Das Zahlenuniversum
von Roman Biewer

 

Man kann ja alles berechnen. Aber wie ist das eigentlich: Wenn jetzt nicht irgend so ein superstudierter Ingenieur - ihr wißt schon, diese Typen, die, nur um irgendwann in der Lage zu sein, alles zu berechnen, bereit sind, ihr komplettes Leben der Mathematik und technischen Betrachtungsweisen zu opfern und auch mit 34 noch aussehen, als wenn sie morgens die Klamotten von ihrer Mutter herausgesucht bekommen, dazu blaß und schmalschultrig sind und wahrscheinlich noch nie Sex hatten, geschweige denn guten - wenn jetzt so einer also mal nicht hingeht, und, sagen wir mal, den Durchmesser der Nudel berechnet, die als letzte noch Verbliebene in dem Topf weilt, der nun neben mir steht, sich eben aber randvoll mit Nudeln zwecks Leerschaufeln noch in meinen Händen befand, wenn dieser Durchmesser nicht als Zahl ausgedrückt in dem Rechenheft eines solch unattraktiven Menschen stünde (obwohl: heute machen die ja auch schon alles mit Laptops), gäbe es diese Zahl dann überhaupt? Und wenn ja, wo stünde sie? Wenn ich's mir genau überlege, ließen sich allein in meinem nur 15qm großen Zimmer unvorstellbar viele (nennt man das "unendlich"?) Zahlen finden, wenn man nur wollte. Allein auf meinem Schreibtisch! Die Beziehungen, wie der Computermonitor, die schimmeligen Kaffeetassen, bereits erwähnter Topf mit der einen Nudel drin (warum habe ich die eigentlich nicht auch gegessen? - Ach ja stimmt, ich sagte mir: Friß nicht wieder alle, das ist viel zu viel!), die zahlreichen CD's und Blätter zueinander stehen, welchen Abstand sie zum Beispiel zueinander einnehmen, welchen Abstand die einzelnen Gegenstände zur Schreibtischkante rechts neben mir einnehmen: Alle diese Zahlen könnte man vermutlich ausrechnen, oder zumindest messen. Wobei wir ja wissen: Sowohl Messen wie Rechnen ist meist nur mit endlicher Genauigkeit möglich! Womit die Frage noch viel brennender wird: Gibt es diese Zahlen alle überhaupt, und wenn ja, wo? Und zwar die genauen, die echten, und nicht die angenäherten! Klar ist: Wenn es diesen Ort gibt, dann wäre der ganz schön oho, so groß wäre der! Denn alleine die meisten Zahlen wären ja schon unendlich lang hinterm Komma, von wegen Genauigkeit und so. Und dann gibt's ja alleine schon auf meinem Schreibtisch unendlich viele Zahlen. Glaubt ihr nicht? O doch! Wenn wir nämlich mit den ganzen Beziehungen der Sachen zueinander, wie ich oben schon angedeutet habe, noch nicht bei unendlich vielen Zahlen wären, dann wären wir es spätestens dann, wenn wir alle Atome zählen, aus denen die Sachen bestehen, oder zum Beispiel die Sägespäne, die in den Spanplatten des Schreibtisches sind usw. Wenn wir alles berücksichtigen, sind wir auf jeden Fall bei unendlich, soviel ist sicher! Und das war nur der Schreibtisch. Jetzt überleg' mal in der U-Bahn-Station. Wieder unendlich viele Zahlen! Und die Welt besteht ja nicht nur aus Schreibtisch und U-Bahn. Der größte zahlanhäufende Umstand fehlt dann aber noch: Die Zeit! Wenn ich jetzt einmal kräftig über meinen Schreibtisch wische und alles dadurch runterfege, dauert das vielleicht drei Sekunden. Diese drei Sekunden lassen sich in unendlich viele Teilintervalle zerlegen. In jedem einzelnen dieser Teilintervalle gibt es aber schon wieder unendlich viele neue Zahlen als Beschreibung des Zustandes meines Schreibtisches, weil sich zu dem Zeitabschnitt davor alles geändert hat. Unendlich mal unendlich! Ach was: Wahrscheinlich unendlich hoch unendlich vieler Zahlen!

