Liebe Doreen,
von maziar

 

Liebe Doreen,
seit einiger Zeit möchte ich dir schreiben, jedoch war ich in der letzten Zeit weniger bei mir, sondern eher da draußen irgendwo. Den Montag, Dienstag und Mittwoch verbrachte ich im Loft (eine Art Musikkneipe, wo drei Abende Jazz gespielt wurde. Nun bin ich ein wenig erschöpft, und das, obwohl ich bis nach 12 Uhr Mittags, über 12 Stunden geschlafen habe. Nun ist es etwa 5 Uhr am Nachmittag. Ein kalter, nasser, trüber Tag.. Ich sitze im Römerparkcafe´.
Die Cafe´s sind ganz unterschiedlich. Auch ein und dasselbe Cafe´ hat eine ganz andere Atmosphäre, je nach dem, wer und wie die Gäste und die Kellner sind, und viele drin sitzen, und wie sie drauf sind. Manchmal habe ich den Eindruck, daß bereits ein einzelner Mensch, einen ganzen Raum und die Menschen darin, stark beeinflussen kann. Das interessante ist zudem, daß die Menschen zwar alleine, zu zweit, oder in einer Gruppe da sitzen, aber eine subtile, non verbale Kommunikation, auch zwischen denen stattfindet, die rein zufällig im selben Cafe´ sitzen, und sich nicht näher kennen. Zum Beispiel erzählte gerade eine Frau, die am Nachbartisch sitzt, daß ihr, ihr Chef erzählte, sie brauche sich nicht zu schminken, da sie sehr schön sein. Ich mußte dabei schmunzeln. Obwohl dies ganz subtil geschah, wurde es auf dem Nachbartisch registriert und alle vier anwesenden haben geschmunzelt. Ich finde es immer faszinierend, die feinen Beziehungen zu spüren, die sich nur dann offenbaren, wenn der Geist ruhig und zu gleich wach ist.
Ich glaube im nachhinein, die letzten drei tage Jazz, waren zu viel,. Zwei hätten gereicht. Heute spüre ich, wie schön es ist, wieder mal in den Tag hinein zu trödeln, ohne feste Pläne. Nur zu sein und zu schauen.
Ich fand es sehr interessant, was du geschrieben hast und konnte dich gut verstehen. Du sagtest, daß du dich in der letzten Zeit, oft verabredet hast, aus der Angst, ansonsten alleine zu sein, obwohl du dich nicht sonderlich auf die Menschen, mit denen du begegnet bist, gefreut und die Zeit genossen hast. Nun geschieht es sehr oft, daß Menschen sich zusammen treffen, Beziehungen eingehen, ja, sogar zusammen wohnen oder gar heiraten, nur um nicht alleine zu sein. Die nicht trauen, sich zu lösen, aus der Befürchtung, einsam zu werden. Nur geschieht das oft unbewußt, so daß die Betroffenen darunter leiden, ohne sich darüber klar zu sein, und so dauernd in ihren Kerkern gefangen sind, ohne zu wissen, was eigentlich um ihnen geschieht. Das schöne bei dir ist, daß du dir deiner Ängste bewußt bist. Zwar kann ich mir Vorstellen, daß du da vielleicht noch mehr Schmerz empfindest. Ich finde es dennoch schön, weil die Einsicht dich so lange nicht in Ruhe lässt, bis du dich von diesen Bindungen gelöst hast. Ich war mit 27 noch nicht so weit.
Jetzt ist es bereits Freitag. Auch heute habe ich die Arbeit verschoben, um noch einen freien Tag zu haben. Immer noch steckt die Müdigkeit in meinen Knochen. Gestern Abend kam noch Sonja vorbei. Wir tranken zusammen eine Flasche Wein, plauderten und als sie ging schlüpfte ich bereits um 10 ins Bett und schlief wie ein Bär im Winterschlaf. Möglicherweise muß ich irgendwas noch ausbaden.
Vor etwa drei Wochen geschah es. Eine Begegnung, die mich stark berührt hat, und wie ich im Nachhinein erfahren habe, aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Mir wurde wieder ein mal, nicht nur meine Verletzlichkeit gewahr, sondern auch wie mich Ereignisse so erschüttern können, daß ich wieder Tage brauche, um mit mir im reinen zu kommen. Die Erfahrung war lehrreich. Sie zeigte mir, wie ich auf Ablehnung reagiere. Mir wurde wieder deutlich, wie wichtig es für mich ist, von Menschen akzeptiert zu werden, von denen ich Zuneigung erwarte.
