Die Saga von Gertrude Heldenbrust
von Carsten Maday

Kapitel
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Jagd aufs Bernsteinzimmer

Mir gefiel Gertrude sofort. Ich mochte ihre Zöpfe.
Außerdem brauchte ich einen Zwerg.

Eriella vom Hohensee.
De rebus gestis Gertrudis pectoris fortissimi, Kap. 1.


Sie war schön, dass muss ich schon zugeben. Selbst auf mich verfehlte ihr Anblick seine Wirkung nicht, und ich bin ein Zwerg und eine Frau. So waren sie, die Alben, magische Wesen, deren Schönheit selbst das erkaltetste Herz sich nach der Liebe sehen ließ.
Sie saß hier mitten unter den Menschen, so als wäre es dass natürlichste auf der Welt, doch das war es nicht, wandten sich doch alle Blicke ihr zu, meiner auch. Hier und da fasste sich ein roher Geselle ein Herz und versuchte sein Glück. Sie lächelte entschuldigend, sagte etwas, was man im Lärm der Kneipe nicht verstand, und widmete sich wieder dem, was sie bereits die ganze Zeit getan hatte. Sie wartete.
Ich wandte meinen Blick fort von ihr, hin zum Krug mit Bier, der vor mir stand. Ich seufzte. Alben. Ich mochte sie nicht sonderlich, auch die Lichtalben nicht, denn es waren leichtfertige Geschöpfte, die den ganzen Tag nichts besseres zu tun hatten, als zu singen und zu tanzen, was ja mehr als verdächtig ist. Von denen hätte doch keiner ´ne Doppelschicht in der Grube durchgestanden. Dennoch rührte auch mich ihr Anblick an, dass sich mein Herz regte und ich seufzend den Schaum von meinem Bier blies und an die Liebe dachte, für die ich das Leben einer Heldin gewählt hatte.
Zugegeben, der Entschluss Heldin zu werden war noch recht frisch und etwas unfreiwillig, und die Liebe. für die ich ausgezogen bin, war eher hypothetischer Art. Aber das würde schon werden, dachte ich, trank einen Schluck vom warmen Bier und träumte von meinem zukünftigen Gemahl.

