Ein Mittsommernachts Date
von Carsten Maday

Kapitel
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Mein Name ist Mark. Ich bin dreißig, habe vor vier Wochen meinen Abschluss in VWL gemacht und habe ein Problem. Mein Alter ist nicht mein Problem, obwohl es mittlerweile doch recht hoch für einen Einstieg ins erfolgreiche Berufsleben geworden ist. Was soll´s. Hab mein Studium selbst finanziert und so was zieht sich ja bekanntlich in die Länge. Ich habe einen Job. In drei Wochen geht es los. Den Rest meines Lebens als Angestellter in einer Firma für Finanzberatung. Das ist allerdings auch nicht mein Problem, ich sollte wohl vielmehr glücklich darüber sein, überhaupt eine Stelle gefunden zu haben. Nein, mein Problem war nicht mein Job, es war mein Essen. Es neigte sich dem Ende zu.
Ich sah auf meinen Teller. Er war fast leer. Mein Glas mit der Cola ebenfalls. Der Moment der Offenbarung rückte unaufhaltsam näher.
>Willst Du noch etwas Trinken<, fragte ich Carola, meine Ex-Freundin, und fügte hoffnungsvoll hinzu: >Oder vielleicht einen Nachtisch?<
>Nein, Danke<, sagte Carola. Sie sah toll aus, stellte ich missmutig fest. Sie hatte sich etwas geschönt, zu wenig um verdächtig zu erscheinen, zu viel um unschuldig zu sein. Gerne hätte ich geglaubt, sie wolle mich quälen, so als wolle sie mir sagen: „Das alles hättest du haben können.“ Aber die schlichte Wahrheit war, dass sie sich nicht für mich, sondern für ihre Verabredung nach mir geschönt hatte. Darauf deutete bereits der Zeitpunkt unseres Treffens hin. Vorabend. Nein, ein abendfüllendes Programm war ich wohl schon lange nicht mehr.
Ich schnitt langsam ein sehr kleines Stück von der Pizza ab, führte es zum Mund und kaute bedachtsam. Ich sah mich um. Es war ein lauer Sommerabend. Wir saßen auf der Terrasse einer Pizzeria, genossen die nahende Abkühlung von der Hitze des Tages. Es war Samstagabend, noch früh. Wenig andere Gäste saßen hier. Ein dickes Mädchen mit ihrem dicken Freund, die ihre dicken Hände hielten und sich verliebt ansahen. Die werden ´s auch noch lernen, dachte ich bitter und schämte mich, weil die beiden eigentlich ganz nett wirkten.
Zwei Männer saßen einige Tische weiter, rauchten, tranken Bier aus großen Gläsern und lachten. Am Tisch neben uns saß eine junge Frau, vielleicht in meinem Alter, blond mit Krähenfüßen um die Augen, als habe sie zu lange in die Sonne geblinzelt. Sie war allein, blickte verschämt auf ihr Essen, als sie meinem Blick begegnete.
Ich sah Carola an. Jetzt kam das, was wir beide wussten, fürchteten und nicht wollten, worauf all die nichts sagende Konversation beim Essen hinausgeführt hatte:
>Weißt du, ich vermisse Dich, Carola. Ich liebe Dich noch immer...<
Sie sah mich an mit einer Mischung aus Mitleid und Abscheu.
>Ach Mark...<
Was mache ich hier eigentlich, dachte ich. Was? Warum? Was geht mit mir vor? Etwas ist nicht in Ordnung mit mir. Ich hatte viel nachgedacht über mich selbst. Das war etwas, worin ich nicht besonders geübt war. All das Widersprüchliche meiner Überlegungen führte zu nichts Konkretem außer der beängstigenden Gewissheit, dass mit mir etwas nicht in Ordnung war.
Meine Beziehung zu Carola hatte beinahe zwei Jahre gedauert. Ich fand diese Beziehung gut, bequem und, wie meine Überlegungen leider zu Tage gebracht hatten, zu tiefst oberflächlich. Carola hatte mich betrogen. Sie fühlte sich vernachlässigt. Das war sie auch, musste ich ehrlicherweise zugeben. Ich hatte sie als selbstverständlich erachtet. Auch ich hatte schon einmal jemanden betrogen, die Frau vor Carola und zwar mit Carola. Vielleicht einfach nur die gerechte Strafe? Aber dass sie mich mit meinem Freund und Squashpartner Jens hintergehen musste, war schon besonders niederträchtig. Jetzt konnte ich noch nicht einmal mehr meine überschüssigen Hormone beim Squash abbauen. Jens, du Hund!
Das ganze war vor sechs Monaten geschehen, und zu meinem Entsetzen und Unverständnis konnte ich Carola nicht vergessen, schlimmer noch, ich hatte sie gar zwei Mal unter Tränen angefleht zu mir zurück zu kommen. Geheult wie ein Schlosshund hatte ich. Sehr verwirrend, beschämend und genüsslich zugleich. Rolf, mein langjähriger WG-Gefährte, machte sich ernsthafte Sorgen und überredete mich schließlich zu einem Urlaub. Endlich mal machen, woran mich die elenden Fesseln meiner Beziehung immer gehindert haben!