Ich habe mich daran erinnert, wie stark der Wunsch nach Anerkennung, in der Vergangenheit, mein Tun geprägt hat. Meine politische Tätigkeit, meine Vorträge vor dem Publikum, meine wissenschaftliche und publizistische Tätigkeit. Der Unterschied zwischen damals und heute liegt darin, daß mir dies früher nicht bewußt war. Daß ich gefangen war, in meinem Bedürfnis, daß ich deshalb getrieben war.
Ich finde es schmerzhaft und befreiend zugleich, den Illusionen näher zu kommen, die unser Leben prägen. Schmerzhaft, weil wir dadurch unsere Ideale verlieren, die unserem Tun bisher einen Sinn gegeben haben. Aber auch befreiend von der Selbsttäuschung. Und was dann bleibt ist sowohl ein Gefühl der Schutzlosigkeit, als auch des Gleichmuts. Es ist ein Weg von den großen Dingen und Hoffnungen, und ein hin zu den kleinen, unmittelbaren. Es ist ein Abschied vom abstraktem und eine Hinwendung zum Konkreten und persönlichem.
Weißt du, irgendwie werde ich den Verdacht nicht los, daß der Griff nach den großen, weltbewegenden Dingen, deshalb zum Bedürfnis wird, weil einem der Griff zu den nahe liegenden, unmittelbaren Bedürfnissen zu schwierig erscheint. Zumindest kann ich das von mir behaupten.
Als ich am ersten Tag im Loft war und auf den Anfang des Konzerts wartete, kam irgendwann eine sehr hübsche Frau ins Saal hinein, die sofort meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sie war in Begleitung eines älteren Paares und einem Mann, der wohl zu den Veranstaltern des Konzertes gehörte. Später im Konzertsaal, saß sie dann plötzlich in der Reihe vor mir in meiner unmittelbaren Nähe auf dem Stuhl. Sie hatte einen offenen Pullover an, so daß ich ihr hals und ihre nackten Schultern sehen konnte. Ich war fasziniert. Die ein und halb Stunden bis zur Pause, galt nur meine halbe Aufmerksamkeit dem Konzert. Die größere war auf sie gerichtet. Mir war klar, daß ich in dem Augenblick nichts sehnlicheres mir wünschte, als eine erotisch Nähe zu ihr. In der Pause ging ich dann in den vorderen Saal, holte mir ein Bier und stand neben einem Standtisch. Und siehe da, unter etwa hundert Leuten hatte ich das Gefühl, daß sie sich mir nähern wird und sie kam dann auch immer näher und näher, bis sie so dicht neben mir stand, daß ich ihr Duft spüren konnte. Dann schaute sie mich an, lächelte, ich lächelte, und einige Minuten lang stand ich da, berauscht, und mir war gewahr, daß dies, ganz unbezwungene, wunderbare Augenblicke waren. Ich hatte das Gefühl, daß ich nichts zu tun brauche, einfach weiter alles geschehen lassen könne, und sich die Liebe gedeihen würde.
Aber dann kamen die Gedanken, daß ich da aktiv werden, etwas unternehmen , ein Gespräch Anfangen müsse und so habe ich zu ihr gesprochen. Du denkst dir wahrscheinlich, ich hätte von ihrer Schönheit gesprochen, davon wie berauscht ich von ihrer Nähe bin, und desgleichen. Nein, Nein. Ich fragte sie: Sind das ältere Paar Ihre Eltern. Schon als ich den Satz ausgesprochen hatte, war alles vorbei. Die Nähe, der Rausch , das Glück. Ja "vorbei, verweht, nie wieder".
Lass uns wieder zum Ausgangspunkt kommen. Solange ich kein Gespür davon hatte, was Liebe ist, war ich Revolutionär. Jetzt wo ich dem näher komme, was Leben ist, spüre ich Freude und Schmerz, und ich frage mich, wie es sein würde, wenn ich frei sein würde, von all den Hemmungen die mich am Leben hindern?
Liebe Grüße
Maziar

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