Also, worauf ich hinauswill: Besser ihr entscheidet euch dafür, daß es diese Zahlen alle gar nicht gibt, denn wenn, dann gäbe es irgendwo einen riesigen Planeten, einen riesigen, unendlich großen Kosmos, der nur aus Beschreibungen von Existentem, existent Gewesenem und möglicherweise sogar später existent Werdendem besteht. Ein Universum aus Zahlen. Wie sieht so was aus? Sieht das überhaupt aus? Kann man das sehen? Schwer zu sagen, allerdings erscheint es unwahrscheinlich, daß bei dieser ohnehin fast unschaffbaren Aufgabenstellung ausgerechnet Wert auf Sichtbarkeit gelegt wird. Entsprechung durch Energie? Diese Energie würde zweifellos alles innerhalb eines unendlich kleinen Zeitintervalles zerstören, denn selbst wenn die einzelne Zahl fast keine Energie bräuchte: Bei soviel Zahlen trotzdem viel zu viel. Oder vielleicht doch, nämlich über Wärmeenergie! Jede Zahl findet ihre Entsprechung in einem Temperaturwert! Wie bitte? Dann wären wir genauso schnell bei unendlicher großer Hitze, die alles zerstören würde? Mitnichten! Es gibt nämlich annähernd genauso unendlich viele negative Zahlen wie positive. Und wenn nun die negativen einer negativen Temperatur und die positiven einer positiven Temperatur zugeordnet werden, und die Zahlen alle ziemlich nahe beieinander lägen, dann würde sich ja, wenn man nun eine größere Fläche betrachtet, die Temperatur im Mittel auf ein erträgliches Maß einfinden, und alle wären glücklich. "Vielleicht befindet sich ja dieses Zahlenuniversum inmitten von unserem, und weil sich diese Zahlentemperaturen im Mittel gegenseitig aufheben, merken wir gar nichts davon!" höre ich jetzt ein paar aufmerksame Leser ausrufen. Doch zu voreilig, denn: Auch diese Wärmetheorie hinkt, denn ins Negative geht's nicht weiter wie -273° Celsius oder so, und ins Positive geht's auch nicht ewig weit! Wie also zum Beispiel als Temperatur ausdrücken, daß der Neigungswinkel der David Bowie CD, die auf meinem Schreibtisch liegt (zwischen Schreibtisch und CD befindet sich eine alte Banane - für den, der sich fragt, wie denn da ein Neigungswinkel entstehen kann),
-312,22234° bezogen auf die Waagerechte der Schreibtischöberfläche beträgt? Geht das überhaupt? Was weiß ich, laßt mich in Ruhe mit eurem Scheiß! Egal, jedenfalls: Wärmetheorie futsch! Obwohl: Man kann ja alles in Zehnerpotenzen ausdrücken, bzw. alles über der höchsten Zahl in die Einheit miteinwursteln, dann würde es ja doch gehen! Z.B.: -312,22234° wären -0,31222234 Kilo°. Nun aber die alles entscheidende Frage, die übrigens schon an viel früherer Stelle wichtig gewesen wäre, aber auch dort schon vergessen wurde: Wenn es diese Zahlen, von denen ich die ganze Zeit spreche, gibt, dann gibt es auch die Einheit dazu, soviel ist sicher. Aber wo steht die denn jetzt? Fragt mich bloß nicht so was!

Jetzt kommt das bleichgesichtige Muttersöhnchen von oben wieder ins Spiel, der sagt jetzt nämlich: "Die Frage muß doch sein: Braucht man diese ganze Zahlen über deinen Schreibtisch? Man benötigt diese ganzen Zahlen doch nur, wenn man etwas anstellen will damit, etwas daraus machen will. Aber das ist doch gar nicht der Fall. Und Zahlen, die man nicht braucht, gibt es auch nicht!" Sag ich: "Moment mal, du kleiner bleichgesichtiger Zahlenhanswurst. Eines gestehe ich dir ja zu: Magst du mehr Ahnung von Zahlen haben, oder zumindest wie man damit umgeht. Aber von einem, der sich mit 34 immer noch von seiner Mutter einkleiden läßt, noch nie Sex hatte, geschweige denn guten, der außerdem noch immer nur in der Dusche wichst, von so einem lasse ich mir nicht erzählen, was Existenz ist! Denn gerade davon haben so Leute wie du überhaupt keine Ahnung!"

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