Willkommen war es Dir in diesem Fall.

Ich stotterte vom Schicksal und, wie süß
Du seist. Das Zelt war klein und wir so dicht
beisammen, daß mein Glück ich heimlich prieß,
und Du erkanntest mich, das sah ich, nicht.

Wir spielten manches, denn es regnete lange.
Zum Beispiel: Herkunft aus der Mundart Raten;
und ich gab leider nach dem üblen Drange,
angeberisch zu übertreiben. Taten

es nicht schon Landkreis, gar die Stadt? O, nein!
Den Stadtteil auch herausbekommen können,
das mußt wohl so zum Eindruck-Schinden sein.
Anstrengend war's, nicht auch die Straße nennen.

Und ein Erstaunen, lauernd vor Verdacht,
kam auf in Deinen ernsten schönen Zügen.
Deshalb hab ich's auch nicht dazu gebracht,
Dir als ein Abenteuer nahzuliegen,

deswegen war's dann auch ganz ohne Glut,
als Du "nun ja" gesagt zu meiner Bitte;
wohl mehr als Lohn für meinen Fragemut
oder aus Höflichkeit nach neuerer Sitte.

"Ja, aber einmal nur, und dann gib Ruh'".
Was war das für ein alt-vertrauter Klang?
Entzücken schnürte mir die Kehle zu
bei der Erinnerung Sirenensang.

Schon immer hat mich's allermeist berührt,
wenn Düfte, Stimmen, Bilder oder Worte
mich tief in die Vergangenheit entführt,
geöffnet der Erinnerung heilige Pforte.

Hab Dank, daß Du vermiedst, mir vorzuwerfen
das dauernde Bedankemich dafür,
daß Du - ich weiß, ich ging Dir auf die Nerven -
zum schönsten Lebensaugenblick die Tür

mir aufgetan, daß ich nichts Besseres wüßte.
"So toll war es nun auch nicht", sagtest Du zart.
O, Gott! Mir war, als ob ich sterben müßte.
Noch nie traf mich ein Wort so süß und hart.

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