Tränen der Jugend
von Alfred van Dunching (vandunching)

 

Ein kalter Herbstabend. Braune Blätter fallen von den Bäumen und sie fällt aus ihrem Bett. Kein einfacher Tag, er hat auch nicht gut angefangen. Nach Stunden der Unruhe hält sie nichts mehr vom kalten Parkettboden fern. Ihre Augen schielen auf die Reflexionen des Lichts der untergehenden Sonne am Parkettlack. Das Bild wird wieder verschwommen, Schlieren lassen die Spiegelungen zu meerartigem Tanz erwachen. Ein Spiel wie Ebbe und Flut, nur mit immer kürzer werdendem Zyklus. Sie blinzelt nicht, wozu auch? Mit kaum geöffneten Augen starrt sie ein Fraktal an, das kaum noch an die wirkliche Welt erinnert. Ihr metastabiler Zustand scheint gerade ein Ende zu finden.
Schmerz durchfährt ihren Kopf, der unangespannt auf dem harten Boden aufliegt. Deutlich spürt sie, wie ihre Knochen durch die schier unendlich starke Schwerkraft ihre Haut zerdrücken. Warum sie? Nein eigentlich müsste die Frage lauten: "Warum immer sie?". Sie erhebt ihren Blick, schafft es bis zur Kante ihres Bettes, eine Antwort bleibt diese ihr allerdings schuldig. Gott hat sie längst vergessen. Früher wäre an dieser Stelle ein stummes Stoßgebet gekommen, heute reicht es nur noch für ein leises Schluchzen, mit dem sie ihren Blick wieder zum Boden richtet.
Die Reflexionen auf dem Lack sind nun verschwunden, ihr Zimmer erscheint ihr dunkler. Die dunkelgrauen Wolken, die seit einiger Zeit am Himmel hingen, scheinen nun über ihr zu sein. Mühsam erhebt sie ihren Kopf, um ein klopfendes Geräusch über ihr zu identifizieren. Von den kahl werdenden Bäumen in ihrem Garten sieht sie Regentropfen fallen. Sie denkt zurück an vergangene Tage, es war mal besser, die Sonne schien für sie allerdings nie. Aber die Kraft der Verdrängung machte ihr Leben halbwegs erträglich. Doch nun scheint alles zusammenzubrechen, diese trügerische Kraft verlässt sie. Wie vom Regen verwaschen weicht die verniedlichte Retrospektive wieder und macht Platz für die unangenehme Realität. Ein Blitz erhellt kurz die hereinbrechende Nacht, sein Donnern durchdringt ihr Herz. Sie kneift ihre Augen und ein weiterer Tränenschub bahnt sich über ihr verwischtes Makeup seinen Weg zum Boden.
Eigentlich war sie doch ein ganz normales Mädchen. Sie hatte ihre Eigenarten, doch war sie damit nicht alleine. Aus welchem Grund die Anderen gerade mit ihren Besonderheiten nie zurechtkamen, ist etwas, was sie sich oft fragte, bis es irgendwann zur rhetorischen Frage wurde. Sie beschloss, auch nun nicht mehr darüber nachzudenken. Vielleicht war das ja gerade ihr Fehler?
Ihre Tränenflüssigkeit scheint nun zuneige zu gehen. Nein, eigentlich will sie nun nicht mehr weinen. Erschöpft fasst sie den Entschluss, nun damit aufzuhören die Schuld bei sich selbst zu suchen und denkt noch einmal nach. Ja, sie ist anders als ihre Freunde, doch genau so gefällt sie sich eigentlich. Stolz macht sich in ihr breit. Sie trocknet ihre Tränen und legt sich wieder auf ihr Bett. Nichts muss sie mehr verdrängen. Einige Minuten später lässt ein völlig neues Gefühl sie ruhig in der Stille, die der nun abgezogene Regen zurück lässt, einschlafen. Sie träumt von neuem Lebensmut, die alten Zeiten sind vergessen. Morgen ist ihr 18ter Geburtstag.

Alfred van Dunching

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