Busfahrt
von Roman Biewer

 

Ich warte auf den Bus. Wie meistens am Morgen. Es gibt nicht viele Buslinien in dieser Stadt, da die meisten Nahverkehrsstrecken von U-Bahnen bewältigt werden. Nur für die höher gelegenen Bezirke werden Busse eingesetzt. Endlich kommt er den Hang heruntergekrochen. Wie eine dicke Raupe sieht er aus, mit seinem ziehharmonikaartigen Gelenk in der Mitte. Irgendwie ein unwirkliches Bild, wie so ein großes Gefährt eine so schmale uns steile Straße entlangfährt. Er hält, und ich steige ein. Wie immer ist es schwierig, überhaupt einsteigen zu können, so voll ist es mal wieder. Was wäre, denke ich bei mir, wenn diese Dinger wirklich riesige Raupen wären, die uns nur deswegen Tag für Tag spazierenführen, weil sie unser Vertrauen gewinnen wollen, und irgendwann einfach die Türen nicht mehr aufmachen, wenn sie gerade mal wieder so richtig voll mit Menschen sind. Dann wären sie wieder mal satt für sagen wir zweitausend Jahre und würden weiterziehen, in andere Galaxien vielleicht, und würden sich einen Planeten aussuchen, bei dem der technische Fortschritt auch bald so weit ist, daß sie aus ihrem Versteck heraus können und mit ihrem seltsamen Aussehen gar nicht mehr auffallen, weil sie für gewöhnliche Fortbewegungsmittel gehalten werden, und wieder müssen sie eine Weile das Vertrauen der Planetenbewohner gewinnen, bis sie mit einem Mal zuschlagen können.
Ich steige ein und versuche, mir einen Weg zu einem Stehplatz zu bahnen, bei dem man sich wenigstens irgendwo festhalten kann. Vergeblich. Eine riesige schnaufende Frau mit immensem Körperumfang und richtig unglaublich ausladenden Brüsten versperrt mir, zu jeglicher Bewegung unfähig, den Weg. Wenigstens schaffe ich es, mich umzudrehen, damit ich mit dem Rücken zu ihr stehe. Ich rede mir ein, daß das warme, weiche und vor allem leicht feuchte Etwas, mit dem ich da in Körperkontakt stehe, ein riesiger Hefeteig ist. Doch es gelingt mir erst, mich abzulenken, als ich ein kleines, vielleicht fünfjähriges Mädchen entdecke, das Hand in Hand mit ihrer Mutter wie ein kleiner Engel mitten in dieser unglaublichen Ansammlung von Talgdrüsen steht. Ich winke ihr albern zu, und sie winkt amüsiert zurück. Es beginnt wieder einmal ein typisches Wink-Zurückwink-Spiel, das ich so gerne in öffentlichen Verkehrsmitteln mit Kindern treibe. Ich liebe einfach den besorgten Blick der Eltern, weil sie glauben, daß es sich bei mir um den potentiellen Sexualverbrecher handelt, der ihnen ihr Kind stehlen wird. Ich glaube, ich würde tatsächlich einen talentierten Kindermörder abgeben. Ich bin selbst immer wieder erstaunt darüber, wie schnell ich Kinder um den Finger wickeln kann, ihnen dabei das Gefühl gebe, Ihresgleichen zu sein, obwohl ich keinerlei echte Zuneigung empfinde. Trotzdem sehe ich keinen Grund darin, irgend jemand etwas anzutun, der mir nichts getan hat, und so wird aus meinem versteckten Talent wohl nie etwas werden. Durch Leute, die sich zum Aussteigen an mir vorbei drängen, werde ich wieder um 180 Grad zurückgedreht, und zu leicht lasse ich das geschehen, weil ich für einen kurzen Moment vergessen habe, was das zu bedeuten hat. Als es mir wieder einfällt, ist es bereits zu spät, und nun hängen mir die fetten Möpse dieser Tussi direkt im Gesicht. Ich bin nun einmal nicht der Größte. Jetzt ist es wirklich so eng in dem Bus, daß an ein erneutes Umdrehen nicht mehr zu denken ist. Heute ist wieder Mal so ein Tag, an dem ich wieder ein wenig Angst von meinen eigenen Gedanken habe. Ich frage mich, ob so etwas vielleicht von der Art der Menschen beeinflußt wird, die man als erstes am Tag sieht. Jedenfalls bin ich mir sicher, daß die Tatsache, mit übelriechenden Brüste unglaublichen Ausmaßes im Gesicht konfrontiert zu sein nicht dazu beiträgt, sich entspannen zu können.
Wieder fühle ich diese zermürbende Unwirklichkeit von Alltagssituationen, die mir mal wieder verdeutlicht, daß ich einfach nicht in diese Welt gehöre. Mir ist übel. Ich sollte ihr einfach solange auf diese Scheißmöpse kotzen, bis nur noch Säure kommt, denke ich. Neben mir furzt ein alter Mann, und ich sehe, wie ihn seine Frau in die Seite kneift, woraufhin er sich ihr gegenüber mit einem schwäbisch aüßert, daß wohl wirklich nur noch sie versteht. Ich schließe die Augen. Für einen Moment ist alles wie ausgeblendet. Als ich die Augen wieder aufschlage, schreien einige Menschen, allen voran die korpulente Frau. Ich sehe, was passiert ist, und da die Raupe, ich meine der Bus, gerade anhält, steige ich aus, obwohl ich noch eine Station weiter gemußt hätte.

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