In einem namenlosem Gebirge jenseits des Polarkreises in Norwegen hockte ich also unversehens in meinem sturmsicheren (von wegen) Zelt, dachte darüber nach, ob die Rentiere, die mich Eindringling in ihr Reich argwöhnisch beäugten, wirklich friedlich waren und stellte fest, dass ich allein war. Hier, in der Leere des Gebirges sah ich endlich die Einsamkeit, die ich stets unter Menschen fühlte, weil irgendetwas, vielleicht ich selbst, mich von ihnen abhielt. Wie der Nebel, der Nachts von den dunklen Hängen zu meinem Zelt kroch, schlich sich die Erkenntnis in meinen Geist, dass ich einsam war, einsam und leer.
Ich war zufrieden. Nach zwei Wochen der Selbstgespräche und der Lektüre von Golo Manns „Wallenstein“ kehrte ich in die Zivilisation zurück. Ich war nun weise und geläutert und rief kaum zu Hause angekommen Carola an, was gleichsam erstaunlich wie niederschmetternd war. Warum ich es tat? Ich spürte wie die Wahrheit mit den Tränen in mir herauf quoll. Ich brauchte Carola. Nicht, weil sie die Leere ausfüllen konnte, sondern weil sie mich die Leere vergessen machen konnte.
Ich hielt meine Tränen erfolgreich zurück. Der Moment der Selbsterkenntnis hatte meine Konzentration getrübt. Ich hörte Carola reden und es dauerte einen Augenblick, ehe ich verstand:
>...wir haben es doch schon x-Mal durchgekaut, Mark. Wir passen einfach nicht zusammen. Dein ewiger Zynismus macht einen krank. Du kannst überhaupt keine Gefühle zeigen. Die ganze Zeit über nicht. Jetzt ist es zu spät. Du bist ein emotionales Entwicklungsland, Mark.<
>Hä? Ich bin ein Entwicklungsland?<, wunderte ich mich. Was redete die Frau eigentlich? >Klar bin ich ein Entwicklungsland. Die werden ja auch von vorne bis hinten beschissen<, platzte mein Trotz aus mir heraus.
Ich hörte es von Tisch nebenan lachen. Verwirrt sah ich die blonde Frau mit hochrotem Kopf zu Boden schauen.
>Ich glaube, ich gehe jetzt besser<, sagte Carola.
>Nein, bitte, bleib, es tut mir leid.< Es schrie in mir auf. Jetzt entschuldigst du dich auch noch. Nein, gellte der Trotz in mir. Weg hier! Sofort!
>Komm doch zu mir zurück<, sagte ich statt dessen, ungläubig die eigenen Worte bestaunend. Vielleicht muss man ja den Kelch der Demütigung zur Gänze leeren, ehe man ihn erneut mit etwas anderem füllen kann, dachte ich und spürte gleich, dass keine noch so blumige Metapher meinen gerade verendeten Stolz wiederbeleben konnte.
>Mark. Versteh doch. Es ist aus.<
Carola nahm meine Hand und blickte mir in die Augen, die feucht waren und bald laufen würden wie meine Nase. Die Tränen galten wohl eher meiner gerade verblichenen Würde als der Liebe zu Carola. Um ehrlich zu sein, hielt sich die Zuneigung zu ihr in diesem Moment stark in Grenzen und liebevolle Bezeichnungen für sie lagen mir auch nicht auf der Zunge.
>Du musst einfach loslassen, Mark. Warum sucht du nicht jemanden, der besser zu Dir passt?<
Der Trotz riss die Hand fort, fingerte nach der Brieftasche und knallte einen Fünfziger auf den Tisch.
>Gut<, sagte ich düster, schniefte mannhaft den Rotz hoch, stand auf und ging zu dem Nachbartisch. Die junge Frau sah entsetzt, wie ich auf sie zu hielt. Ich trat vor sie und versuchte möglichst wenig wie ein entsprungener Axtmörder mit Nervenzusammenbruch zu wirken.
>Hallo. Meine Name ist Mark. Haben sie vielleicht Lust mit mir etwas trinken oder einfach durch den Abend spazieren zu gehen?< Oh Gott, heulte es in mir auf. Diesen Abend werde ich nie wieder vergessen können!
Die Frau sah mich an. Die Furcht wich einem Erstaunen, schließlich einem Überlegen. Sie griff ihr halbvolles Rotweinglas, leerte es in einem Zug und erhob sich.
>Gut<, sagte sie laut und blickte kurz zu Carola ehe sie mich ansah. >Gehen wir.<

Sie sah auf den Fluss, der mit trügerischer Langsamkeit zu ihren Flüssen dahinströmte. Ein schwerbeladenes Containerschiff kämpfte sich mühsam gegen die Strömung voran. Nur die Positionslichter und der grüne Schein hinter den Brückenfenstern verriet, dass dort jemand an Bord war. Es war dunkel geworden. Der Wald auf der anderen Seite des Flusses lag düster und friedlich da. Die Kante der Baumwipfel hob sich schwarz von dem Himmel ab, in dem das letzte Glimmen der Sonne in den nächtlichen Beleuchtungsschein der Stadt überging.
Ich beobachtete sie, merkte, dass ich beobachtete und sah verlegen auf den Fluss hinaus. Ich wurde nervös. Das erste Mal seit ich mit ihr zusammen war.

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