TV-Leap: Machistes größter Kampf
von Carsten Maday

Kapitel
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Es war eine dieser regnerischen Nächte und ich saß im >Mike´s<. Ich hielt mich bereits zur Sicherheit mit einer Hand an der Theke fest, derweil ich mich auf dem Barhocker nach hinten drehte und durch das große Fenster, das zur Strasse zeigte, in die anbrechende Dunkelheit starrte. Es war noch früh, aber der Winter nahte und mit ihm die lange Dunkelheit.
>Yeah<, dachte ich. >Die Lange Dunkelheit.< Ich kicherte in mich hinein. Wenn das mal kein schöner Titel für meinen nächsten Fall war.
Ich hielt gekonnt die Zigarette und das Glas mit meinen Highball in einer Hand und tat von beiden einen guten Zug, während ich mir das Treiben auf der Strasse besah. Automobile fuhren mit gleißenden Scheinwerfern durch knöcheltiefes Wasser, bespritzten Passanten auf den Gehsteigen mit den dreckigen Abwasser der Strasse. Ist das endlich der große Regen, der durch die Strassen...? Blablabla und noch mehr Bla. Ich wandte meinen bereits eingeengten Blick fort von den Menschen draußen, die mit Zeitungen über ihren Köpfen durch den Regen huschten und ihm dennoch nicht entkommen konnten.
Ich las den Schriftzug auf dem Fenster, der nach Außen gewand und für mich spiegelverkehrt war. >Mike´s Bar und Nachtclub< stand dort. Ich lächelte, nicht weil das >Mike´s< wenig von einem Nachtclub hatte, sondern weil es mich an etwas erinnerte, was ich schon seit geraumer Zeit und Drinks versucht hatte, Mike zu erklären.
>Mit der Beschriftung auf deinem Fenster verhält es sich wie mit Schauspielern.<
Ein lahmes >Aha< versicherte mir, dass mein Zuhörer vielleicht nicht sonderlich interessiert, aber zumindest noch anwesend war.
Ich drehte mich um, leerte mein Glas und sah Mike an, den Barkeeper und Besitzer des Ladens, der rollengerecht hinter der Theke stand und Gläser mit einem Tuch abtrocknete.
>Noch einen<, sagte ich, drückte die Zigarette aus und fingerte eine neue aus der bereits halbleeren Packung.
>Meinst du nicht, dass du bereits genug hast, Leo?<, gab Mike halbherzig zu bedenken.
>In dem Zustand habe ich dich noch nie gesehen.<
>Natürlich hast du das noch nie. Na los, Mike. Der Welt immer einen Drink voraus.< Ich lächelte ihm ermutigend zu.
>Heute hast du bereits einen Vorsprung von zehn<, brummte Mike widerwillig, mixte mir aber dennoch einen Drink.
Sich um fünf Uhr Nachmittags vollaufen zu lassen, war schon reichlich unprofessionell, obwohl man von einem Privatdetektiv sicherlich einen gewissen Alkoholpegel erwartete. Aber was soll´s? Es warteten keine Fälle auf mich und das war nie ein gutes Zeichen. Ehe ich mich in der Unvermeidliche fügen musste, wollte ich mir noch ein paar schöne Stunden machen.
>Wo waren wir noch stehen geblieben<, fragte ich Mike, der mir den fertigen Drink hinstellte.
>Du hast irgendwas von dem Fenster und Schauspielern erzählt.<
Jetzt fiel es mir wieder ein. Mike würde mir zwar ohnehin nicht glauben, aber mein Alkoholspiegel war hoch genug, so dass es mir egal war. Außerdem war er Barkeeper und somit von Berufswegen verpflichtet, sich das Gewäsch Betrunkener anzuhören.
>Genau, Mike. Das Fenster. Also die Beschriftung „Mike´s Bar und Nachtclub“, die kann ich gar nicht lesen, Mike, weil sie ja spiegelverkehrt ist.<
>Aber du hast doch gerade...<, protestierte Mike, aber ich unterbrach ihn mit einer fahrigen Bewegung meiner kippenbewehrten Hand und ließ ihn an meinem alkoholgeborenen Scharfsinn teilhaben.
>Schon klar, Mike. Also, wenn ich nicht schon zehn Drinks intus und einen Tunnelblick hätte, dann könnte ich die Spiegelschrift natürlich lesen. Völlig klar. Bin ja Privatdetektiv. Hab sogar einen Ausweis. Mal sehen?< Ich fingerte einige Zeit in den Tiefen meines Anzuges, ehe es Mike gelang, mir zu versichern, dass er mir auch so glaubte.
>Gut<, sagte ich. >Also, woher weiß ich dann, was auf dem Fenster steht?<
>Du weist es eben, Leo<, sagte Mike. >du warst schon tausend mal hier und längst nicht so voll, wie heute. Was soll denn sonst drauf stehen?<
>Genau<, rief ich erfreut. >Genau das ist es. Ich kann´s nur erkennen, weil ich weiß, was es ist. Und so verhält es sich auch mit Schauspielern. Bei den meisten erkennt man doch nur aus dem Kontext heraus, was sie darzustellen versuchen, und der Zuschauer erkennt es nur, weil er weiß, welche Gefühle oder Reaktionen zu einer bestimmten Szene gehören. Die verschiedenen Rollen in einem Film unterstützen sich natürlich auch dabei.<
>Rollen?<, hakte Mike ohne großes Interesse nach.
