"Scheiß mir auf den Tisch und ich zeige dir Mannheim"
von Roman Biewer

 

Die Welt des Vergleichs oder:
"Scheiß mir auf den Tisch und ich sage dir wo Mannheim liegt."

Man kann ja immer alles miteinander vergleichen. Man kann nicht nur, oft muß man sogar. Vergleichen ist wichtig, um den Menschen etwas in dieser Form noch nie dagewesenes - und wenn man es genau nimmt, ist alles, was neu ist, tatsächlich ja vorher noch nie dagewesen - begreiflich zu machen, indem man es mit etwas Bekanntem in Bezug setzt. Das ist natürlich ungenau. Über etwas Neues zu sagen, es sei wie etwas bereits Bekanntes, kann immer nur eine Annäherung sein. Aber genau darum geht es ja. Der Mensch will ja nie (obwohl: wollen vielleicht, aber zumindest nicht können) eine Sache voll und ganz so erfassen, wie sie tatsächlich ist, sondern muß Abgleichen, in Relationen setzen und so in sein Weltbild einfügen, daß es paßt. Oder im Gegenteil als absolut unpassend einstufen, um in Zukunft ohne schlechtes Gewissen Distanz halten zu können. Was sind typische Vergleiche? Etwa, wenn ich sagen würde: "New York fühlt sich jetzt genauso, wie ich mich gefühlt habe, als mir zwei Weisheitszähne gleichzeitig gezogen wurden!"? Ja, das wäre so ein Vergleich, der einerseits tatsächlich Vergleichbares aufweist (zwei Zähne - zwei Türme; in beiden Fällen Schmerz; in beiden Fällen zurückgelassene Krater), doch was ist anders? Beim Zähneziehen selten Staubentwicklung, soviel ist klar, und dann hat meines Wissens ein Weisheitszahn keine 110 Stockwerke.

Wo unser Thema schon Vergleichen ist: Ich habe mal ein Buch von Thorwald Dethlefsen gelesen, so ein esoterisches Spukbuch, das hieß "Schicksal als Chance", und da meinte der doch, daß alle Disziplinen, mit denen man die Zukunft voraussagen oder die Wesenszüge einer Person feststellen kann, eigentlich austauschbar seien, da der Grund, warum man diese Dinge überhaupt in den Sternen sehen oder im Kaffeesatz lesen kann, der ist, daß jedes in sich geschlossene System, er nannte das "Kosmos", klingt doch gleich viel spukiger, oder, sich wiederum wiederfindet in jedem anderen. Der Kosmos "Mensch" also im Kosmos "Sternensystem", aber durchaus auch im Kosmos "Kaffeesatz" oder "Pendel". "Wie oben, so unten" hieß es dann weiter, man kennt das ja. Stimmt diese Grundannahme, so hat es natürlich seine völlige Berechtigung, daß Frauen wie Liz Greene reihenweise Bücher mit Titeln wie "Sag mir dein Sternzeichen und ich sage dir wie du liebst" veröffentlichen.
Ebenso berechtigt wäre es also dann aber auch, wenn ich verblüffende Seminare unter dem Thema "Scheiß mir auf den Tisch und ich sage dir wo Mannheim liegt" abhalten würde. Aber ist nicht ohnehin klar, wo Pforzheim liegt? Also erstens bestimmt nicht jedem, und zweitens sind auch Landkarten nur Abbildungen, sprich Vergleiche mit der Wirklichkeit, und was haben wir gelernt? Richtig: Jeder Vergleich hinkt! Das liegt in seiner Natur!

Was aber auch noch in Dethlef's, äh Thorwald's Buch stand, war, daß zwar jeder Kosmos in einem anderen abgebildet, aber wiederum nicht jeder geeignet sei, Auskunft über einen anderen zu geben, oder anders gesagt: Der Mensch kann nicht in jedem lesen. Daher eben auch nur wenige "Lese-Disziplinen" wie etwa Astrologie, Kaffeesatz oder Knochenwerfen, während sich wohl über die inzwischen mehrjährige Dauer der Menschheitsgeschichte herausgestellt hat, daß das mittigst sitzende Arschhaar eines Bisons zwar auch ein Kosmos, und dessen Krümmungsgrad gewiß auch etwas darüber aussagt, wieviel die Dorfälteste in zwei Jahren wiegen wird, daß aber die Sprache des Bisonarschmittelhaarkosmos durch den Menschen nicht entschlüsselbar ist, während die Sterne im Vergleich dazu wohl fast schon deutsch sprechen. Deutsch? Wie egoistisch von mir. Nee, bestimmt nicht, wenn, dann wohl eher etwas, was alle schon seit Urzeiten verstehen. Rülpsen vielleicht? Ich glaube, daß das stimmt, denn als ich neulich bei sternenklarer Nacht im Stadtpark saß, rülpste es ständig irgendwoher, und so sehr ich mich auch umsah, ich war alleine!

Ein unter Kundigen ebenfalls in gutem Ruf stehender Kosmos soll ja Vaginalschleim sein. Ein Mensch mit entsprechend seherischer Ausbildung, auch Medium genannt, klingt doch gleich viel spukiger, oder, sieht hier die Tage voraus, in der eine Frau fruchtbar sein wird. Und das offenbar sogar zuverlässiger, als die Sterne die gesamte Zukunft! Ist ja auch ein bisschen angeberisch von denen, gleich so ein Riesenspektrum abdecken zu wollen, kein Wunder, daß die sich da auch mal vertun, man soll sich halt nicht übernehmen! Klüger, was der Mösenschleim macht, nämlich, sich auf eine Sache zu spezialisieren, die dann aber richtig, übrigens geht er da mit der Zeit, ohne Spezialisierung geht ja heute eh nichts mehr. Die Sterne als Weisungskosmos gibt's ja schon ewig, deshalb sind die auch so verstaubt mit ihren Ansichten, wollen alles auf einmal können, dann aber nichts so richtig hinkriegen. Ganz wie die Gelehrten damals! Das mit dem Mösenschleim ist ja noch relativ neu, und siehe da, endlich weht mal neuer Wind in der Seherszene. Wurde auch mal Zeit!
Obwohl: Vielleicht ist der Mösenschleim ja doch ein Allroundgenie und kann z.B. auch Auskunft darüber geben, welcher Handyvertrag auf die Dauer gesehen jetzt wirklich der Günstigste ist. Immerhin gibt's das Geglibber ja in fast allen Farben: Je Farbe ein Wissensgebiet, das wäre doch mal was!

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