Ich heiße Gertrude Heldenbrust. Meine Vater ist Gorm Heldenbrust und meine Mutter ist Helga Heldenbrust. Ich habe zwei Schwestern, die Heldenbrüste Gyde und Lefke. Drei Kinder sind für Zwergeneheleute reichlich viel, denn wir leben lange, bekommen aber nur selten Kinder. Mein Vater war ein armer Zwerg und litt schwer unter Ängsten die er vom letzten Trollkrieg her hatte. Davon sprach er selten und wenn, dann lachte er und tat, als wenn´s nicht so schlimm gewesen wäre. Schlimm war´s aber schon, denn mein Vater litt unter Stollenangst. Sobald es eng wurde, fing er schwer an zu zittern und war zu nichts mehr zu gebrauchen. Der Alte Grim hat´s mir mal erzählt. Der war mit meinem Vater im Krieg. Ihre Einheit wurde von den Trollen eingekesselt und endlich aufgerieben. Vater und Grim gingen in Gefangenschaft, was bei den Trollen wenig lustig und meist von nur kurzer Dauer war. Man trieb wohl manch bösen Scherz mit den Gefangenen, bis alle tot waren außer Grim, meinem Vater und einem weiteren Zwerg. Irgendwie haben sie es dann geschafft zu entkommen, mit ´ner ganzen Meute Trollen auf den Fersen. Weiß noch, wie´s mir Grim erzählt hat, damals, als er mit offenem Bauch auf sein Ende wartete.
>Und, Gertrude<, fragte mich Grim da, >was hast du aus der Geschichte gelernt?<
>Dass man die Hoffnung nicht aufgeben darf, weil es immer einen Ausweg gibt?<
>Ähm, ja, das natürlich auch, Gertrude, aber vor allem solltest du daraus lernen, Gefangenen immer ein oder zwei Beine zu brechen. Selbst wenn sie dann abhauen , kann man sie bequem einholen.<
Ich fand dies einen sehr klugen Rat, an den ich mich immer gehalten habe und stets gut damit gefahren bin.
Mein Vater also vertrug keine engen Gänge mehr, was als Zwerg sehr ungünstig war. Er arbeitete seitdem überirdisch in einem Wasserwerk. Das war keine angesehene Arbeit und brachte wenig ein. Wenig Glück hatte mein Vater auch mit seinen Kindern. Wir waren ja alle Mädchen und die kosteten nur, weil die Brauteltern für die Mitgift aufzukommen hatten. Ich war die älteste Tochter und hielt es für meine Pflicht etwas zum Unterhalt der Familie beizutragen, auch wenn ich nur ein schwaches Mädchen war. Ab meinem zwanzigsten Lebensjahr arbeitete ich in der Grube. Das machte ich bis vor einem Monat. Ich bin jetzt fünfundsechzig.
Ich arbeitete hart, denn meine armen Eltern taten mir leid, so geschlagen wie sie mit drei Mädchen waren. Ich wusste ja, es war nicht für immer, weil man ja früher oder später meine Heirat arrangieren würde. Darauf freute ich mich sehr. So verging die Zeit und ich wurde sechzig. Da kam endlich ein strammer junger Zwerg zu meinem Vater, um um die Hand seiner Tochter zu werben. Leider war es nicht meine Hand sondern die von Gyde. Ich freute mich sehr für meine Schwester, aber etwas enttäuscht war ich schon. So recht verstehen konnte ich es auch nicht, weil Gyde doch so ein zierliches Ding war und viel zu zerbrechlich. Aber ich fügt mich in mein Schicksal, arbeitete Doppelschicht, weil ja Geld für die Aussteuer her musste. Es wurde eine schöne Hochzeit. Nach ein paar Jahren kam ein zweiter Bewerber, doch wollte der meine Schwester Lefke. Das fand ich nun doch seltsam und so beschloss ich nach Lefkes Heirat ein offenes Wort an meine Eltern zu richten.
>Mutter, Vater. Ich will endlich heiraten. So sieht´s aus.<
Da sahen sich die beiden verlegen an. Endlich sprach meine Mutter.
>Süße, dein Vater und ich haben uns immer vor diesem Tag gefürchtet, aber... nun ist er hier. Vierzig Jahre wie im Flug vergangen.<
>So viele Jahre<, murmelte mein Vater. >Kind, du weißt, ich bin ein armer Mann. Und das liegt nicht nur an meinen Ängsten vom Kriege her...<
>Ich weißt doch, Vater. Drei Töchter sind zuviel.<
>Und doch möchte ich keine weniger haben<, sagte mein Vater da und ich freute mich sehr darüber.
>Gertrude, so eine Mitgift ist eine kostspielige Sache. Gyde und Lefke konnte ich nur verheiraten, weil ihre Bewerber bereit waren, sich mit einer sehr kleinen Mitgift zufrieden zu geben, verstehst du. Sie lieben deine Schwestern nämlich sehr.<
>Das ist fein. So einen Mann will ich auch<, sagte ich da freudig.
>Da liegt das Problem<, meinte meine Mutter. >Es gibt keinen Bewerber für dich.<
Das war ein Schock. >Warum nicht<, frage ich den Tränen nahe. >Gyde und Lefke sind doch nur hübsch anzusehen, wohingegen ich ordentlich anpacken kann. Ich schaff was weg in ´ner Doppelschicht. Kannste alle fragen.<
>Ja, Kind, ich weiß, das ist es ja. Manche Männer mögen doch eher zarte Frauen, die sie beschützen können, die schwach sind.<
>Aber ich BIN schwach. Letzte Woche erst bin ich doch vor Erschöpfung umgefallen. Das nenn ich schwach, was?<
>Ja, aber nachdem du zuvor zwei wochenlang Doppelschicht gefahren bist. Das ist nicht mehr normal, Gertrude. Sieh dich doch an, deine Arme und Schultern. Du bist so stark, du machst den Männern Angst.<
>Aber du bist doch auch stark, Mutter. Hast mir selbst erzählt, wie du damals zwei Trolle erschlagen hast.<
>Damals war Krieg und sie sind durchgebrochen und waren überall in der Grube. Wir Frauen haben auch gekämpft, das ist richtig, aber ich frage mich, ob es klug war, dir davon zu erzählen und auch von den alten Heldengeschichten. Ich habe mich verteidigt bis die Trolle vertrieben waren, aber ich bin ihnen nicht gefolgt und habe ihnen wochenlang in ihren Höhlen nachgestellt, bis sie halb wahnsinnig waren vor Angst.<
>Aber sie haben Grim getötet, Mutter. Ich musste doch etwas tun. Ihnen zu folgen und einen nach dem anderen umzubringen schien mir ein guter Plan...<
>Der dir diese hübsche Narbe im Gesicht eingehandelt hat, Kind. Die Götter wissen, dass dein Vater und ich dich lieben und du die Güte in Person bist, aber einmal muss es gesagt werden: du bist keine Schönheit, Gertrude. Es werden keine Bewerber kommen, Kind, selbst wenn wir eine höhere Mitgift bieten würden, als wir es uns leisten können.<
Das waren klare Worte. Dafür dankte ich meinen Eltern. Ich ging in mein Zimmer, packte meine Sachen. Ich verabschiedete mich von meinen Eltern, Geschwistern und Schwägern. Sie weinten sehr. Dann ging ich. Zum Abschied besuchte ich das Grab vom alten Grim. Danach verließ ich die Grube. Ich beschloss ein Leben als Abenteurer einzuschlagen um genug Ruhm und Gold zu erlangen, um mir selbst einen Gemahl zu kaufen. Einen stattlichen wenn´s ging.

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