>Ja, Rollen. In Filmen, Mike. Hauptrollen, Nebenrollen usw.<
>Klar<, sagte Mike und trocknete unverdrossen weiter seine Gläser ab (es war müßig zu fragen, wo all die schmutzigen Gläser herkamen. Ich war der einzige Gast und so viel und so schnell trank ich nun auch nicht).
>Also, Nebenrollen, Mike, die sind schlimm...< Ehe ich weitererzählen konnte, hörte ich hinter mir die Tür. Ich warf einen Blick in den Spiegel, der leicht nach unten geneigt an der Wand hinter der Theke hing, und sah darin den Saum eines Trenchcoats, unter dem sich ein paar teuere Damenschuhe zeigten, die es auf wundersame Weise geschafft hatten, nicht vom Dreck des Regens besudelt zu werden.
Der Trenchcoat öffnete sich, als sein Träger ihn auf dem Garderobenständer ablegte, und es zeigte sich mir das längste Paar Beine meines Lebens. Beine, so lang und makellos geschwungen wie jene Küstenstrasse im Westen, über die ich als Jugendlicher mit dem Automobil gefahren bin: endlos führte sie an der Pazifikküste entlang, bis man schließlich zu einem prächtigen, bewaldeten Hügel kam, wo man sein Auto einparkte und den Gott einen guten Mann sein ließ.
Die Beine kamen näher und näher, zeigten mehr und mehr von dem Klassekörper, den sie tragen durften. Ehe ich das Gesicht der Frau im Spiegel sehen konnte, schob sich Mike zwischen mich und den Spiegel. Normaler Weise hätte ich mich jetzt umgedreht, aber nicht heute, denn es war mir noch egal und ich wusste ohnehin, wen sie suchte.
Ich hörte, wie die Frau einen Schritt hinter mir stehen blieb und mit ihrer wohltönenden, dunklen Stimme die Worte mehr hauchte, als dass sie sie sagte:
>Leonidas Brack?<
Ich drehte mich um, sah die Frau, groß, schlank, dunkelblondes Haar, herrliche Lippen, in denen Witz lag, Augen, die vor Intelligenz sprühten, und in denen doch Traurigkeit und Sorge lagen. Lauren Becall in ihren besten Zeiten also.
>Der bin ich<, sagte ich.
Sie lächelte schüchtern und seufzte, erleichtert, weil sie mich gefunden hatte, bekümmert, weil sie nun die Dinge würde aussprechen müssen, die sie zu mir geführt hatten.
>Mister Brack...<, begann sie, doch ich würgte sie ab.
>Setzt dich erst einmal, Dollface.< Das war natürlich ziemlich albern und sexistisch, was man mir aber nachsehen darf, da auch ich schon mehr als einmal eine Frau gewesen bin.
>Mike.< Ich schnippte mit den Fingern vor Mikes Gesicht, um seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Dem guten Mike hatte es glatt die Sprache verschlagen, so eine Lady in seinem Lokal sehen.
>Mach der Lady einen Drink, ja?<
>Klar<, sagte Mike. >Sofort, Leo.<
Ich schüttelte eine Zigarette aus der Packung und bot sie der Frau an, die sie natürlich damenhaft mit den Fingern und nicht mit den Lippen aus der Packung zog.
Ich gab ihr Feuer, wobei ich peinlicher Weise gestehen muss, dass die Flamme mehrmals an der Zigarettenspitze vorbei torkelte, weil der nachmittägliche Alkoholkonsum nicht ohne Spuren an mir vorbeigegangen war.
Nachdem sie ein paar Züge genommen hatte, machte sie einen erneuten Versuch, den ich abermals abwürgte.
>Einen Moment, Sweetheart<, sagte ich. >Ich bin gerne bereit deinen Fall zu übernehmen. Worum es sich auch immer handeln mag, ich höre es mir an. Aber zuvor möchte ich gerne noch die Geschichte beenden, die ich meinem Freund Mike erzählen wollte. Darfst gerne zuhören. Interessiert dich vielleicht auch.<
>Okay, Mister Brack<, sagte sie mit ihrer wohltönenden Stimme, dass ich beinahe mein Vorhaben aufgeben und mich in mein Schicksal fügen wollte.
Ich schüttelte den Zweifel aus meinem Kopf, stärkte mein Selbstvertrauen mit einem weiteren Schluck.
>Also, ihr werdet es mir vermutlich nicht glauben, was ich euch jetzt erzählen werde, dennoch werde ich es wagen, es euch zu berichten, mit der ganzen Inbrunst und Ernsthaftigkeit, die Betrunkenen inne wohnt, euren Zweifel, Spott und Einwändet ignorierend, bis ich geendet. Wohlan denn. Beginnen wir am Anfang. Mein Name ist nicht Leo Brack. Oh, das war leicht. Wie heiße ich dann? Das ist schwer. Ich habe viele Namen, viele Leben, offensichtlich aber kein eigenes. Ich wandle umher, bin unfrei. Die Welt ist eine Bühne, jeder spielt eine Rolle? Auf keinen trifft dies besser zu, als auf mich.

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