Glück
von Roman Biewer

 

Natürlich komme ich irgendwann mal drüber weg. Obwohl: Über so etwas kommt man niemals ganz drüber weg. Etwas stirbt, aber der Tod dieser Sache verleiht einem wohl künftig die Kraft, besser in dieser Welt und in seinem Leben bestehen zu können. Schau dich um: Überall gekränkte und verletzte Seelen, bei denen irgendwann mal durch irgendeine Sache irgendwas gestorben ist, und auch du bist eine dieser gekränkten Seelen, die deshalb nicht mehr in der Lage sind, den Glückspfennig, der plötzlich auf der Straße liegt, als solchen zu erkennen und ihn in ihre Tasche zu stecken, auf daß er irgendwann durch ein Loch in dieser Tasche den Weg bis ins Herz findet. Aus irgendeinem Grund hält man diesen Glückspfennig, den man auf der Straße erblickt hat, für einen widerlichen Käfer, obwohl man ihn aufgehoben und ihn sich ganz genau angeschaut hat, und er eigentlich auch wie ein Glückspfennig ausgesehen hat - kein Schimmer von widerwärtiger Käferhaftigkeit! - und man schmeißt ihn voller Abscheu von sich. Doch damit nicht genug! Das, was in einem gestorben ist, ist vielleicht doch noch nicht ganz tot - nein! - und dieses Halbtote war es aber, was diesen Glückpfennig direkt als solchen erkannt hätte, und in einem letzten Aufbäumen schreit es noch: "Nicht! Es war dein Glückspfennig, dein ganz persönlicher!". Doch dieser Aufschrei war bereits zu leise und kraftlos, ganz von erlöschender Lebenskraft geprägt, und doch hat man etwas gehört, man blickt verwundert auf, hat es nicht ganz verstanden, aber man springt noch einmal hinterher, um sicherheitshalber noch mal nach dem häßlichen Getier zu sehen, ob es nicht vielleicht doch was anderes war. Und dann findet man es: Es liegt da, leidend, blutend und auf dem Rücken liegend, während es sich durch den harten Aufprall, der dem Wegwerfen folgte, alles gebrochen hat. Man hebt es auf, hat Mitleid mit ihm, blinzelt und sieht noch einmal genau hin, ob es sich nicht doch um etwas anderes als etwas Schäbiges handelt, irgendwie war doch da vorhin was. Und man schaut hin, und nein, man hat sich nicht getäuscht, es ist wirklich nur ein grauenvolles Insekt, und jetzt läuft einem noch die bräunliche Flüssigkeit über die Hand, weil diese Biester sogar noch zu niedrig sind, um Blut in ihren Adern - ach was! Noch nicht einmal Adern haben sie! - in sich zu haben. In einem erneuten Aufschrei von Ekel, dieses Mal noch heftiger als zuvor - man wird sich nun Hände waschen müssen, und das ist ja wohl das Letzte! Wegen so einem Viech! - wirft man dieses Ding wieder weg, aber man läuft ihm wieder hinterher, man findet es, und wieder denkt man kurz: "ist das nicht doch etwas anderes?", aber nein, jetzt reicht es. Man tritt drauf, es knirscht ein wenig, Igitt!, das ist einem jetzt aber doch etwas unangenehm, aber mein Gott, war ja schließlich nur ein Viech, und manche sind ja doch gar zu widerlich! Wie gut, daß man noch einen Schauer verspürt hat! Leute, die völlig ohne Skrupel und quasi aus Zeitvertreib solche Tiere töten, sind natürlich völlig indiskutabel!

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